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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Buchproduktion mit Hindernissen

Es gilt ein Buch vor­zu­stel­len, des­sen Erschei­nen etwas Ant­ago­ni­sti­sches anhaf­tet. Mit­te des Jah­res 1987 fan­den in der sene­ga­le­si­schen Haupt­stadt Dakar über meh­re­re Tage hin­weg Gesprä­che zwi­schen füh­ren­den Exil-Kräf­ten der süd­afri­ka­ni­schen Befrei­ungs­be­we­gung ANC und eini­gen muti­gen libe­ra­len »wei­ßen« Süd­afri­ka­nern unter Lei­tung des Poli­ti­kers Fre­de­rik van Zyl Slab­bert, dar­un­ter Wis­sen­schaft­ler, Theo­lo­gen, Künst­ler, Wirt­schafts­fach­leu­te und Jour­na­li­sten, statt. Es waren kei­ne Ver­hand­lun­gen, son­dern »nur« Gesprä­che, denn bei­de Sei­ten ver­füg­ten über kei­ner­lei Man­da­te für ver­bind­li­che Abspra­chen. Aber poli­tisch moti­vier­te Gesprä­che zum gegen­sei­ti­gen Ken­nen­ler­nen, so war man über­ein­ge­kom­men, kön­nen mehr bewir­ken als unver­bind­li­ches Geplau­der oder gar wei­te­res »Anschwei­gen«. So gab es einen pflicht­frei­en Gedan­ken­aus­tausch in der west­afri­ka­ni­schen Metro­po­le. Vor allem ging es dar­um, dass die zumeist schwar­zen Befrei­ungs­kämp­fer des ANC und die der Apart­heid skep­tisch bis ableh­nend gegen­über­ste­hen­den wei­ßen Intel­lek­tu­el­len bei Vor­trä­gen, Dis­kus­sio­nen, Pau­sen­ge­sprä­chen, gemein­sa­men Aus­flü­gen, Emp­fän­gen und unge­zwun­ge­nen Vier- oder Mehrau­gen­ge­sprä­chen fest­stell­ten, dass ihnen gegen­über kei­ne rigo­ro­sen den Ras­sis­mus ver­tei­di­gen­den Ver­tre­ter des Apart­heid­re­gimes stan­den bezie­hungs­wei­se die ANC-Funk­tio­nä­re kei­ne blut­trie­fen­den Kom­mu­ni­sten waren. In wohl kei­nem ande­ren Land der Welt hat­te der Anti­kom­mu­nis­mus sol­che ideo­lo­gi­schen Vor­be­hal­te pro­du­ziert wie im Apart­heid­staat. Um die seit Jahr­zehn­ten ver­fe­stig­te intel­lek­tu­el­le Schwei­ge­mau­er von Ver­tre­tern bei­der Sei­ten zu durch­bre­chen, hat­te man sich getrof­fen. Es ging erklär­ter­ma­ßen dar­um, sich ken­nen­zu­ler­nen und zu eru­ie­ren, ob man mit­ein­an­der auch kon­tro­vers dis­ku­tie­ren könn­te und ob es mög­lich wäre, Ver­hand­lun­gen zur Besei­ti­gung der men­schen­ver­ach­ten­den Apart­heid auf­zu­neh­men. Denn Süd­afri­ka stand wirt­schaft­lich und poli­tisch am Abgrund und vor einem immer wahr­schein­li­cher wer­den­den Bür­ger­krieg. Es muss­te also etwas geschehen.

Die Teil­neh­mer des Tref­fens in Dakar bewie­sen gro­ße Ver­ant­wor­tung für ihr Land, ja vor der Welt. Denn wie hät­ten die damals mäch­ti­gen Macht­blöcke reagiert, wenn es über einen Bür­ger­krieg zu einem blu­ti­gen regio­na­len Kon­flikt im Süden Afri­kas gekom­men wäre? Süd­afri­ka war Atom­macht, und die Groß­mäch­te USA und Sowjet­uni­on ver­folg­ten dia­me­tral ent­ge­gen­ge­setz­te geo­stra­te­gi­sche Inter­es­sen, zumal Gor­bat­schows Pere­stroi­ka-Poli­tik noch nicht sicht­bar war.

Die als erfolg­reich ein­ge­schätz­ten Gesprä­che führ­ten in den fol­gen­den Mona­ten und Jah­ren zu wei­te­rem Gedan­ken­aus­tausch, der etwa in Lever­ku­sen, Lon­don, Hara­re und zuneh­mend am ANC-Haupt­quar­tier in Lusa­ka statt­fand. Des­halb kann man, wie es der Ver­fas­ser des Buches getan hat, von einem Pro­zess spre­chen, der über Gesprä­che und dann Ver­hand­lun­gen, zu denen das Dakar-Tref­fen den Auf­takt gab, zur rela­tiv unblu­ti­gen Über­win­dung der Apart­heid führ­te. Qua­si par­al­lel dazu ver­lie­fen – dies soll­te man nicht unter­schla­gen – Gesprä­che von Regie­rungs­ver­tre­tern des Apart­heid­staa­tes mit dem noch ein­ge­ker­ker­ten ANC-Füh­rer Nel­son Man­de­la, der nach sei­ner Frei­las­sung erster demo­kra­tisch gewähl­ter schwar­zer Prä­si­dent Süd­afri­kas wurde.

Am Anfang des Pro­zes­ses zur Been­di­gung der staat­li­chen Ras­sen­tren­nungs­po­li­tik waren eini­ge aus der Bun­des­re­pu­blik stam­men­de Beob­ach­ter dabei, ande­re orga­ni­sier­ten spä­ter die erste »offi­zi­el­le« Nach­fol­ge­kon­fe­renz in Lever­ku­sen. Die­se Tat­sa­che sowie die Kon­takt­ge­sprä­che in Dakar selbst sind in der süd­afri­ka­ni­schen wie in der deut­schen Geschichts­schrei­bung sowie in der Öffent­lich­keit bis­lang kaum gewür­digt wor­den. Vor allem der dama­li­ge Poli­tik­be­ra­ter und Lei­ter des Bon­ner Büros der Stif­tung Wis­sen­schaft und Poli­tik, Klaus Frei­herr von der Ropp, hat­te sich dabei gro­ße Ver­dien­ste erwor­ben. Gedankt wur­de ihm sein Enga­ge­ment nicht.

Durch Finan­zie­rung der Fried­rich-Nau­mann-Stif­tung war er zwar nach Dakar gereist und hat­te als einer der weni­gen aus­län­di­schen Beob­ach­ter als Mit­glied der Slab­bert-Dele­ga­ti­on an den Gesprä­chen teil­ge­nom­men. Sein infor­ma­ti­ver Bericht dar­über lan­de­te ohne gro­ße Aus­wer­tung im Archiv der Stif­tung. Fort­an wur­de der Man­tel des Schwei­gens über die Akti­on gedeckt.

Wenn­gleich (west)deutsche Insti­tu­tio­nen im Süden Afri­kas nicht gera­de viel lang­an­hal­tend Posi­ti­ves bei der Deko­lo­ni­sie­rung ange­sto­ßen haben, hat man es bis heu­te sträf­lich ver­säumt, eine sol­che Unter­stüt­zung zur Ver­hin­de­rung eines Bür­ger­krie­ges und viel­leicht zur Siche­rung des »Welt­frie­dens« im Kal­ten Krieg ent­spre­chend zu wür­di­gen. Von der Ropps hier­zu­lan­de kaum bekann­tes Enga­ge­ment, mög­lich gewor­den durch eine Rei­se­fi­nan­zie­rung der­je­ni­gen poli­ti­schen Stif­tung, die der FDP nahe­steht, also der­je­ni­gen Par­tei, die damals den Außen­mi­ni­ster stell­te, kam erst gut drei­ßig Jah­re spä­ter durch das Buch des Afri­ka-Histo­ri­kers und -Poli­tik­wis­sen­schaft­lers Ulrich van der Heyden ans Tages­licht. Von der Ropp wird in dem vor­zu­stel­len­den Buch gewür­digt und sein dama­li­ger Bericht nun­mehr bekannt gemacht.

Der Ver­fas­ser Ulrich van der Heyden gilt als Spe­zia­list für die Geschich­te der deutsch-afri­ka­ni­schen Bezie­hun­gen, jedoch hat er sich bis­lang durch sei­ne For­schun­gen zur Mis­si­ons­ge­schich­te im 19. Jahr­hun­dert und zur Geschich­te der Bezie­hun­gen der DDR nach Afri­ka ver­dient gemacht und dazu eini­ge Bücher geschrie­ben und noch mehr her­aus­ge­ge­ben. Umso not­wen­di­ger erschien es ihm, sich die­ser Akti­on bun­des­deut­scher Bür­ger, die nicht die gebüh­ren­de Auf­merk­sam­keit in der öffent­li­chen Erin­ne­rung wie in der jour­na­li­sti­schen und wis­sen­schaft­li­chen Auf­ar­bei­tung gefun­den hat, wis­sen­schaft­lich zu wid­men. War sei­ne bis­he­ri­ge Beschäf­ti­gung mit der DDR-Afri­ka­po­li­tik der Anlass dafür, dass die Fried­rich-Nau­mann-Stif­tung nach anfäng­li­cher finan­zi­el­ler Unter­stüt­zung des For­schungs­vor­ha­bens sich gegen­über dem fer­tig­ge­stell­ten Manu­skript, sehr reser­viert ver­hielt? Die Distan­zie­rung, die bis hin zur ange­droh­ten Ver­hin­de­rung der Ver­öf­fent­li­chung reich­te, sei jedoch, wie eini­ge Mit­ar­bei­ter in der Stif­tungs­zen­tra­le ver­lau­ten lie­ßen, nicht auf die Qua­li­tät der Arbeit zurückzuführen.

Es lag die Ver­mu­tung nahe, dass das distan­zier­te, für alle (selbst für eini­ge Stif­tungs­mit­ar­bei­ter) unver­ständ­li­che Ver­hal­ten auf die bis­he­ri­gen Arbei­ten des Wis­sen­schaft­lers zur DDR-Außen­po­li­tik oder auf sei­ne ost­deut­sche Her­kunft zurück­zu­füh­ren sei. So libe­ral kön­nen Libe­ra­le sein! Ver­mut­lich um sicher­zu­ge­hen, dass der libe­ra­len Stif­tung, die bezeich­nen­der­wei­se den Zusatz »Für die Frei­heit« führt, nicht »ein Kuckucks­ei« ins Nest gelegt wird, gab es meh­re­re Aus­spra­chen und inter­ne Befra­gun­gen in der Stif­tungs­zen­tra­le. Min­de­stens zwei Gut­ach­ten sind bekannt gewor­den, die eigent­lich nur der Ver­lag hät­te ein­for­dern kön­nen, wenn es um die wis­sen­schaft­li­che Qua­li­tät und inhalt­li­che Rele­vanz gegan­gen wäre. Es ging jedoch um poli­ti­sche Unbedenklichkeit.

Die Gut­ach­ten konn­ten dann auch nichts Nega­ti­ves fest­stel­len, weder in ideo­lo­gi­scher noch in sach­li­cher Hin­sicht. Selbst nicht ein etwa aus sie­ben bis acht Per­so­nen bestehen­des Gre­mi­um, wel­ches in Johan­nes­burg mit Teil­neh­mern aus Deutsch­land und einem süd­afri­ka­ni­schen Histo­ri­ker zusam­men­ge­ru­fen wor­den war. Einen Tag lang dis­ku­tier­te man dort in Abwe­sen­heit des Ver­fas­sers in einer »Geheim­sit­zung« über sein Manu­skript. Eine wis­sen­schaft­li­che Begut­ach­tung sieht anders aus!

Eben­so scheint es etwas abwe­gi­ge Mei­nun­gen über die Frei­heit der Wis­sen­schaft bei der »libe­ra­len« Stif­tung zu geben. Nach­dem der Ver­lag aus Kiel, der schon Arbeit in das Manu­skript inve­stiert hat­te, unru­hig gewor­den war und juri­sti­sche Kon­se­quen­zen ins Spiel brach­te und ehe­ma­li­ge Stif­tungs­mit­ar­bei­ter, die damals selbst als Akteu­re an dem nun­mehr zum ersten Mal auf­ge­deck­ten Pro­zess betei­ligt waren, für die Ver­öf­fent­li­chung des Manu­skripts plä­diert hat­ten, »erlaub­te« die Fried­rich-Nau­mann-Stif­tung den Druck des Buches unter zwei Bedin­gun­gen: Es soll­te nicht vor der Bun­des­ta­ges­wahl 2017 erschei­nen und der Stif­tung soll­te an kei­ner Stel­le des Buches für ihre, wenn auch beschei­de­ne Unter­stüt­zung der For­schungs­ar­beit gedankt werden.

Da frag­ten sich Ver­fas­ser und Ver­lag in tie­fem Unver­ständ­nis, wes­halb die FDP-nahe poli­ti­sche Stif­tung Res­sen­ti­ments haben könn­te, wenn deren posi­ti­ves Enga­ge­ment im Dakar-Pro­zess auf­ge­ar­bei­tet wer­den soll. Gibt es viel­leicht noch »dunk­le Ecken«, die nicht ans Tages­licht kom­men sol­len? Gibt es viel­leicht noch Lei­chen im Stif­tungs­ar­chiv in Gummersbach?

Jeden­falls könn­te man sol­che ver­mu­ten, denn seit dem Zeit­punkt der Ver­öf­fent­li­chung des Buches hat sich die CDU-nahe Kon­rad-Ade­nau­er-Stif­tung der The­ma­tik ange­nom­men und unter ande­rem in Ber­lin eine gut besuch­te Abend­ver­an­stal­tung durch­ge­führt und im Som­mer 2018 meh­re­re Film­vor­füh­run­gen und Dis­kus­si­ons­run­den über die Dakar-Gesprä­che in Süd­afri­ka ver­an­stal­tet. Dabei ging es vor allem um die Fra­ge, inwie­fern wir heu­te und zukünf­tig dar­aus ler­nen kön­nen, wie man dro­hen­den Bür­ger­krieg und regio­na­le Kon­flik­te ent­span­nen könn­te. Das Buch, wel­ches eigent­lich nach vor­aus­ge­gan­ge­nen unver­bind­li­chen Abspra­chen mit der Nau­mann-Stif­tung ins Eng­li­sche über­setzt wer­den soll­te, steht in Süd­afri­ka, wo es ja am mei­sten Inter­es­se an der The­ma­tik gibt, bis­her nicht zur Verfügung.

Eine Über­set­zung wird wohl nun­mehr ohne die Fried­rich-Nau­mann-Stif­tung erfolgen.

Der wis­sen­schaft­li­che Wert des Buches bleibt. Denn unter Her­an­zie­hung aller ver­füg­ba­ren münd­li­chen und schrift­li­chen Quel­len hat der Ver­fas­ser anschau­lich dar­ge­legt, wie die Gesprä­che in Dakar, in Lever­ku­sen und an wei­te­ren Orten zu den bekann­ten Ver­hand­lun­gen über das rea­le Pro­ze­de­re zur Abschaf­fung der Apart­heid führten.

Ulrich van der Heyden legt mit dem Buch die erste ein­ge­hen­de Unter­su­chung des Dakar-Pro­zes­ses vor, der trotz sei­ner histo­ri­schen Bedeu­tung weit­ge­hend in Ver­ges­sen­heit gera­ten war. In all­ge­mein ver­ständ­li­chem Stil ana­ly­siert er auf brei­ter Quel­len­ba­sis die Vor­ge­schich­te, den Ver­lauf des Tref­fens, die teils gehei­men Fol­ge­kon­fe­ren­zen und die Ergeb­nis­se der Gesprä­che. Im Anhang fin­den sich wich­ti­ge, zum Teil bis­lang unpu­bli­zier­te Doku­men­te über die Kon­fe­ren­zen in Dakar und in Lever­ku­sen, dar­un­ter aus­führ­li­che Augen­zeu­gen­be­rich­te deut­scher Beob­ach­ter. Es sind wis­sen­schaft­li­che Grund­la­gen gelegt wor­den, um sich mit wei­te­ren Fra­gen des »Dakar-Pro­zes­ses« zu beschäf­ti­gen. Ob man sich dabei auf die Fried­rich-Nau­mann-Stif­tung »für die Frei­heit« ver­las­sen soll­te, wenn man »frei« for­schen will, ist nicht ratsam.

Ulrich van der Heyden: »Der Dakar-Pro­zess. Anfang vom Ende der Apart­heid in Süd­afri­ka«, Soliv­a­gus Ver­lag, Kiel 2018, 185 Sei­ten, 19,50 €.

Nor­man Adler ist Histo­ri­ker und pro­mo­viert zur Geschich­te der deutsch-süd­afri­ka­ni­schen Bezie­hun­gen an der Uni­ver­si­tät in Stellenbosch.