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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Gesundheit und Rüstung

»Jetzt muss end­lich was pas­sie­ren, weil sonst etwas in mir zer­bricht«, sang Kon­stan­tin Wecker vor 43 Jah­ren, und im Refrain bekann­te er: »Genug ist nicht genug, ich lass’ mich nicht betrü­gen. Schon Schwei­gen ist Betrug. Genug kann nie genü­gen.« Seit­her ist vie­les pas­siert, wenn auch nicht das, was sich Kon­stan­tin Wecker erhoff­te, sogar Undenk­ba­res, wie jetzt die Coro­na-Pan­de­mie, von der man­che behaup­ten, nach ihr wer­de nichts mehr so sein, wie es mal war.

Bis auf ein paar Äußer­lich­kei­ten wie das Tra­gen von Gesichts­mas­ken und ein paar geän­der­te Benimm­re­geln wird sich wohl nicht viel ändern. Der Rüstungs­wahn­sinn zum Bei­spiel bleibt uns sicher erhal­ten. Die poli­ti­schen Akteu­re haben ihn so ver­in­ner­licht, dass sie nichts dabei fin­den, für die Bun­des­wehr einen Pan­zer wie den Leo­pard 2 ange­schafft zu haben, der nach Her­stel­ler­an­ga­ben 340 Liter Die­sel auf 100 Kilo­me­ter ver­braucht. Die­sel­ben Leu­te reden uns heu­te ein, wir soll­ten der Umwelt zulie­be mög­lichst kei­ne Die­sel­fahr­zeu­ge mehr benut­zen und uns statt­des­sen ein Auto mit Elek­tro­an­trieb zule­gen. Wenn es nur das wäre!

Als die Coro­na-Kri­se den Hori­zont zu ver­dü­stern begann, gab der Haus­halts­aus­schuss des Bun­des­ta­ges am 11. März grü­nes Licht für die mil­li­ar­den­schwe­re Ent­wick­lung einer neu­en Pan­zer­ge­ne­ra­ti­on. Geprie­sen wur­de das Vor­ha­ben als wich­ti­ger Schritt in der Zusam­men­ar­beit zwi­schen Frank­reich und Deutsch­land. Zu der­sel­ben Zeit, da Ein­ge­weih­te sich sorg­ten, ob genü­gend Bet­ten für Coro­na-Pati­en­ten bereit­stün­den, ver­han­del­te Anne­gret Kramp-Kar­ren­bau­er mit den USA zur Siche­rung der »nuklea­ren Teil­ha­be« Deutsch­lands über den Kauf neu­er Kampf­flug­zeu­ge, die in Deutsch­land gela­ger­te Atom­bom­ben im Fal­le eines Fal­les ins Ziel brin­gen sol­len. Ein selbst­mör­de­ri­sches Hirn­ge­spinst, unver­ein­bar mit dem deut­schen Ver­zicht auf Atomwaffen.

Um wel­che Sum­men es bei moder­nen Kampf­flug­zeu­gen geht, lässt sich am Preis eines ent­spre­chend aus­ge­rü­ste­ten Pilo­ten­helms able­sen. Er kostet so viel wie 30 VW-Golf zusam­men, näm­lich 737.800 Dol­lar. Gab es einen Auf­schrei des Pro­te­stes ange­sichts die­ser irr­wit­zi­gen Sum­me? Mit­ten in der Coro­na-Kri­se wur­de in Ber­lin über die nach­träg­li­che Bewaff­nung fern­ge­steu­er­ter Auf­klä­rungs­droh­nen der Bun­des­wehr dis­ku­tiert, also über ihre Umwand­lung in Kil­ler­ma­schi­nen, wie sie von den USA zur Tötung von Men­schen vom Schreib­tisch aus benutzt wer­den. Das sei wich­tig für den Schutz unse­rer Sol­da­ten in Mali, hieß es dazu. Fragt man, was die Sol­da­ten dort eigent­lich machen, dann heißt es, sie ver­tei­di­gen, wie einst am Hin­du­kusch, unse­re Sicher­heit. In Wirk­lich­keit schüt­zen sie wohl eher den Abbau von Uran, das Frank­reich dort für sei­ne Kern­kraft­wer­ke und sei­ne Atom­bom­ben aus dem Boden holt.

Mit­ten in der Coro­na-Kri­se, als vie­le Betrie­be um ihre Exi­stenz bang­ten und kei­ner so recht wuss­te, wie viel Geld es wohl kosten wür­de, der Wirt­schaft wie­der auf die Bei­ne zu hel­fen, sag­te die Bun­des­re­gie­rung der NATO ins­ge­heim zu, die deut­schen Ver­tei­di­gungs­aus­ga­ben erst­mals auf mehr als 50 Mil­li­ar­den Euro jähr­lich zu erhö­hen; das ent­spricht einer Stei­ge­rung um 6,4 Pro­zent. Offi­zi­ell hält die Regie­rung damit immer noch hin­ter dem Ber­ge. Die Deut­sche Pres­se-Agen­tur hat nach eige­nen Anga­ben aus NATO-Krei­sen in Brüs­sel davon erfah­ren und den Coup in Ber­li­ner Mili­tär­krei­sen bestä­tigt bekom­men. So kam die Sache an die Öffentlichkeit.

Gab es wenig­stens in die­sem Fall einen gehar­nisch­ten Pro­test von wem auch immer? Zu mehr als dem dezen­ten Hin­weis, auch etwas für die Abrü­stung zu tun, konn­te sich die SPD nicht auf­raf­fen. Dabei wird es auf abseh­ba­re Zeit kaum eine gün­sti­ge­re Gele­gen­heit geben, das The­ma Abrü­stung als vor­dring­lich auf die Tages­ord­nung zu set­zen, als gera­de jetzt, da sich mehr Men­schen als jemals zuvor Gedan­ken über die Zukunft machen. Der Anteil der Mili­tär­aus­ga­ben am deut­schen Brut­to­in­lands­pro­dukt ist nicht groß, wie man ver­mu­ten könn­te; er beträgt nach Berech­nun­gen des Stock­hol­mer Frie­dens­for­schungs­in­sti­tuts SIPRI etwas mehr als ein Pro­zent. Die deut­sche Wirt­schaft und der Arbeits­markt wür­den also nicht zusam­men­bre­chen, wenn die deut­sche Rüstungs­in­du­strie kür­zer tre­ten müss­te bezie­hungs­wei­se in ande­re metall­ver­ar­bei­ten­de Berei­che expandierte.

Man stel­le sich vor, die Medi­en rund um den Glo­bus ver­brei­te­ten eines Tages die Nach­richt, Deutsch­land habe als Kon­se­quenz aus der Coro­na-Kri­se sei­ne Mili­tär­aus­ga­ben zugun­sten des Gesund­heits­we­sens um die Hälf­te gekürzt. 25 Mil­li­ar­den – auf einen Schlag frei für lebens­ret­ten­de Inve­sti­tio­nen! Die elek­tri­sie­ren­de Wir­kung wäre gewal­tig. Viel­leicht sän­ge uns Kon­stan­tin Wecker dann auch ein neu­es Lied und sein sanf­tes »Genug ist nicht genug« bekä­me einen ganz neu­en Klang.