Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wie fühlten sich Menschen, deren Hoffnungen starben? Angesichts der Pogrome und Flammen der „Reichskristallnacht”? Auf dem Weg in die Gaskammern von Auschwitz?
Margarete Edel, die Mutter des späteren Schriftstellers hatte in Berlin als so genannte »Arierin« den Krieg überlebt. Ende 1945 erhielt sie einen Brief aus London. Hanna Schitkowski, deren Schwester ins Warschauer Ghetto gekommen war, schrieb ihr: »Leider wird man nie erfahren, wie diese armen Menschen ihre Leben beendet haben.«
In den Lebenswegen der Berliner Familien Edel und Strauß offenbart sich lediglich ein Bruchteil dessen, was sich wirklich vollzog (s. auch »Könnten Stolpersteine reden«, Ossietzky 17/2020).
Bei den Großeltern Max und Eva Edel, Großonkel und -tante des damals jungen Peter Edel, lebte ihre Enkelin Rosemarie Noah. Die verzweifelten Bemühungen, Nazi-Deutschland zu entkommen, werden in ihren Briefen aus Berlin nach London deutlich. Ihre Freundin konnte noch rechtzeitig emigrieren. Durch die von der Briefschreiberin gewählte Form des Tagebucheintrags werden die täglichen Veränderungen in der emotionalen Gefühlslage des Mädchens eindrucksvoll vermittelt. So schrieb sie: »… (ach, eben bimmelt das Telefon) Hurra!!! Mein Vater hat angerufen. Er hat das Affidavit. Ich bekomme meins dann auch in einiger Zeit. Ich bin seelig. Aber sage das blos keinem. Bitte, bitte. Aber ich muss mich irgendwie erleichtern.«
Nach den Ausschreitungen, Übergriffen und Verhaftungen während des Novemberpogroms 1938 notierte sie: »In diesem gesegneten Land wachsen mir schon weiße Haare. Fenster zertrümmert, Läden demoliert usw. Ich darf nicht zur Schule gehen. Meine Mutter hat Angst. Das reine Ghetto. Schreibt man das so? Ich bin ganz froh, dass ich mal mich ausruhen kann.« Und in demselben Brief noch: »Man kriegt keine Antwortscheine bis zum nächsten Monat. Wegen des Attentats auf vom Rath. 1000000000 Mark Strafe haben die Juden bekommen. Wie sollen sie das aufbringen? Alles ist verboten worden. Selbst Kino. Es ist furchtbar und gefährlich hier zu sein. Die Läden sind geplündert. In den Zeitungen steht das Gegenteil.«
Rose Marie (Schreibweise später Rosemarie) kommentierte zum Beispiel die am 24. November 1938 erlassene Verordnung, welche die Juden zur Annahme der Zwangsvornamen »Sara« beziehungsweise »Israel« verpflichtete, so: »Meine Mutter wollte durchaus nicht, dass ich Sara heiße und deswegen hat sie einen Antrag auf ›Bela‹ (ha, ha denkst Du) gestellt.« Und weiter: »Meine Namensänderung ist abgelehnt worden.« Die Kenntlichmachung ihrer Zugehörigkeit zum Judentum durch einen weiteren Namen war für sie nicht vorstellbar.
Ihrer Mutter gelang am 17. April 1939 die Ausreise nach Richmond/Großbritannien, wo sie als Hausmädchen eine Anstellung fand. Zum Abschied notierte Rose Marie Noah: »Ich habe sie bis an den Flugplatz gebracht. Komischerweise war ich gar nicht traurig und wir rechneten uns schon aus, wann wir uns wiedersehen würden.« In einem weiteren Brief wird jedoch ihre Angst spürbar, und sie offenbart ihrer Freundin: »Wenn ich bloß bald nach England kommen würde … Ich sehne mich schrecklich nach Dir. Du würdest mich gar nicht wiedererkennen, so habe ich mich in der letzten Zeit verändert. Ich meine nicht äußerlich, sondern innerlich.«
So oder ähnlich dürften alle gefühlt haben. Auf den Transporten ins Ungewisse, trügerisch von den Herrenmenschen als »Evakuierung« bezeichnet. Um ihr letztes Hab und Gut gebracht, pro forma als »deutsch« geführt, durch die Zwangsvornamen rassistisch als »Juden« verfemt.
Das Arolsen-Archiv gilt als das umfassendste Archiv zu etwa 17,5 Millionen Opfern und Überlebenden der Nazi-Diktatur. Es gehört zum Weltdokumentenerbe der UNESCO (https://collections.arolsen-archives.org/search/). Zu Lieselotte Hirschweh gibt es eine Personalkarte der Siemens-Schuckertwerke Berlin. Der Name der Ehefrau von Peter Hirschweh-Edel ist darauf noch mit Reichmann angegeben. Beide waren beim »Eintrittsdatum 12.5.41« zur Zwangsarbeit noch nicht verheiratet. Weiter wurde unter anderem vermerkt: »Nationalität: Dtsch. Reich Jude. Masch. Arb. Eintritt 12.5.41, Austrittsdatum 2.43«. Eine weitere Karteikarte hielt für sie fest: »Reichmann, Lieselotte o. Hirschweg o. Hirschweh – Relig. keine Angabe – Nat. dtsch. – Jan. 1943 Auschwitz/Buna kam von Berlin-Neukölln«. Auf beiden Karten findet sich eine identische Nummer: T/D 433229. Die Vernichtungsbürokratie wusste sich nach außen zu tarnen.
Austrittsdatum 2.43 – der Beginn ihres Martyriums. In Auschwitz wurde ihr Leben ausgelöscht.
Demnächst: »Worte eines Täters« und »Die Bereicherung«. Briefzitate aus: Gudrun Maierhof, Chana Schütz, Hermann Simon (Hg.): »Aus Kindern wurden Briefe. Die Rettung jüdischer Kinder aus Nazi-Deutschland«, Metropol Verlag, Berlin 2004