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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Brecht pathologisch

Über­trei­bun­gen ist man bei der Wer­bung, auch der für Bücher, gewohnt, aber es ist nun wirk­lich gegen jeg­li­che lite­ra­tur­wis­sen­schaft­li­che Regel und Erfah­rung, eine Bio­gra­phie eines Klas­si­kers als »die end­gül­ti­ge Dar­stel­lung« von des­sen Leben und Werk anzu­kün­di­gen. So jetzt gesche­hen bei Ste­phen Par­kers Brecht-Bio­gra­phie. Umso kri­ti­scher reagiert die Rezen­sen­tin und prüft den »unvor­ein­ge­nom­me­nen neu­tra­len Blick« des neu­en Buches. Gibt es das über­haupt? Und zumal bei Brecht?

Man muss dem bri­ti­schen Autor beschei­ni­gen, eine Unmen­ge von Fak­ten gesam­melt und auf­be­rei­tet zu haben. Par­ker sym­pa­thi­siert mit sei­nem Autor und erzählt span­nend. Ganz aus­führ­lich geht er auf Kind­heit und Jugend und die ver­schie­de­nen Jugend­lie­ben ein, und er ist wohl der erste, der in einer Bio­gra­phie genau und medi­zi­nisch ver­siert die Krank­hei­ten Brechts beschreibt. Aber das hat schon mit der eigen­wil­li­gen Inter­pre­ta­ti­on Par­kers zu tun, der die »bio­phy­si­sche Dimen­si­on« nicht nur für wich­tig, son­dern für aus­schlag­ge­bend für Brechts Werk hält und behaup­tet, dass Brechts epi­sches Thea­ter auf des­sen »eigen­wil­li­ger krea­ti­ver Sen­si­bi­li­tät« beru­he. Nun wird jeder, der Gedich­te von Brecht liebt, die Sen­si­bi­li­tät in ihnen bewun­dern, aber wei­te­re Dimen­sio­nen – die poli­ti­sche, phi­lo­so­phi­sche, sprach­li­che, die Reak­ti­on auf Zeit­ge­sche­hen und ande­re – eben­so wert­schät­zen. Par­ker lässt das alles auch nicht außer Acht, rückt es aber ein biss­chen in die zwei­te Rei­he, und so »men­schelt« es in die­ser Bio­gra­phie, die nicht die letz­te sein wird, etwas mehr, als Brecht und sei­nen Fans lieb sein dürfte.

Abge­se­hen davon, dass Par­ker – dem Main­stream und der Wahr­heit gemäß – Brechts Dif­fe­ren­zen mit den Par­tei­kom­mu­ni­sten und spä­te­ren SED-Funk­tio­nä­ren sehr aus­führ­lich, aber auch ein­sei­tig dar­stellt, zie­he ich im Ver­gleich zur über drei­ßig­jäh­ri­gen Bio­gra­phie von Wer­ner Mit­ten­z­wei noch immer letz­te­re vor, denn Mit­ten­z­wei arbei­te­te die histo­ri­schen Zusam­men­hän­ge kla­rer heraus

Ste­phen Par­ker: »Ber­tolt Brecht. Eine Bio­gra­fie«, über­setzt von Ulrich Fries und Irm­gard Mül­ler, Suhr­kamp Ver­lag, 1030 Sei­ten, 58 €