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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Das BSWEIN Bündnis gegen rechts!

Noch kei­ner Par­tei in Deutsch­land ist das gelun­gen: Knapp fünf Mona­te nach ihrer Grün­dung hol­te das Bünd­nis Sahra Wagen­knecht (BSW) bei einer bun­des­wei­ten Wahl 6,2 Pro­zent der Stim­men. Betrach­tet man die Umfra­ge­wer­te kurz vor Grün­dung des BSW fällt auf: Abge­se­hen von der AfD hat sich bei den ande­ren Par­tei­en fast nichts geän­dert. Nur die AfD, damals bei 22 Pro­zent, erreich­te mit 15,9 Pro­zent nun deut­lich weni­ger – die Ver­lu­ste ent­spre­chen in etwa dem Anteil, den das BSW gewon­nen hat.

Die Ein­bu­ßen der AfD haben vie­le Grün­de: Die Recher­chen von Cor­rec­tiv, die dar­auf­fol­gen­de Debat­te sowie die diver­sen Affä­ren und Skan­da­le um ihre Spit­zen­kan­di­da­ten dürf­ten dem rechts­ra­di­ka­len Pro­jekt zuge­setzt haben. Der Ver­gleich zwi­schen dem Euro­pa­wahl­er­geb­nis und den Umfra­ge­wer­ten Anfang Janu­ar lässt erah­nen, dass auch Sahra Wagen­knecht der AfD gescha­det haben dürf­te. Auch wenn nicht alle BSW-Wäh­ler vor­her AfD gewählt haben, hat die Par­tei­grün­dung im Effekt die poli­ti­sche Land­schaft zuun­gun­sten der AfD verändert.

Die­ser Dia­gno­se wider­spre­chen die Ana­ly­sen der Wäh­ler­wan­de­rung der Umfra­ge­insti­tu­te, nach denen der Anteil der BSW-Wäh­ler, die zuvor AfD gewählt haben, rela­tiv gering ist. Die Ana­ly­sen der Wäh­ler­wan­de­rung haben aber einen Haken: Bei den letz­ten bun­des­wei­ten Wah­len, der Bun­des­tags­wahl 2021 und der Euro­pa­wahl 2019, erreich­te die AfD »nur« maxi­mal elf Pro­zent. Die­se mehr oder weni­ger gesi­chert rechts­ra­di­ka­le AfD-Kern­kli­en­tel konn­te das BSW offen­bar kaum anspre­chen. Anders sieht es bei jenen aus, die sich in den ver­gan­ge­nen zwei Jah­ren der AfD zuge­wen­det und die Zustim­mung für die AfD zwi­schen­zeit­lich ver­dop­pelt haben. Eine Stu­die des Wirt­schafts- und Sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Insti­tuts (WSI) der gewerk­schafts­na­hen Hans-Böck­ler-Stif­tung kam Anfang Juni zu dem Ergeb­nis, dass das BSW der AfD vor allem in Ost­deutsch­land Kon­kur­renz macht – beson­ders unter jenen, die sich erst kürz­lich in Rich­tung AfD bewegt haben. Sozio­struk­tu­rell han­delt es sich um ein Milieu, bei dem frü­her die PDS erfolg­reich war: Das BSW ist stark in Regio­nen, die von hoher Arbeits­lo­sig­keit und Über­al­te­rung geprägt sind, und spricht laut WSI beson­ders jene an, die ein nied­ri­ges Ein­kom­men und gerin­ge Rück­la­gen haben und den bestehen­den Insti­tu­tio­nen misstrauen.

Genau die­se Kli­en­tel ging der post-PDS Lin­ken ver­lo­ren – zunächst an die Nicht­wäh­ler und wohl auch an die AfD. Das von der Links­par­tei ange­streb­te Mit­te-Unten-Bünd­nis exi­stier­te in Ansät­zen allen­falls in der Anfangs­zeit. Viel blieb davon nicht übrig, auch weil es nicht gelang, aus der »anti­neo­li­be­ra­len Samm­lungs­be­we­gung« (Lafon­taine) etwas Neu­es zu for­men. Rück­blickend geriet der For­mie­rungs­pro­zess eines neu­en links­so­zia­li­sti­schen Pro­jekts seit 2012 zuerst ins Stocken und stand dann völ­lig still.

Die Ver­su­che, die eher links ste­hen­de ent­täusch­te Grü­nen-Wäh­ler­schaft zu errei­chen, hat sich für die Lin­ke bis­her nicht aus­ge­zahlt, das ver­gleichs­wei­se star­ke Ergeb­nis der EU-enthu­sia­sti­schen Volt-Par­tei macht unmiss­ver­ständ­lich klar, wie brü­chig das Fun­da­ment war, auf dem die stra­te­gi­sche Aus­rich­tung gebaut wur­de. Die Ver­laut­ba­run­gen, ohne Wagen­knecht kön­ne man als moder­ne sozia­li­sti­sche Gerech­tig­keits­par­tei durch­star­ten, erschei­nen rück­blickend nach der ersten Wahl nach Wagen­knechts Aus­tritt als Sym­ptom einer Rea­li­täts­ver­wei­ge­rung. Es sieht stark danach aus, dass die Lin­ke weder kurz- noch mit­tel­fri­stig das Milieu der­je­ni­gen, die sich vor sozia­lem Abstieg sor­gen, errei­chen wird.

Das BSW erscheint als die ein­zi­ge Par­tei, die in der Lage ist, die­je­ni­gen poten­zi­el­len AfD-Wäh­ler anzu­spre­chen, die am Ende des Monats mit jedem Euro rech­nen müs­sen, deren Rück­la­gen eben­so wenig vor­han­den sind wie die Vor­stel­lung einer guten Zukunft. Das BSW gewinnt offen­bar jene zurück, die zuletzt im Rechts­ra­di­ka­lis­mus eine Alter­na­ti­ve gegen das depri­mie­ren­de wie hoff­nungs­lo­se Hier und Jetzt gese­hen haben. Das BSW schafft damit etwas, was die Lin­ke nicht mehr konn­te – und viel­leicht auch nicht mehr wollte.

Poli­tisch ist das BSW schwer zu fas­sen: Migra­ti­ons­po­li­tisch steht das Bünd­nis in der Tra­di­ti­on einer rech­ten Sozi­al­de­mo­kra­tie, arbeits­markt- und sozi­al­po­li­tisch erin­nert es an die links­so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche PDS- und WASG-Tra­di­ti­on, wirt­schafts­po­li­tisch liegt es irgend­wo zwi­schen Ordo­li­be­ra­lis­mus und Keyne­sia­nis­mus, und außen­po­li­tisch, kaum zu unter­schät­zen, kann es auf das in der Gesell­schaft zah­len­mä­ßig star­ke Poten­zi­al derer zurück­grei­fen, die auf eine bal­di­ge Ver­hand­lungs­lö­sung im Krieg in der Ukrai­ne set­zen. Vor allem aber, und auch das kann kaum unter­schätzt wer­den, funk­tio­niert das BSW als Anti-Estab­lish­ment-Par­tei, als Denk­zet­tel gegen die Etablierten.

In der Arbei­ter­be­we­gung gab es immer auch gesell­schafts­po­li­tisch kon­ser­va­ti­ve Stim­men, bis­wei­len auch auto­ri­tä­re. In den besten Zei­ten gelang es den sozia­li­sti­schen Kräf­ten, rech­te Posi­tio­nen in ein Pro­jekt der Gleich­heit ein­zu­bin­den. In schlech­ten Zei­ten zer­split­ter­te die­se Ein­heit. Histo­risch gese­hen ist das BSW ein Aus­druck schlech­ter Zei­ten, aber nicht deren Trei­ber. Soll­te die äußerst schwie­ri­ge Auf­ga­be der Ein­bin­dung und Kana­li­sie­rung rech­ter Posi­tio­nen gelin­gen und sich das BSW zumin­dest mit­tel- und lang­fri­stig in Rich­tung eines klas­sen­po­li­tisch fun­dier­ten Uni­ver­sa­lis­mus ent­wickeln, könn­ten aus schlech­ten Zei­ten durch­aus bes­se­re wer­den. Für den Moment ist das BSW kein dezi­diert lin­kes Bünd­nis, ein rech­tes aber auch nicht, zumin­dest aber eines, das einen wei­te­ren Auf­stieg der Rech­ten stop­pen könnte.

Nach­druck aus dem nd vom 14. Juni 2024. Mit soli­da­ri­scher Genehmigung.