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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Candles in the Rain

Im August 1969 flog man die 22-jäh­ri­ge Musi­ke­rin Mela­nie mit dem Hub­schrau­ber zum rie­si­gen Musik­fe­sti­val in Wood­stock, New York. Es reg­ne­te, wes­halb die Incre­di­ble String Band nicht auf­tre­ten woll­te. Mela­nie soll­te dafür raus und vor 500 000 Leu­ten sin­gen. Sie ging nass auf die Büh­ne und dach­te: »Das kann ich nicht machen, ich habe kei­ne Hits, nie­mand kennt mich.« Sie hat­te kei­ne Musi­ker dabei, kei­nen Roa­die, nur ihre Mut­ter. Sie sang ein paar Lie­der, ging von der Büh­ne – und war berühmt. »Ein unglaub­li­cher, angst­ein­flö­ßen­der Tag«, sag­te sie spä­ter. Dar­über schrieb sie den Song »Lay Down (Cand­les In The Rain)«, den sie mit den Edwin Haw­kins Sin­gers gos­pel­ar­tig auf­nahm und ein hal­bes Jahr nach Wood­stock ver­öf­fent­lich­te: Nun hat­te sie einen Hit, viel­leicht sogar ihren besten, der es in den USA in die Top 10 schaffte.

Am 23. Janu­ar ist Mela­nie, die Sin­ger-Song­wri­te­rin mit der »wun­der­lich-ori­gi­nel­len Stim­me, die alters­mä­ßig zwi­schen vier und vier­zig oszil­liert« (News­week) im Alter von 76 Jah­ren gestor­ben. Weder der genaue Ort noch die Ursa­che ihres Todes wur­den bekannt gege­ben. Ihre drei Kin­der erklär­ten aber in einem State­ment: »Sie war eine der talen­tier­te­sten, stärk­sten und lei­den­schaft­lich­sten Frau­en ihrer Zeit, und jedes Wort, das sie schrieb, jede Note, die sie sang, reflek­tier­te das. Unse­re Welt ist viel trü­ber, die Far­ben einer ver­reg­ne­ten Ten­nes­see-Bläs­se sind viel düste­rer ohne sie.«

Mela­nies Songs sind laut dem bri­ti­schen The Guar­di­an ein Mix aus erdi­gem Folk, trau­ri­gem Blues und rhap­so­dischem Pop. Sie sind auf­rich­tig und sen­si­bel, han­deln von Lie­be, Ein­sam­keit, Angst, Ado­les­zenz-Pro­ble­men und Hip­pie-Träu­men. Mela­nie hat 28 Alben ver­öf­fent­licht, zuletzt im Jah­re 2010 »Ever Sin­ce You Never Heard of Me«. 1970 war sie erfolg­reich mit dem Lied »What Have They Done to My Song Ma« und des­sen Sin­gle-B-Sei­te, dem vor allem in Euro­pa bekann­ten Rol­ling-Stones-Cover »Ruby Tues­day«. 1971 lan­de­te sie mit dem geni­al-schlich­ten »Brand New Key« in den USA für drei Wochen auf der Num­mer 1. Sowohl Ray Charles als auch Nina Simo­ne cover­ten den Song. Das Lied, das Mela­nie in nur 15 Minu­ten geschrie­ben hat­te, wur­de aller­dings von eini­gen USA-Radio­sta­tio­nen wegen angeb­li­chen sexu­el­len Andeu­tun­gen ver­bannt, was Mela­nie von sich wies. Aber hat­te nicht auch John Len­non immer erklärt, der Beat­les-Song »Lucy In The Sky With Dia­monds« (man lese die Anfangs­buch­sta­ben der Sub­stan­ti­ve) han­de­le nicht von LSD? »Brand New Key« jeden­falls, war bereits Mela­nies letz­ter gro­ßer Hit.

Die Plat­ten­ver­käu­fe gin­gen nach 1973 merk­lich zurück. 1989 bekam sie einen Emmy, weil sie den Text zum The­men-Song der Serie »Beau­ty and the Beast« geschrie­ben hat­te. Musi­ker wie Mor­ris­sey, der ihr Lied »Some Say (I Got Devil)« 2019 cover­te, und Jar­vis Cocker von Pulp waren Fans von ihr.

Mela­nie wur­de am 3. Febru­ar 1947 in Queens, New York, als Mela­nie Anne Saf­ka gebo­ren. Sie war Toch­ter eines rus­sisch-ukrai­ni­schen Vaters und einer ita­lie­nisch­stäm­mi­gen Blues- und Jazz-Sän­ge­rin. In New York stu­dier­te sie Schau­spiel an der Ame­ri­can Aca­de­my of Dra­ma­tic Arts. Bereits als Teen­ager beglei­te­te sie sich zur Gitar­re in Clubs von Long Branch, New Jer­sey, wohin die Fami­lie zeit­wei­se zog, und dann, spä­ter, im Mek­ka der USA-Folk­mu­sik Green­wich Vil­la­ge, New York. 1967 ver­irr­te sie sich – sie woll­te eigent­lich für eine Thea­ter­rol­le vor­spre­chen – in das Büro des New Yor­ker Plat­ten­pro­du­zen­ten Peter Sche­keryk und wur­de von die­sem nicht nur unter Ver­trag genom­men und fort­an gema­nagt, son­dern auch gehei­ra­tet. 1968 ver­öf­fent­lich­te sie ihr Debüt­al­bum »Born To Be«. Dann kam Wood­stock, und alles wur­de sehr viel grö­ßer. 1970 und 1971 folg­ten drei erfolg­rei­che Alben und ein beju­bel­ter Auf­tritt auf der Isle of Wight (Eng­land), so dass sie 1972 vom USA-Maga­zin Bill­board, der New York Dai­ly News und dem bri­ti­schen Disc and Music Echo zur Sän­ge­rin des Jah­res gewählt wur­de. 1971 grün­de­te sie ihr eige­nes Plat­ten­la­bel Neigh­bor­hood Records, »ein Schlag ins Gesicht der Musik­in­du­strie«, so Mela­nie. Doch dann nahm sie sich eine län­ge­re Pau­se und wur­de Mut­ter von drei Kin­dern. Aller­dings betei­lig­te sie sich 1974 an einem Gedenk­kon­zert für den lin­ken chi­le­ni­schen Prä­si­den­ten Sal­va­dor Allen­de, gemein­sam mit Bob Dylan, Arlo Gut­hrie und Dave Van Ronk. Ab Mit­te der 1970er ver­öf­fent­lich­te sie dann drei wei­te­re Alben, die alle flopp­ten, so dass sie meh­re­re Jah­re lang jeg­li­ches Plat­ten­stu­dio mied. Als sie 1991 »Pre­cious Car­go« ver­öf­fent­lich­te, schrieb das USA-Maga­zin Ste­reo Review: »Gäbe es doch mehr wie sie aus Fleisch und Blut, dann könn­te die Pop­mu­sik aus den Klau­en der Andro­iden befreit wer­den.« Und über ihr Cover­al­bum »Moments From My Life« (2002) schrieb der Nestor der USA-Folk­mu­sik, Pete See­ger: »Eine der gro­ßen Damen der Wood­stock-Rie­ge hat nach 35 Jah­ren nichts an Musi­ka­li­tät, Aus­strah­lung, Ener­gie und Ein­falls­reich­tum eingebüßt.«