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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Caillebotte: Im Netzwerk des Impressionismus

Eigent­lich soll­te er das väter­li­che Unter­neh­men über­neh­men, aber dann wand­te sich Gust­ave Cail­le­bot­te der Kunst zu. Frü­he Gemäl­de bele­gen sein Inter­es­se an klar geglie­der­ten Raum­struk­tu­ren und foto­gra­fisch anmu­ten­den Weit­win­kel­per­spek­ti­ven. Den aka­de­mi­schen Mal­stil, in dem er unter­wie­sen wur­de, gab er schnell auf und schloss sich der künst­le­ri­schen Avant­gar­de, den impres­sio­ni­sti­schen »Par­ti­sa­nen«, an. Doch ging es ihm zunächst weni­ger dar­um, den eige­nen Durch­bruch als Maler zu betrei­ben, als viel­mehr, den der impres­sio­ni­sti­schen Künst­ler zu för­dern. Er setz­te sein Ver­mö­gen ein, um Maler der neu­en Rich­tung, dar­un­ter Camil­le Piss­ar­ro und Clau­de Monet, finan­zi­ell zu unter­stüt­zen. Er über­nahm die Rol­le eines Orga­ni­sa­tors und Finan­ziers der Impres­sio­ni­sten, bau­te eine eige­ne Samm­lung auf. Strei­tig­kei­ten unter den Impres­sio­ni­sten lie­ßen die sie­ben­te Impres­sio­ni­sten­aus­stel­lung, die schon ohne Degas statt­fand, auch zur letz­ten Teil­nah­me von Cail­le­bot­te, Monet und Renoir wer­den. Von nun an soll­te die Ein­zel­aus­stel­lung die gemein­schaft­li­che Prä­sen­ta­ti­on ablösen.

Als Cail­le­bot­te bereits mit 44 Jah­ren – 1894 – starb, hat­te er sei­ne Impres­sio­ni­sten-Samm­lung – etwa 65 Wer­ke, dar­un­ter Haupt­wer­ke wie Manets »Der Bal­kon«, Renoirs »Ball im Moulin de la Galet­te« und »Die Schau­kel« wie auch die »Baden­den« von Cézan­ne oder Monets »Der Bahn­hof Saint-Laza­re« – dem fran­zö­si­schen Staat über­eig­net. Erst­mals kam der Impres­sio­nis­mus in Muse­ums­be­sitz und wur­de damals – nicht ohne Wider­stand – im Musée du Luxem­burg in einem eige­nen Impres­sio­nis­mus-Saal aus­ge­stellt. Fast zeit­gleich war Hugo von Tschu­di als soeben beru­fe­ner Direk­tor der Ber­li­ner Gemäl­de­ga­le­rie mit Max Lie­ber­mann nach Paris gereist und erwarb hier mit Hil­fe pri­va­ter Geld­ge­ber über 30 Wer­ke aus­län­di­scher – vor­nehm­lich impres­sio­ni­sti­scher – Künst­ler. Erst dann bean­trag­te er bei Wil­helm II. ihre Auf­nah­me in die Gale­rie als Schen­kung. Bis zum end­gül­ti­gen Bruch mit dem Kai­ser und sei­ner Demis­si­on 1908 konn­te er mit Wer­ken von Manet, Renoir, Monet, Degas, Cezan­ne, Sis­ley und Piss­ar­ro den Grund­stock zu einer der ersten Impres­sio­ni­sten-Samm­lun­gen in einem deut­schen Muse­um zusammentragen.

Cail­le­bot­tes eige­nes Werk wur­de dage­gen nach sei­nem Tode weit­ge­hend ver­ges­sen, erst 50 Jah­re spä­ter erschien die erste Mono­gra­phie über ihn, und es ver­gin­gen dann noch ein­mal 50 Jah­re, bis die ersten gro­ßen Retro­spek­ti­ven in Paris, Chi­ca­go und Los Ange­les statt­fan­den und sein male­ri­sches Werk end­gül­tig wie­der ins Bewusst­sein der Zeit geho­ben wurde.

Die­se Vor­ge­schich­te muss man ken­nen, um die Bedeu­tung ein­zu­schät­zen, die die gegen­wär­ti­ge Cail­le­bot­te-Schau in der Alten Natio­nal­ga­le­rie aus­zeich­net. Im Gegen­zug zum Ver­leih des »Win­ter­gar­tens« von Manet ist Cail­le­bot­tes »Stra­ße in Paris«, eine Iko­ne des Impres­sio­nis­mus, aus dem Art Insti­tu­te of Chi­ca­go nach Ber­lin gekom­men, dazu wei­te­re Haupt­wer­ke aus der Samm­lung Cail­le­bot­te, die sich heu­te im Musée d’ Orsay befin­den, sowie aus inter­na­tio­na­lem Muse­ums- und Pri­vat­be­sitz. Sie ergän­zen in her­vor­ra­gen­der Wei­se – wenn auch nur für die Dau­er der Aus­stel­lung – die Impres­sio­ni­sten-Samm­lung der Alten Natio­nal­ga­le­rie, machen die­se im Ver­gleich neu erleb­bar und eröff­nen neue Per­spek­ti­ven auf bei­de Sammlungen.

Cail­le­bot­te mal­te Paris und Land­schaf­ten, die er kann­te, por­trä­tier­te die ihm nahe­ste­hen­den Men­schen, das eige­ne groß­bür­ger­li­che Milieu. Er fer­tig­te sei­ne Gemäl­de im Ate­lier sehr sorg­fäl­tig nach Vor­stu­di­en an. Sei­ne Groß­stadt­vi­sio­nen unter­schei­den sich von den atmo­sphä­ri­schen Schöp­fun­gen des Hoch-Impres­sio­nis­mus durch die spek­ta­ku­lä­ren per­spek­ti­vi­schen Kon­struk­tio­nen und den Ein­druck der ein­ge­fro­re­nen Bewe­gungs­mo­men­te von den atmo­sphä­ri­schen Gestal­tun­gen der Impres­sio­ni­sten. Vie­le sei­ner Bil­der wir­ken wie Moment­fo­to­gra­fien, wie Schnapp­schüs­se und damit wie Aus­schnit­te der Rea­li­tät. So offe­rier­te Cail­le­bot­te mit der »Stra­ße in Paris« (1877) und der »Pont de l’Europe« (1876/​77) den Augen der Zeit­ge­nos­sen eine Moder­ni­tät, die jede Tra­di­ti­on hin­ter sich ließ, wie es in einer zeit­ge­nös­si­schen Rezen­si­on hieß. Gera­de in der »Stra­ße in Paris« sind die Per­so­nen im Vor­der­grund fast in Lebens­grö­ße wie­der­ge­ge­ben und erwecken den Anschein, gleich aus dem Bild­rah­men her­aus­zu­tre­ten, wäh­rend die Flucht­per­spek­ti­ve den Betrach­ter­blick umge­kehrt ins Bild hin­ein­zieht und rät­sel­haf­te Span­nung erzeugt. Dage­gen führt das guss­ei­ser­ne Gelän­der der Eisen­bahn­brücke »Pont de l’Europe« in einer brei­ten, bild­be­herr­schen­den Dia­go­na­le von rechts nach links in die Tie­fe des Bild­rau­mes. An der Brü­stung schaut ein Arbei­ter in den Abgrund, wäh­rend ein ele­gant geklei­de­tes Paar auf den Betrach­ter zugeht und ein Hund wie­der­um ins Bild hin­ein­läuft. Die per­spek­ti­vi­sche Raum­dar­stel­lung asso­zi­iert durch bewuss­te Ver­zer­run­gen Insta­bi­li­tät, ja sogar Gefähr­dung. Impres­sio­ni­sti­sche Kli­schees von der sin­nen­fro­hen Auf­lö­sung von Welt und Motiv ver­lie­ren ange­sichts der streng kal­ku­lier­ten Bil­der von Cail­le­bot­te ihre Gel­tung. Die gewag­ten Nahan­sich­ten und unge­wöhn­li­chen Figu­ren­kon­stel­la­tio­nen, die schräg im Bild ste­hen­den Ver­ti­ka­len, die Sturz­per­spek­ti­ve wie die Beto­nung der kla­ren Kon­tur geo­me­tri­scher For­men waren bei­spiel­los in der dama­li­gen zeit­ge­nös­si­schen Malerei.

»Gust­ave Cail­le­bot­te. Maler und Mäzen des Impres­sio­nis­mus«, Alte Natio­nal­ga­le­rie, Muse­ums­in­sel Ber­lin, bis 15. Sep­tem­ber. Kata­log 22 €