In einem Interview antwortete der Stiftungsdirektor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora, Jens-Christian Wagner, auf die Frage, ob das Wissen über den Holocaust nachlasse: »Reines Faktenwissen ist kein historisches Lernen. Nur, weil ich Jahreszahlen und Tötungsmechanismen kenne, habe ich noch keine geschichtliche Urteilskraft. Geschichtsbewusstsein bedeutet, Faktenwissen anwenden zu können und sich der historischen Verantwortung bewusst zu sein. Diese Anwendung fällt bei vielen heute leider weg.«
Gerade in den Tagen nach der vorgezogenen Wahl zum Deutschen Bundestag erhält diese Aussage angesichts der Ergebnisse nicht unerhebliche Bedeutung. Vielfältig sind die Bemühungen, das historische Lernen zu befördern. Das kann jedoch nicht alleinige Aufgabe der Gedenkstätten sein, sondern muss als Auftrag an die Zivilgesellschaft verstanden und gelebt werden. Einen bemerkenswerten Beitrag in diesem Sinn leistet Ulrich Schneider, Historiker und Generalsekretär der Fédération Internationale Résistants (Föderation der Internationalen Widerstandskämpfer, FIR), mit einer soeben im Verlag PapyRossa erschienenen Publikation »Buchenwald«. Das handliche Buch aus der Reihe Basiswissen gehört zu einer Vielzahl von Veröffentlichungen zum Thema Konzentrationslager Buchenwald. Es ist insofern eine Besonderheit, als es in konzentrierter Form einen anwendbaren Überblick zur Geschichte des Lagers vermittelt, ohne den Anspruch zu erheben, alle Themenbereiche zu erfassen. Mit acht Kapiteln und einer kurzen Chronik zum KZ Buchenwald kann das Buch für die Vorbereitung von Besuchen in der Gedenkstätte unterstützend angewendet werden. Die Auswahl von Literaturhinweisen ermöglicht weiterführende Beschäftigung und Erkenntnisgewinn. Indem Schneider den langjährigen Präsidenten des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos (IKBD), Pierre Durand (1923-2002), zitiert, dass es viele Buchenwalds auf dem Ettersberg gegeben hätte, verweist er auf die Notwendigkeit differenzierter Sicht auf die Häftlingsgesellschaft.
»Im Kollektiv der Überlebenden entwickelten sich in den Jahren der Befreiung tragfähige Einschätzungen, auch wenn die Bereitschaft, sich mit schwierigen Themen öffentlich zu beschäftigen angesichts des Ost-West-Konflikts und geschichtspolitischer Kontroversen nur eingeschränkt vorhanden war.« Schneider verweist auf nicht unerhebliche Bemühungen, die Geschichte umzuschreiben und den Antifaschismus »abzuwickeln«, was wesentlich durch die Überlebenden im In- und Ausland verhindert wurde.
In dem Kapitel »Vom Umgang mit den Tätern« wendet sich der Autor der gegenwärtig wieder strapazierten Behauptung zu, auf dem Buchenwalder Ettersberg hätte es zwei Konzentrationslager gegeben. Die genaue Beschreibung der Entstehung und Existenz des faschistischen KZ Buchenwald entkräftet die Gleichstellung. Die alliierten Beschlüsse zur Internierung waren auf die Entnazifizierung und die Bestrafung der Kriegsverbrecher fixiert und in diesem Sinn richtete die sowjetische Militäradministration das Speziallager 2 in Buchenwald ein. Der Besatzungsmacht Vernichtungswillen zu unterstellen, ist in Kenntnis der konkreten Situation schlicht absurd, was aber Unrechtbehandlungen nicht ausschließt. Anfang April dieses Jahres wird an den 80. Jahrestag der Selbstbefreiung der Häftlinge des KZ Buchenwald gedacht. In diesem Zusammenhang wird ein Internationales Jugendtreffen in Weimar und auf dem Ettersberg stattfinden. Es wird des Schwurs der Häftlinge des KZ Buchenwald gedacht werden, »den Nazismus mit seinen Wurzeln zu vernichten und eine neue Welt des Friedens und der Freiheit aufzubauen«. Nicht nur jungen Menschen ist das handliche und an Informationen reiche Buch zum Gebrauch zu empfehlen.
Schneider, Ulrich: Buchenwald, PapyRossa Verlag, Köln 2025, 142 S., 12 €.