Das schmale Bändchen, gebunden in blutrotes, feines Leinen, hat den golden ausgelegten Titel ROSA LUXEMBURG BRIEFE, dazu eine subtile, die Fantasie anregende Grafik, ebenfalls golden ausgelegt. Der Verlag der Jugendinternationale, Berlin, verantwortete diese Ausgabe mit einer Auflage von 41 bis 50 Tausend 1927. In jenen Jahren kam das Buch in Familienbesitz. Es gab Veranlassung, es zu behüten. Leicht hätte es bei Hausdurchsuchungen unter SA-Stiefel geraten können. An ein Wunder grenzte es, dass das Buch ausgeliehen war, als am 3. Februar 1945 bei Bombenangriffen auf Berlin unsere Wohnung restlos vernichtet wurde. Das Buch hatte überlebt und kam an den Besitzer zurück. Als ich lesen gelernt hatte, durfte ich in den Briefen lesen. Behutsam und geduldig erklärte der Vater die Pein, eingesperrt zu sein. Er hatte die Erfahrung machen müssen, etwas später als Karl Liebknecht, ebenfalls im Zuchthaus Luckau. Immer wieder las ich als Jugendlicher die poetischen Briefe mit ihrer Zuversicht, ihrem Sehnen nach Freiheit und Natur, mit überzeugender menschlicher Nähe und grenzenloser Anteilnahme. Jahrzehnte dauerte es, bis mich jetzt wieder dieses liebevolle »Meine kleine Sonja« anstrahlte. Eine Neuausgabe des Karl Dietz Verlages Berlin, die 19. ergänzte Auflage aus 2019, machte es möglich. Sorgfältig gebunden, wohltuend sauber gesetzt ist das Buch. Ich tauchte wieder ein in die Lebenswelt der geschundenen, geknechteten Frau, hundert Jahre nach dem feigen Mord an ihr. Wieder las ich fast atemlos von der Misshandlung der Breslauer Büffel und welche Tränen sie darum weinte. Ein feines, immer wieder empfehlenswertes Buch, dessen Einbandgestaltung mir jedoch verschlossen bleibt.
Clara Tempel ist eine der Aktivistinnen, die im September 2016 die Start- und Landebahn des Fliegerhorstes Büchel in der Eifel besetzten. Jetzt wird sie vom 21. bis 28. März in die JVA Hildesheim gehen, um ihre Aktion zivilen Ungehorsams noch einmal zu bekräftigen (s. auch Seite 219). Wäre es ein Solidaritätsbeweis mit erheblicher Symbolkraft, schickte ihr der Dietz Verlag ein Exemplar der neuen Ausgabe von Rosa Luxemburg: »Briefe aus dem Gefängnis«?
Rosa Luxemburg: »Briefe aus dem Gefängnis«, Karl Dietz Verlag, 131 Seiten; 12 €