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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Das Barberini im Barberini

54 Mei­ster­wer­ke des Barock aus dem Palaz­zo Bar­be­ri­ni und der Gal­le­ria Cor­si­ni, die heu­te die Natio­nal­ga­le­rien Bar­be­ri­ni Cor­si­ni in Rom aus­ma­chen, sind jetzt im Muse­um Bar­be­ri­ni in Pots­dam, ihrer jün­ge­ren »Namens­schwe­ster«, zu bewun­dern. Denn das im Zwei­ten Welt­krieg zer­stör­te Palais Bar­be­ri­ni hat­te der preu­ßi­sche König Fried­rich II. am Alten Markt in Pots­dam bau­en las­sen – er woll­te sein eige­nes Ita­li­en in Pots­dam insze­nie­ren –, und es behielt die­sen Namen, als es 2013-2016 von der Has­so Platt­ner Stif­tung als moder­ner Muse­ums­bau wie­der­errich­tet und im Janu­ar 2017 eröff­net wurde.

Maf­feo Bar­be­ri­ni war als Papst Urban VIII. einer der wich­tig­sten För­de­rer des römi­schen Barock. Die Groß­pro­jek­te sei­nes Pon­ti­fi­ka­tes, so die Fer­tig­stel­lung und Aus­stat­tung des Peters­do­mes und der Palaz­zo Bar­be­ri­ni alle Qua­t­ro Fon­ta­ne, ver­kör­pern exem­pla­risch Wesens­merk­ma­le barocker Kunst. Das kolos­sal gemal­te Decken­fres­ko des Gran Salon im Palaz­zo Bar­be­ri­ni von Pie­tro da Cor­to­na, das in einer Decken­pro­jek­ti­on in der Pots­da­mer Aus­stel­lung wie­der­ge­ge­ben wird, zeugt heu­te noch vom kunst- wie macht­be­wuss­ten Anspruch Papst Urbans VIII.: Tugen­den flan­kie­ren die Alle­go­rie der gött­li­chen Vor­se­hung sei­nes Pon­ti­fi­kats und prä­sen­tie­ren die Tia­ra, die Kro­ne des Pap­stes, und die Schlüs­sel Petri, Sym­bol der Bin­de­ge­walt des Pap­stes als Nach­fol­ger Petri und Stell­ver­tre­ter Jesu Chri­sti auf Erden. Dar­un­ter for­men Per­so­ni­fi­ka­tio­nen von Glau­be, Lie­be und Hoff­nung einen Lor­beer­kranz, der die Bie­nen des Fami­li­en­wap­pens der Bar­be­ri­ni umgibt. Der Betrach­ter ist über­wäl­tigt durch die spek­ta­ku­lä­re Öff­nung der Decke, die Vir­tuo­si­tät der Ver­kür­zun­gen, den unüber­schau­ba­ren Asso­zia­ti­ons­reich­tum mytho­lo­gi­scher und alle­go­ri­scher Figuren.

Was dann folgt – die meist groß­for­ma­ti­gen Gemäl­de mit bibli­schen und mytho­lo­gi­schen The­men, Histo­ri­en­bil­der, Por­träts, auch All­tags­sze­nen und Gen­re­bil­der –, fas­zi­niert durch die schlag­licht­ar­ti­ge Beleuch­tung der Figu­ren und die büh­nen­ar­ti­ge Sze­ne­rie. Schon als jun­ger Prä­lat hat­te sich Maf­feo Bar­be­ri­ni 1598 von dem noch unbe­kann­ten Maler Cara­vag­gio malen las­sen – und es war des­sen Chia­ros­cu­ro, des­sen Hell­dun­kel-Natu­ra­lis­mus, der ihn zum Über­win­der des Manie­ris­mus und zum Begrün­der der römi­schen Barock­ma­le­rei wer­den ließ. Der dra­ma­ti­sie­ren­de Ein­satz von schräg ein­fal­len­dem, streu­ungs­frei­em Schlag­licht und die durch die Licht­ef­fek­te her­vor­ge­ho­be­nen Gesten und Bewe­gun­gen erzeu­gen Räum­lich­keit, in die die Figu­ren in einer unge­wöhn­li­chen Lebens­ähn­lich­keit gesetzt werden.

Der in sich selbst ver­lieb­te »Nar­ziss« (1597-99) von Cara­vag­gio, der ver­geb­lich sein Spie­gel­bild im Was­ser zu erblicken sucht, ist ein außer­ge­wöhn­li­ches Bild, es hat zwar ein mytho­lo­gi­sches The­ma, aber es könn­te sich hier um einen ein­fa­chen Jun­gen vom Lan­de han­deln. Das Licht, das sich aus einer unsicht­ba­ren Quel­le ergießt, über­flu­tet ihn. Cara­vag­gio wähl­te einen unge­wöhn­li­chen Aus­schnitt für sei­ne Insze­nie­rung: Den Moment, in dem Nar­ziss im Was­ser nur ein ver­zerr­tes Abbild sei­ner selbst erblickt und dabei eine sol­che Dyna­mik und Inten­si­tät ent­wickelt, die durch das dra­ma­ti­sche Hell­dun­kel ver­stärkt wird. Er soll sei­ne frü­hen Wer­ke über­haupt mit Hil­fe eines Spie­gels gemalt haben. Die Ver­zer­run­gen, die der Spie­gel ver­ur­sach­te, lie­ßen sich in den ver­schie­den­sten Sich­ten eines Gegen­stan­des oder einer Figur in ein und dem­sel­ben Bild nut­zen. Dem all­täg­li­chen Sujet galt sein Inter­es­se, er band die Hei­li­gen in das Pro­fa­ne ein, Pro­sti­tu­ier­te haben ihm für bibli­sche Frau­en­ge­stal­ten Modell gestanden.

Auch Car­lo Sara­ceni such­te die unidea­li­sier­te Wirk­lich­keit dar­zu­stel­len. Sei­ne »Madon­na mit Kind und die hei­li­gen Anna« (um 1611) gleicht einer all­täg­li­chen Fami­li­en­sze­ne mit Mut­ter, Kind und Groß­mutter. Hat die­se Groß­mutter dem Kind mah­nend die Tau­be, eigent­lich Sym­bol des Hei­li­gen Gei­stes, weg­ge­nom­men, mit dem es gera­de spiel­te? Bar­to­lo­meo Man­fre­di greift in »Bac­chus und ein Zecher« (um 1610?) die Bac­chus­fi­gu­ren Cara­vag­gi­os auf. Er insze­niert sein Bild, sein Gott des Wei­nes spielt eine Rol­le und ist ver­mut­lich ein Römer von bäu­er­li­chem Aus­se­hen, dem ein fell­ar­ti­ges Gewand umge­legt wur­de. Das Bild­nis »David« (1624/​25) von Gian Loren­zo Ber­ni­ni ist als Selbst­por­trät des Künst­lers iden­ti­fi­ziert wor­den. Es lässt sich aber auch als Histo­ri­en­bild lesen. Ber­ni­ni zeigt David als Sie­ger im Kampf mit dem Goli­ath, gestal­tet vir­tu­os die Bewe­gung des Kör­pers, den gespann­ten Gesichtsausdruck.

Dann wie­der öff­net sich die »Alle­go­rie der gött­li­chen Weis­heit« (vor 1658) von Andrea Sac­chi illu­sio­ni­stisch in einen kos­mi­schen Raum, die gött­li­che Weis­heit auf einem gol­de­nen Thron wird durch die Che­ru­bim als Sitz der salo­mo­ni­schen Weis­heit flan­kiert. Ihr himm­li­scher Glanz brei­tet sich über Euro­pa als Zen­trum der Chri­sten­heit aus. Die bild­li­che Insze­nie­rung der Son­ne als Him­mels­kör­per gab Anlass zu Über­le­gun­gen, ob sich Sac­chi mit sei­nem Fres­ko bewusst auf das moder­ne helio­zen­tri­sche Welt­bild bezo­gen haben könn­te, wie es von Gali­lei und Cam­pa­nella ver­tre­ten wurde.

Der bedeu­tend­ste Cara­vag­gist war der Spa­ni­er Juse­pe de Ribe­ra, der sich viel län­ger als bis­her ange­nom­men in Rom auf­ge­hal­ten hat­te. In einer licht­erfüll­ten, expres­si­ven Wol­ken­land­schaft ließ er die her­bei­ge­eil­te Lie­bes­göt­tin Venus ent­setzt ihren ster­ben­den Gelieb­ten Ado­nis erblicken (»Venus und der ster­ben­de Ado­nis«, 1637). Die im Auf­ruhr befind­li­che Land­schaft ver­stärkt die Emo­tio­nen der Dar­ge­stell­ten. Gui­do Reni schuf mit der »Büßen­den Mag­da­le­na« (vor 1633) eine Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gur, die den Betrach­ter in einer büh­nen­ar­ti­gen Insze­nie­rung auf selbst­re­fle­xi­ve Wei­se emo­tio­nal mit der Hei­li­gen in Ver­bin­dung tre­ten lässt. War die Nach­ah­mung der Wirk­lich­keit, so Cara­vag­gio, oder die Ori­en­tie­rung am anti­ken Vor­bild, wie Reni glaub­te, pri­mär Auf­ga­be der Male­rei? In die­ser hef­tig geführ­ten Debat­te bezog Micha­el Sweerts in »Der Künst­ler bei der Arbeit« (Mit­te 17. Jahr­hun­dert) Stel­lung: Er gibt den Künst­ler durch die Hell­dun­kel­ma­le­rei als Cara­vag­gist zu erken­nen, wäh­rend er die bei­den anti­ken Büsten im Dun­keln ste­hen lässt.

Arte­mi­sia Gen­ti­le­schi, die wohl bekann­te­ste Male­rin die­ser Epo­che, ist mit zwei Wer­ken – »Baths­eba im Bade« (um 1635) und »Lucre­tia und Sex­tus Tar­qui­ni­us« (um 1630) – aus der Samm­lung der Stif­tung Preu­ßi­sche Schlös­ser und Gär­ten Ber­lin-Bran­den­burg in der Aus­stel­lung ver­tre­ten. Ihre Bil­der zei­gen Frau­en mit unge­wöhn­li­cher Aus­strah­lung, ihre Posen drücken eher das psy­chi­sche als das phy­si­sche Dra­ma aus.

Als Stadt­rund­gang führt die Audio­tour »Ita­li­en in Pots­dam« der Bar­be­ri­ni-App zu den 30 Gebäu­den und Kunst­wer­ken, die im 18. und 19. Jahr­hun­dert ent­stan­den sind. Pots­dam kommt einem in die­sen Mona­ten recht ita­lie­nisch vor.

»Wege des Barock. Die Natio­nal­ga­le­rien Bar­be­ri­ni Cor­si­ni in Rom«, Muse­um Bar­be­ri­ni, Pots­dam, Alter Markt, täg­lich außer Di 10-19 Uhr, bis 6. Okto­ber. Kata­log (Muse­ums­shop 29,90 €)