Mit einigem Abstand scheint es mir sinnvoll, auf die Zeit mit Corona zurückzublicken und festzustellen, wie die Krankheit und wie die Reaktionen darauf auf die Gesellschaft eingewirkt haben. Zunächst einmal ist festzustellen, dass Corona in fataler Weise einen Trend verstärkt hat, der uns bereits seit vielen Jahrzehnten bedroht: Den Trend zur Isolation, zur Atomisierung der Individuen. Es wurde als offizielle Ideologie verkündet, Abstand sei nun die neue Art der Solidarität. Ein Schelm, wer dabei an Orwell und sein »Neusprech« denkt. Im Falle von Corona traf es vor allem die angeblich besonders zu schützenden Vulnerablen, nämlich die Alten und Kranken. Erstaunlicherweise haben sich besonders die Jungen und diejenigen, die sich als links empfinden, mit geradezu fundamentalistischen, autoritären Vorschlägen hervorgetan. Auf Nachfragen erklärten auch sie, sie wollten die Vulnerablen schützen, sie wollten sich nicht schuldig machen am Tod des Großvaters, der Großmutter. Ein ehrenwertes Motiv. ABER: Wer so handelt, mag das für sich tun, aber es besteht immer die Gefahr, dass man die eigenen Vorsichtsmaßnahmen absolut setzt, sie anderen aufzwingen will. Außerdem hat sich die Strategie »Zero Covid« ja inzwischen im Musterland der Gängelung, in China, als absolute Katastrophe entpuppt.
In den Krankenhäusern und Altenheimen wurden die Betroffenen, wie auch sonst üblich, überhaupt nicht gefragt, sie mussten ohnmächtig hinnehmen, was verfügt wurde. Letztlich geht es dort immer nur um den Betriebsablauf: Den zu stören ist das größtmögliche Verbrechen. Und so sind Ungezählte ohne den Beistand ihrer Angehörigen gestorben oder an Einsamkeit zugrunde gegangen.
In Politik und Wissenschaft kamen liberale Stimmen kaum zu Wort. Es gab sie, das ist nicht zu leugnen. Doch sie wurden mit größtem Eifer niedergemacht. »Wir richten uns nur nach dem Stand der Wissenschaft«, tönte die Politik. Aber die Wissenschaft hatte als Standard etabliert, dass es eine Reihe von Jahren braucht, um einen Impfstoff zu entwickeln. Gegen diese bewährte wissenschaftliche Evidenz wurde den Leuten innerhalb weniger Monate ein Impfstoff präsentiert: Wie kann man sich noch wundern, dass daraufhin der Widerstand gegen diese intellektuelle Zumutung wuchs? Vor allem diejenigen, die in diesem Bereich arbeiteten, mussten sich ja wohl an den Kopf greifen, wenn von einem Tag auf den anderen alles umgeworfen wurde, was sie in Studium und Ausbildung über Jahre hinweg gelernt und praktiziert hatten! Zusätzlich wurde ruchbar, dass die Biontec-Spritze andere Eigenschaften hatte als frühere Impfstoffe. Wo die Nanopartikel, die darin verarbeitet werden, im Körper verblieben, das konnte niemand sagen. Trotzdem hieß es, all das sei alternativlos. Und so weiter und so fort – ich will hier nicht lange Bekanntes wiederholen. Kein Wunder, dass die Rechtsradikalen einen Aufschwung erlebten und dass die verunsicherten Massen bereit waren, angesichts der regierungsamtlichen Propaganda auch abstrusen Theorien Glauben zu schenken.
Die Testpflicht für SchülerInnen hat einen Kinderarzt aus Bad Salzuflen die Zulassung gekostet. Er hatte Videos veröffentlicht, in denen er die (besonders zu Anfang durchgehend durchgeführte) Praxis anprangerte, das Teststäbchen besonders tief in die Nase einzuführen und absichtlich die Schleimhaut zu verletzen, um sicher an mögliche Keime zu gelangen. In der Folge stiegen Hals- und Nasenentzündungen bei den Kindern an; außerdem erwähnte er Fälle, in denen sich die Kinder weigerten, zur Schule zu gehen, um sich der schmerzhaften Prozedur nicht mehr aussetzen zu müssen. Der Arzt schlug eine andere Testmethode vor: Die Kinder sollten ihren Nasenschleim auf eine Testfolie abgeben, dort erst sollte das Teststäbchen zum Einsatz kommen. Ein höchst plausibler Vorschlag, nicht jedoch für die Behörden, die mit disziplinarischen Maßnahmen reagierten.
Auch die Maskenpflicht in Schulen führte zu krassen und unbeabsichtigten Folgen. Ein Kind, dessen Zahn während des Unterrichts zu wackeln anfing, pulte so lange mit der Zunge daran herum, dass er sich schließlich völlig löste. Wie nun damit umgehen, ohne die Maske abzusetzen? Das Kind schluckte den Zahn schließlich herunter und sagte später, als man es fragte, warum es die Maske nicht abgesetzt hatte, um den Zahn aus dem Mund zu nehmen: »Aber das ist doch gefährlich!«
Bis heute habe ich ein mulmiges Gefühl, wenn ich einen Laden betrete, nicht gerade im Sinne von »Das ist doch gefährlich«, sondern: »Müsste ich jetzt nicht eine Maske aufsetzen, aber wo ist die?« Bis wir diese Prägungen loswerden, wird es noch eine Weile dauern.
Ich hatte ein seltsames Erlebnis, als die Maskenpflicht schon überall abgeschafft war, nur nicht bei der Bahn. Ich steige aus einem vollen Zug aus, der in meiner Stadt endet, großes Gedränge auf dem Bahnsteig, aber der Aufzug befindet sich ganz in der Nähe. Die Tür ist noch offen, und ich gehe hinein. An der gegenüberliegenden Seite steht eine Frau, eine weitere mit Kinderwagen in der Mitte. Als die Tür sich schon schließt, kommt noch ein Mann hinterher. Da sagt auf einmal die Frau, die als erste eingestiegen ist: »Nein, ich will raus, jetzt sind hier schon mehrere Leute ohne Maske!« Ich setze sofort meine Maske wieder auf und frage die Frau, was sie denn an anderen Orten mache, wo die Maskenpflicht aufgehoben sei? Die Maske wurde zu einem Fetisch. Und dann hieß es auch noch, dass der Gebrauch der Maske, statt zu schützen, im Gegenteil dazu geführt hat, dass das Immunsystem der Menschen geschwächt wurde. Wenn sich das nachweisen ließe, wäre es ein weiterer Beleg der Tatsache, dass angesichts einer Pandemie alle Vorsichtsmaßnahmen vergeblich sind oder zumindest ungeplante Nebenwirkungen entfalten.
Ich selbst habe alle Vorschriften zähneknirschend befolgt, in Abwägung der gesellschaftlichen Nachteile der Nichtbefolgung, nicht aus Überzeugung. Die Freiheit war mir immer wichtiger, oder andersherum: Von den staatlichen Vorschriften habe ich niemals eine wirkliche Verbesserung der Lage erwartet.
Geschichtlich ist die Coronasituation natürlich nichts Neues. Schon immer haben die Behörden zu hilflosen Extremmaßnahmen gegriffen, die so gut wie nichts bewirkt, aber großen gesellschaftlichen Schaden angerichtet haben, ob es um Pest oder Cholera oder sonst eine Epidemie ging. Ich erinnere mich an Geschichten und Legenden von selbstlosen Menschen, denen die Menschlichkeit über alles ging und die trotz aller Verbote die Kranken gepflegt und versorgt haben. Manche von ihnen sind an der jeweiligen Epidemie gestorben, andere nicht. Später wurden sie als Heilige verehrt, dabei haben sie nur das gemacht, was sie machen mussten, weil sie ihre Menschlichkeit bewahren und die Ausgestoßenen nicht ihrem Schicksal überlassen wollten.