Übertreibungen ist man bei der Werbung, auch der für Bücher, gewohnt, aber es ist nun wirklich gegen jegliche literaturwissenschaftliche Regel und Erfahrung, eine Biographie eines Klassikers als »die endgültige Darstellung« von dessen Leben und Werk anzukündigen. So jetzt geschehen bei Stephen Parkers Brecht-Biographie. Umso kritischer reagiert die Rezensentin und prüft den »unvoreingenommenen neutralen Blick« des neuen Buches. Gibt es das überhaupt? Und zumal bei Brecht?
Man muss dem britischen Autor bescheinigen, eine Unmenge von Fakten gesammelt und aufbereitet zu haben. Parker sympathisiert mit seinem Autor und erzählt spannend. Ganz ausführlich geht er auf Kindheit und Jugend und die verschiedenen Jugendlieben ein, und er ist wohl der erste, der in einer Biographie genau und medizinisch versiert die Krankheiten Brechts beschreibt. Aber das hat schon mit der eigenwilligen Interpretation Parkers zu tun, der die »biophysische Dimension« nicht nur für wichtig, sondern für ausschlaggebend für Brechts Werk hält und behauptet, dass Brechts episches Theater auf dessen »eigenwilliger kreativer Sensibilität« beruhe. Nun wird jeder, der Gedichte von Brecht liebt, die Sensibilität in ihnen bewundern, aber weitere Dimensionen – die politische, philosophische, sprachliche, die Reaktion auf Zeitgeschehen und andere – ebenso wertschätzen. Parker lässt das alles auch nicht außer Acht, rückt es aber ein bisschen in die zweite Reihe, und so »menschelt« es in dieser Biographie, die nicht die letzte sein wird, etwas mehr, als Brecht und seinen Fans lieb sein dürfte.
Abgesehen davon, dass Parker – dem Mainstream und der Wahrheit gemäß – Brechts Differenzen mit den Parteikommunisten und späteren SED-Funktionären sehr ausführlich, aber auch einseitig darstellt, ziehe ich im Vergleich zur über dreißigjährigen Biographie von Werner Mittenzwei noch immer letztere vor, denn Mittenzwei arbeitete die historischen Zusammenhänge klarer heraus
Stephen Parker: »Bertolt Brecht. Eine Biografie«, übersetzt von Ulrich Fries und Irmgard Müller, Suhrkamp Verlag, 1030 Seiten, 58 €