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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Bunte Wege

Zum Pla­teau auf den See­lower Höhen gelangt man über ver­schie­de­ne Stu­fen und Schrä­gen. Unzäh­li­ge Male war ich dort oben und schau­te wie der Sol­dat aus Bron­ze ins Oder­bruch. Die Denk­mal­an­la­ge hat­ten im Herbst vor 75 Jah­ren Lew Ker­bel und Wla­di­mir Zigal geschaf­fen, die bei­den zeich­ne­ten auch ver­ant­wort­lich für die zeit­gleich im Ber­li­ner Tier­gar­ten errich­te­te. Und immer lenk­te ich, wenn die Höhe erklom­men, sofort mei­ne Schrit­te nach links zum Grä­ber­feld. Man hät­te auch gera­de­aus gehen und wei­te­re Stu­fen neh­men kön­nen, doch stets ver­sperr­te eine schmie­de­ei­ser­ne Ket­te den Auf­stieg, und ein dar­an befe­stig­tes Schild warn­te: »Kein Durch­gang. Betre­ten auf eige­ne Gefahr!« Dar­an hielt ich mich, wie alle ande­ren es auch taten – bis mir auf­ging: Die Risi­ko­war­nung bedeu­tet ja nicht, dass man über­haupt nicht die­sen Weg neh­men dürfe.

Also stieg ich mutig über die Ket­te und die bemoo­sten Stu­fen hin­auf. Und nach der letz­ten Stu­fe lagen Pfla­ster­stei­ne in Rei­he. Schwarz, rot, gold und grau … Wer hat­te die­se Fah­ne ausgebreitet?

Nun wuss­te ich, dass die DDR zum 50. Jah­res­tag der Grün­dung der UdSSR im Jah­re 1972 die Gedenk­stät­te neu gestal­tet und mit einem Muse­um ergänzt hat­te, das dem Kom­man­do­stand von Mar­schall Shu­kow nach­emp­fun­den war, von dem aus er den Sturm auf die See­lower Höhen kom­man­diert hat­te. Aber gab es die­sen Weg damals schon? Ich konn­te mich nicht ent­sin­nen. Also recher­chier­te ich im Netz.

Und tat­säch­lich: Der Neben­weg war erst Jah­re spä­ter vom See­lower Kreis­bau­be­trieb ange­legt wor­den. Mit den glei­chen Plat­ten, die er bereits am Fuße des Denk­mals ver­legt hat­te. Aber um deut­lich zu machen, dass die­ser Pfad nicht Teil der (spä­ter denk­mal­ge­schütz­ten) Anla­ge war, wur­den die dort ein­ge­setz­ten Plat­ten farb­lich abge­setzt. Der Bau­be­trieb besorg­te sich vom VEB Kali-Che­mie Far­ben­fa­brik Ner­chau im Bezirk Leip­zig eini­ge Fäs­ser, um die Far­ben dem Beton für die Plat­ten unter­zu­mi­schen. Nun ist nicht über­lie­fert, ob es an Farb­pig­men­ten man­gel­te oder an der Fan­ta­sie der Kreis­bau­be­trieb­ler. Jeden­falls nah­men sie nur Gelb, Rot und Schwarz mit nach See­low. Zunächst hieß es, sie soll­ten beim Ver­le­gen fle­xi­bel sein, wie es in den sieb­zi­ger Jah­ren modern war, also kreuz und quer, auf kei­nen Fall Bah­nen. Das könn­te als Fah­ne wahr­ge­nom­men wer­den, und eine Flag­ge tritt man nicht mit Füßen. »Wir haben damals die Beton­plat­ten so ver­legt, wie wir es für gut befun­den haben. Da hat uns nie­mand groß rein­ge­re­det«, sag­te Hubert Nowak 2017 der Lokal­pres­se. In den Sieb­zi­gern lei­te­te er den Kreisbaubetrieb.

Nun waren Far­be und Beton wohl nicht der beste, bei­des ver­wit­ter­te, und als nach fast einem hal­ben Jahr­hun­dert die Restau­rie­rung der gesam­ten Gedenk­stät­te beschlos­sen wur­de – natür­lich den grau­en Neben­weg ein­ge­schlos­sen –, da erin­ner­te sich nie­mand mehr, wie der mal aus­ge­se­hen hat­te. Aber die Bau­ar­bei­ter ent­deck­ten, als sie die alten Plat­ten ent­fern­ten, an deren Unter­sei­te die ursprüng­li­chen Far­ben. Und da sie von der Denk­mal­pfle­ge die Auf­la­ge bekom­men hat­ten, den ursprüng­li­chen Zustand her­zu­stel­len, ver­leg­ten sie neue Stei­ne in eben jenen drei Far­ben. Aller­dings in Bah­nen, weil sie die Histo­rie und die Frei­heit in der Dik­ta­tur beim Ver­le­gen von Stei­nen nicht kann­ten. Nur die vier­te Bahn lie­ßen sie grau. Die deut­sche Fah­ne ist schließ­lich eine Tri­ko­lo­re und nicht vierfarbig.

Die Maß­nah­me ver­ur­sach­te Trä­nen: beim bran­den­bur­gi­schen Lan­des­kon­ser­va­tor Trä­nen der Ent­rü­stung, beim bun­des­wei­ten Publi­kum Trä­nen der Hei­ter­keit. Der Kon­flikt zog näm­lich durch die Pres­se, denn einer­seits hat­ten sich die Bau­ar­bei­ter an die Vor­ga­be gehal­ten – ande­rer­seits hat­te der Lan­des­kon­ser­va­tor damit gemeint, dass der Fuß­weg wie­der so grau wer­den soll­te, wie er bei Beginn der Restau­rie­rung war. So miss­ver­ständ­lich kann Denk­mal­pfle­ge mit­un­ter sein, wenn unklar ist, was ursprüng­lich meint. Es gab eine gro­ße Run­de mit allen Betei­lig­ten beim Land­rat, und vir­tu­ell saßen auch drei Spen­der mit am Tisch, die zusam­men 45.000 Euro für den Weg auf den Weg gebracht hatten.

Das war im Früh­jahr 2017. Seit­her hat man nichts wie­der dar­über gele­sen oder gehört.

Ich stieg also unlängst am Ende des Wegs über die zwei­te Absper­rung und wuss­te nun um deren eigent­li­che Bedeu­tung: Die bei­den Ket­ten lösten das Pro­blem, das augen­schein­lich nicht gelöst wor­den war.

Beim näch­sten Besuch wer­de ich wie­der nach links abbie­gen und die­sen Weg mei­den. Er exi­stiert ja prak­tisch nicht.