Es treten auf: Komitee-Engel Gabriel (Oberengel, Bote zu Maria), Uriel (Oberengel), Ariel, Jojada, Raphael (Verkündigungsengel zur Weihnacht bei den Hirten), Dienstengel.
In der Adventszeit häuften sich wie üblich die Meetings bei den himmlischen Heerscharen. Die Fachabteilung für die »Vorbereitung des Festes«, das heißt für den äußeren Rahmen, hatte einiges zu tun. Die Zuständigen: Gabriel und Uriel, die zwei Erzengel, sowie die kleinen Engel Jojada und Ariel mussten neben dem Problem des geplanten Wetters (Schnee oder kein Schnee?) und der Zahl der benötigten Nikolaus-Darsteller etwas Ungewohntes besprechen: Die Frage der geschlechtergerechten, der gender-richtigen Kommunikation im Kontext des Festes war aufgetaucht.
Mehrere irdische Gleichstellungs-Beauftragte hatten dazu im Namen aller Erdbewohnenden Petitionen geschickt: Schluss mit dem maskulinen Genus-Getue, diesem Privileg, was angeblich »alle Frauen mit meint«. Von wegen »mit-meinen«, wie wär‘s denn zur Abwechslung umgekehrt? Sollte nicht Gott gesagt haben: Macht euch die Grammatik untertan und herrschet über sie, 1. Buch Mose, Kapitel 1.
Aus dem Büro Marias, volkstümlich Muttergottes genannt, war auch eine Forderung nach sprachlicher Reform gekommen. Gott Vater, Gottessohn, Mutter Maria – ziemlich old school, hieß es von dort. Maria erklärte sich in diesem Zusammenhang bereit, auf die Bezeichnung Mutter Jesu (weil Mutter nichts als ein »soziales Konstrukt« sei) zu verzichten. Stattdessen solle man sie einfach Gottesgebärerin nennen. Das wäre nämlich zum einen sachlich zutreffend und außerdem zweitens vor 1590 Jahren schon mal als Ehrentitel an sie, Maria, vergeben worden – man erinnere sich bitte-schön der Synode zu Ephesos, wo das ein Thema war!
Die vier Engel amüsierten sich über Marias Einfall. Die will nur bei ihrer weiblichen Klientel punkten, kicherte Ariel, der Vorlaute. Gabriel erinnerte sich: Als ich zu Maria als der Freudenbote kam und ihr verkündete, dein Sohn wird Sohn des Höchsten genannt werden, und der Herr wird ihm Davids Thron geben usw., da war sie noch nicht so komisch und eigensinnig. Sie sagte noch ganz fromm: Siehe, ich bin des Herrn Magd. (Hört, hört!)
»Zur Sache«, mahnte Uriel sachlich, »behandeln wir jetzt der Reihe nach die Probleme Nikolaus, Weihnachtsmann und dann Marias Sohn. Die bleiben doch allesamt männlich, oder?« Beim hl. Nikolaus, dem einstigen Bischof von Myra, wurde man sich schnell einig: historisch echt, ein gestandener Mann, unzweifelhaft ein er, also keine Mätzchen im Plural (keine Nikolaus*innen o. ä.). »Aber wie ist es mit seinem Gehilfen Knecht Ruprecht, dem ollen Kinderschreck? Wollen wir den einfach mal streichen?«, sprach Jojada. »Also wart mal, da schaffen wir jetzt ein Gegenstück: statt Knecht die neue Gestalt der Magd Rupwitha. Und die kinderfeindliche Rute lassen wir natürlich weg«, entschied Uriel.
Hier wurden sie unterbrochen, denn einer der Dienstengel übergab Uriel einen Eilbrief aus der Hölle, vom großen Versucher Satan, dem gefallenen Engel: Dem sei zu Ohren gekommen, dass es Stimmen gäbe der Kritik an der Titulierung Jahwes des Allmächtigen, aber auch seiner selbst, des Gottseibeiuns. Ob es wohl noch angehe und recht und billig sei, ständig der Gott und der Teufel zu sagen?, las Uriel vor. »Meint der vielleicht so was wie Go/ö-tt/in? Das gibt‘s doch wohl nicht«, rief Ariel dazwischen. Nein, las Uriel weiter, der Versucher schlägt Folgendes vor: Bei G+tt ein Kreuzeszeichen einfügen und bei S;t;n einen zweifachen Pferdefuß. Zwar nicht ideal, aber damit hätte man wenigstens Problembewusstsein angezeigt, bis zur endgültigen Lösung. Satans Brief schloss mit den Worten: Sollte G+tt nicht schon im ersten Kapitel der Bibel, 1. Mose 1,28 gesagt haben: »Macht euch die Sprache untertan und herrschet über Genus und Modus, über Kasus und Numerus«? So sprach also der Verführer.
»Den Brief einfach zu den Akten«, verfügte Gabriel.
»Um bei uns selbst anzufangen«, fiel hier Jojada, dem Dienstjüngsten, ein, »wir können uns in den offiziellen Schreiben von nun an himmlische Engelwesen nennen. Da kann sich ja wirklich jedX (das heißt: jeder/jede) sein/ihr Teil denken, auch die trans-, inter-, bi- und asexuellen Mit-Wesen.« »Nun mach dich nicht lustig über andere«, mahnte Gabriel (von seinen Mitengeln gern als Gabriele gehänselt, wegen seiner Vorliebe für wallende Kleider), »für Scherze haben die Kritiker – äh, Innen keinen Sinn.«
Damit ging es zum nächsten Punkt, dem Begriff des Weihnachtsmannes. Bei dem stand offenbar kein echter antiker Bischof und keine Mannsperson Pate; außerdem wird er ja auch häufig genug von Frauen gespielt, die sich einen weißen Rauschebart umbinden. Warum nicht zum Ausgleich dieses Jahr mal die Weihnachtsfrau ins Spiel bringen?
»Ach nö«, wandte Ariel ein, da würden sich nicht alle gemeint fühlen. »Besser fände ich Weihnachtsperson, oder?« »Nein, geht nicht, die Person ist ja gar nicht neutral, vielmehr ist die feminin«, so Jojada. »Lasst uns was mit das finden, z. B. das Weihnachtsmännchen.« Und jetzt kam dem klugen Gabriel die definitive Idee: »Etwas mit das? Das ist nicht schwer: das Weihnachtsweib, geht das?« Nachdenkliches Schweigen.
»Muss eigentlich«, fragte Gabriel (um das nachdenkliche Schweigen zu beenden), »muss Jesus immer mit männlich konnotierten Wörtern versehen werden? Als ob das Heil nur von einem Mann kommen kann: der Erlöser und Heiland, der Retter, Messias, das klingt doch arg einseitig und machomäßig.« – Richtig. Wenn es heuer im Lied Stille Nacht, hl. Nacht wieder heißen wird holder Knabe im lockigen Haar, dann könnte Maria meckern. »Wie wär’s denn mit Säugling?« (Das war Ariel.) »Der Säugling«, murrte Gabriel. »Nein, besser Baby, das wäre sehr neutral.« »Aber seht doch mal«, so Ariel: »Unser Kollege Raphael sprach in der hl. Nacht auf dem Felde zu den Hirten die Worte: ›Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen‹. Wie klingt denn das? Nennen wir das Weihnachtsbaby ganz neutral und gefällig Christ-Kind. Und lassen wir den Sohn, Gottessohn, Heiland usw. beiseite.«
»Ja«, meinte Uriel, »schön und gut, aber um der Liebe zu allen Menschen willen müssen wir es ein wenig präzisieren: das Christ-Kind (m/w/d). Seht ihr, damit ist niemand vergessen.«