Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Das Bild-Universum des Albrecht Genin

Seit sei­nem 26. Lebens­jahr war der 1945 in Olden­burg gebo­re­ne und 2013 in Ber­lin ver­stor­be­ne Albrecht Gen­in unter­wegs gewe­sen: Rei­sen in den Ori­ent, län­ge­re Auf­ent­hal­te in Por­tu­gal, Spa­ni­en und Thai­land. Stän­di­ger Rei­se­be­glei­ter war ihm das Mal­buch, das die Hül­le bil­de­te für ein poe­tisch gestal­te­tes Bild-Uni­ver­sum, ein Uni­ver­sum von Zei­chen und Sym­bo­len, in der Figu­ren von einer Wirk­lich­keit zu einer ande­ren wan­dern. Die­ser Künst­ler war ein Ver­mitt­ler zwi­schen den Kul­tu­ren des Okzi­dents und des Ori­ents, er befrag­te die Kul­tu­ren der Ver­gan­gen­heit, über­zeich­ne­te ihre Schrift­zei­chen, ver­frem­de­te sie und brach­te sie in neue Zusam­men­hän­ge. Er war ein Mei­ster des Maler­buchs, das von der Kor­re­spon­denz der Zeich­nung und Male­rei mit dem Text lebt. Die Druck­buch­sta­ben über­la­gern und durch­drin­gen sich in Schrift­bild und Zeich­nung, im fort­schrei­ten­den far­bi­gen Auf­bau der Male­rei. Auch wenn etwa der latei­ni­sche Text eines Mess­bu­ches nichts mit dem Per­so­nal sei­ner Bild­wel­ten zu tun hat, boten Gen­in doch die anti­quier­ten Druck­ele­men­te Anre­gun­gen für den fan­ta­sti­schen Zau­ber der Ein­bil­dungs­kraft. Die eige­ne Zeich­nung oder Male­rei über­la­gert und durch­dringt sich mit dem Schrift­bild der Druck­buch­sta­ben. Wenn Gen­in dann auch wie­der Noten­blät­ter über­mal­te, ste­hen die Figu­ren mit dem Rücken zum Betrach­ter und schau­en mit ihm zusam­men in eine bizar­re Noten­land­schaft. Die eige­ne Zeich­nung oder Male­rei über­la­gert und durch­dringt sich mit dem Schrift­bild des Noten­drucks, setzt es fort oder löst sich davon ab. Die Figu­ren, die Gestalt­zei­chen blei­ben in den Zusam­men­hang tast­ba­rer Mate­rie ein­ge­bun­den und lösen sich doch als ein Gei­sti­ges aus ihr heraus.

Die Gale­rie Horst Diet­rich in Ber­lin-Char­lot­ten­burg, die seit Jahr­zehn­ten das Werk die­ses Künst­lers ver­tritt, zeigt jetzt Male­rei, Holz­druck-Mono­ty­pien und Skulp­tu­ren aus des­sen letz­ten Schaf­fens­jah­ren. Fas­zi­nie­rend die Figu­ra­tio­nen, die sich echo­ar­tig in par­al­le­len, aber ihre Form immer wie­der neu defor­mie­ren­den Erschei­nun­gen wie­der­ho­len. Aus ihren Posi­tiv- und Nega­tiv­for­men ent­wickelt sich die Grund­me­lo­die für das gan­ze Bild. Ja, es scheint in der Male­rei Genins ein fühl­ba­res rhyth­mi­sches Gesetz zu geben. Der Künst­ler über­lässt sich der frei­en und spon­ta­nen Erfin­dung, aber er lenkt sie in die Bah­nen sei­ner von Blatt zu Blatt wech­seln­den Bild­ge­set­ze. Ähn­lich dem fast hal­lu­zi­na­to­ri­schen Auf­tau­chen von Figu­ren aus dem Infor­mel weist das Werk Genins auf ein grund­sätz­li­ches Anlie­gen, das Echo figür­lich-mensch­li­cher For­men auch in gegen­stands­lo­sen Gebil­den wie­der­zu­fin­den. Immer wie­der hat ihn die Fas­zi­na­ti­on der kör­per­li­chen Bewe­gung, Tanz und Spiel, beschäf­tigt. Ihre Gra­zie erin­nert aber nicht nur an die Frei­heit und Bewe­gung des Tän­zers, son­dern auch an den gelenk­ten Schritt der Mario­net­te. Der vom Künst­ler fixier­te Bewe­gungs­ab­lauf ist selbst wie eine Par­ti­tur geglie­dert, die sich auch aus dem Duk­tus aller ein­zel­nen Teil­chen ergibt. Sei­ne inein­an­der ver­wo­be­nen Figu­ra­tio­nen im erzäh­le­ri­schen Feder- oder Pin­sel­strich sind wie ein­ge­bet­tet im Zusam­men­spiel von Rosen­rot, Kar­min­rot, Gelb, Azur­blau, Sma­ragd und dunk­lem Veil­chen­blau – die For­men ertrin­ken fast in der Far­be. In Genins Iko­no­gra­phie kann etwa die Blau­heit von Blau Licht, Luft, Was­ser Halt und Per­spek­ti­ve geben und eine all­ge­mei­ne Vor­stel­lung vom Medi­ter­ra­nen ver­mit­teln. Sie kann Ein­sam­keit, Schwe­re, Inten­si­tät, Stand­or­te, Ent­schie­den­heit, aber auch Zwei­deu­tig­keit darstellen.

Über­haupt hat Gen­in sei­ne Bild­se­ri­en als eine Art sym­pho­ni­scher Sät­ze gemalt. Aus mäch­tig strö­men­den Farb­ma­s­sen blü­hen Edel­stein­ge­bil­de kost­bar auf (Tür­kis als Mischung von Blau und Grün), pathe­ti­schen Bogen­schwün­gen ant­wor­ten zucken­de gra­phi­sche Detail­bal­lun­gen, kon­tra­punk­tisch wer­den Modu­la­tio­nen von Far­be zum Klin­gen gebracht. Die Far­ben ent­ma­te­ria­li­sie­ren sich zu Farb­klän­gen, die For­men zu Klang­fi­gu­ren und rufen immer wie­der die Asso­zia­ti­on zur Musik herauf.

Mit einem fühl­ba­ren, jedoch nicht immer deut­ba­ren Sinn bela­den sind sei­ne Figu­ra­tio­nen in Stahl und Bron­ze, weni­ger sei­ne flüch­ti­gen, tän­ze­ri­schen Figu­ren als viel­mehr sei­ne mon­strö­sen Fabel­we­sen, der Vogel-, Käfer- oder Fisch­mensch, der Men­schen­vo­gel, -käfer oder -fisch, der Kopf­mensch, der Vogel mit Ele­fan­ten­rüs­sel, das Schwein als Tau­send­füß­ler oder der ara­bes­ken­haft zusam­men­ge­wach­se­ne Men­schen­kör­per. In die ellip­ti­sche Geste der Men­schen­ar­me sind die Tie­re mit­ein­be­schlos­sen. Geht es hier um das Archai­sche und Mythi­sche der Men­schen­see­le in archäo­lo­gi­scher und mytho­lo­gi­scher Ver­klei­dung oder umge­kehrt: um archäo­lo­gi­sche und mytho­lo­gi­sche Relik­te als Sinn­bild ver­schüt­te­ter Schich­ten der mensch­li­chen See­le? Oder sol­len wir ein­fach nur an den fan­ta­sti­schen Ver­for­mun­gen und Meta­mor­pho­sen Ver­gnü­gen finden?

Wir haben es bei Gen­in mit einer Bild­welt zu tun, die die Ska­len der Emp­fin­dung und Stim­mung beherrscht, von eksta­ti­scher Zer­ris­sen­heit über melan­cho­li­sche Trau­rig­keit bis zu unbe­schwer­ter Hei­ter­keit. Mit sen­si­blem Instinkt such­te die­ser Künst­ler die Tren­nungs­wand zwi­schen außen und innen, oben und unten, Nähe und Fer­ne zu über­win­den, um die durch­sich­tig wer­den­de Mate­rie eines male­ri­schen Welt­erle­bens zu defi­nie­ren. Er will mit sei­nen Arbei­ten der Daseins- und Fan­ta­sie­freu­de des natur­na­hen, fried­li­chen Lebens der Kunst etwas zurück­ge­ben, das in den alp­traum­haf­ten Gewalt­tä­tig­kei­ten unse­rer Zeit abhan­den­ge­kom­men zu sein scheint.

Albrecht Gen­in: Move­ments – Male­rei, Skulp­tur, Holz­druck-Mono­ty­pien. Gale­rie Horst Diet­rich, Gie­se­b­recht­str. 19, 10629 Ber­lin, Mi-Fr 15-19 Uhr, Sa 12-15 Uhr, bis 26. April (www.GalerieDietrich.de).