Im August 1969 flog man die 22-jährige Musikerin Melanie mit dem Hubschrauber zum riesigen Musikfestival in Woodstock, New York. Es regnete, weshalb die Incredible String Band nicht auftreten wollte. Melanie sollte dafür raus und vor 500 000 Leuten singen. Sie ging nass auf die Bühne und dachte: »Das kann ich nicht machen, ich habe keine Hits, niemand kennt mich.« Sie hatte keine Musiker dabei, keinen Roadie, nur ihre Mutter. Sie sang ein paar Lieder, ging von der Bühne – und war berühmt. »Ein unglaublicher, angsteinflößender Tag«, sagte sie später. Darüber schrieb sie den Song »Lay Down (Candles In The Rain)«, den sie mit den Edwin Hawkins Singers gospelartig aufnahm und ein halbes Jahr nach Woodstock veröffentlichte: Nun hatte sie einen Hit, vielleicht sogar ihren besten, der es in den USA in die Top 10 schaffte.
Am 23. Januar ist Melanie, die Singer-Songwriterin mit der »wunderlich-originellen Stimme, die altersmäßig zwischen vier und vierzig oszilliert« (Newsweek) im Alter von 76 Jahren gestorben. Weder der genaue Ort noch die Ursache ihres Todes wurden bekannt gegeben. Ihre drei Kinder erklärten aber in einem Statement: »Sie war eine der talentiertesten, stärksten und leidenschaftlichsten Frauen ihrer Zeit, und jedes Wort, das sie schrieb, jede Note, die sie sang, reflektierte das. Unsere Welt ist viel trüber, die Farben einer verregneten Tennessee-Blässe sind viel düsterer ohne sie.«
Melanies Songs sind laut dem britischen The Guardian ein Mix aus erdigem Folk, traurigem Blues und rhapsodischem Pop. Sie sind aufrichtig und sensibel, handeln von Liebe, Einsamkeit, Angst, Adoleszenz-Problemen und Hippie-Träumen. Melanie hat 28 Alben veröffentlicht, zuletzt im Jahre 2010 »Ever Since You Never Heard of Me«. 1970 war sie erfolgreich mit dem Lied »What Have They Done to My Song Ma« und dessen Single-B-Seite, dem vor allem in Europa bekannten Rolling-Stones-Cover »Ruby Tuesday«. 1971 landete sie mit dem genial-schlichten »Brand New Key« in den USA für drei Wochen auf der Nummer 1. Sowohl Ray Charles als auch Nina Simone coverten den Song. Das Lied, das Melanie in nur 15 Minuten geschrieben hatte, wurde allerdings von einigen USA-Radiostationen wegen angeblichen sexuellen Andeutungen verbannt, was Melanie von sich wies. Aber hatte nicht auch John Lennon immer erklärt, der Beatles-Song »Lucy In The Sky With Diamonds« (man lese die Anfangsbuchstaben der Substantive) handele nicht von LSD? »Brand New Key« jedenfalls, war bereits Melanies letzter großer Hit.
Die Plattenverkäufe gingen nach 1973 merklich zurück. 1989 bekam sie einen Emmy, weil sie den Text zum Themen-Song der Serie »Beauty and the Beast« geschrieben hatte. Musiker wie Morrissey, der ihr Lied »Some Say (I Got Devil)« 2019 coverte, und Jarvis Cocker von Pulp waren Fans von ihr.
Melanie wurde am 3. Februar 1947 in Queens, New York, als Melanie Anne Safka geboren. Sie war Tochter eines russisch-ukrainischen Vaters und einer italienischstämmigen Blues- und Jazz-Sängerin. In New York studierte sie Schauspiel an der American Academy of Dramatic Arts. Bereits als Teenager begleitete sie sich zur Gitarre in Clubs von Long Branch, New Jersey, wohin die Familie zeitweise zog, und dann, später, im Mekka der USA-Folkmusik Greenwich Village, New York. 1967 verirrte sie sich – sie wollte eigentlich für eine Theaterrolle vorsprechen – in das Büro des New Yorker Plattenproduzenten Peter Schekeryk und wurde von diesem nicht nur unter Vertrag genommen und fortan gemanagt, sondern auch geheiratet. 1968 veröffentlichte sie ihr Debütalbum »Born To Be«. Dann kam Woodstock, und alles wurde sehr viel größer. 1970 und 1971 folgten drei erfolgreiche Alben und ein bejubelter Auftritt auf der Isle of Wight (England), so dass sie 1972 vom USA-Magazin Billboard, der New York Daily News und dem britischen Disc and Music Echo zur Sängerin des Jahres gewählt wurde. 1971 gründete sie ihr eigenes Plattenlabel Neighborhood Records, »ein Schlag ins Gesicht der Musikindustrie«, so Melanie. Doch dann nahm sie sich eine längere Pause und wurde Mutter von drei Kindern. Allerdings beteiligte sie sich 1974 an einem Gedenkkonzert für den linken chilenischen Präsidenten Salvador Allende, gemeinsam mit Bob Dylan, Arlo Guthrie und Dave Van Ronk. Ab Mitte der 1970er veröffentlichte sie dann drei weitere Alben, die alle floppten, so dass sie mehrere Jahre lang jegliches Plattenstudio mied. Als sie 1991 »Precious Cargo« veröffentlichte, schrieb das USA-Magazin Stereo Review: »Gäbe es doch mehr wie sie aus Fleisch und Blut, dann könnte die Popmusik aus den Klauen der Androiden befreit werden.« Und über ihr Coveralbum »Moments From My Life« (2002) schrieb der Nestor der USA-Folkmusik, Pete Seeger: »Eine der großen Damen der Woodstock-Riege hat nach 35 Jahren nichts an Musikalität, Ausstrahlung, Energie und Einfallsreichtum eingebüßt.«