Ausgerechnet in einem monumentalen Sakralbau, in der Berliner Thomaskirche am Bethaniendamm, wurde am Samstag eine Schau eröffnet mit dem Titel: »Es gibt keinen Gott!« Antiklerikale und antireligiöse Plakate aus der Sowjetunion.
Der Rundgang durchs Kirchenschiff ist amüsant und lehrreich. Die gezeigten Exponate, dreißig an der Zahl, stammen aus dem Bestand des Staatlichen Museums für Religionsgeschichte St. Petersburg (vormals: Museum für die Geschichte der Religion und des Atheismus). Zur Einstimmung begegnet dem Betrachter ein ziemlich bekanntes Poster. Juri Gagarin grüßt freundlich lächelnd aus dem Weltraum, hinter sich den Sternenhimmel und die Umrisse des Raumschiffs Wostok-1, tief unten Kirche und Moschee, dazwischen die Worte BOGA NJET. Wobei man hier zwei Motive vermischt hat; denn der erste frei im All schwebende Kosmonaut war Leonow, doch Gagarin ist nun mal der berühmtere. Dieses Plakat ist eines der späten Werke aus dem Jahr 1975. Die ältesten Stücke datieren vom Anfang der 1920er Jahre.
Zu dieser Zeit formierte sich eine Gruppe von Künstlern mit eigenem Stil und dem Anspruch, die Revolution propagandistisch zu unterstützen. (In Deutschland entstand gleichzeitig John Heartfields dadaistisch geprägte Collage-Bildkunst. Die umfangreiche politische Plakatkultur der Räterepublik Ungarns gehörte bereits der Vergangenheit an.) Es war kurz nach dem Bürgerkrieg, im Fokus stand der innere Feind, versinnbildlicht durch den Zaren, die Reichen und den Popen. Der Pope steht für die Russisch-Orthodoxe Kirche als Stütze des Adels, als Hort der Reaktion, ihm gilt die geballte Wut und Verachtung. Zu späterer Zeit weitet sich das Feindbild auf die jüdische und die moslemische Religion sowie auf die »Sektanten« (Sektierer, d. h. Baptisten und Freikirchler) aus. Dann werden neben dem Popen auch der Imam und der Rabbi gezeigt. Die religiöse Praxis wird als primitiv, wundergläubig, teilweise schädlich gemalt. Überschriften dazu lauten »Religion ist ein Werkzeug zur Unterjochung der Werktätigen«, »Alle hinein in den Bund der kämpferischen Gottlosen!«.
Im Laufe der 20er Jahre mehren sich die Attacken gegen den äußeren Feind: gegen das internationale Kapital, die antibolschewistische Exilgemeinde, den italienischen Faschismus und den Papst als Kriegstreiber. Die Enzyklika des Papstes Pius XI. hatte 1931 den Sozialismus in Praxis und Theorie als »für immer unvereinbar« mit der christlichen Botschaft verdammt. Ein Bild zeigt den dicken harmlosen Touristen, unter dessen Ornat der wachsame Zöllner die eingeschmuggelte religiöse Literatur findet – gefährliches Material zur Unterminierung der sozialistischen Ordnung. Man fragt sich: Warum ist das eigentlich so gefährlich? Ist die leuchtend helle neue Ordnung wirklich so wacklig, dass ein paar Traktate und Bibeln sie gefährden?
Den Kontrast zwischen dem dunklen Vergangenen und der leuchtenden Zukunft veranschaulichten die Plakatkünstler gern mit einem schlichten Hell-Dunkel-Schema. Der Quacksalber, der Wunderheiler, der Pope stehen für die Vergangenheit. Zur dunklen Seite gehört auch der trunksüchtige Geistliche sowie der Gläubige, der sich an Feiertagen maßlos betrinkt und blau macht, somit den Erfolg des »Fünfjahrplans« gefährdend. Den hellen Fortschritt verkörpern indessen das Mikroskop und das Buch, der (Tier-)Arzt im Kolchos und der Traktor. Und nicht zuletzt das Raumschiff Wostok-1 als Symbol des Sieges der Wissenschaft. Sowjetbürger Juri ist die sympathisch freundliche Verkörperung des Fortschritts. Der neue homo sovieticus geht statt in die Kirche in den »Klub«, ist gebildet, urban, emanzipiert. Und die Frauen spielen bildlich schon eine wichtige Rolle: als gleichberechtigte Arbeiterinnen, als Studentinnen, als Teilnehmerinnen des örtlichen Traktoristenkurses. Die Fortschrittsgewissheit jener Zeit berührt schmerzlich, wissen wir doch, dass sich das Rad der Geschichte auch zurückdrehen lässt.
Jedem Plakat sind Erläuterungen beigegeben, erfreulich sachlich und instruktiv. Sie stammen aus der Feder von Angehörigen des Leipziger Religionswissenschaftlichen Instituts unter Leitung des Professors Horst Junginger, des Kurators der Ausstellung und mutmaßlichen Spiritus Rektor des Ganzen.
Die Ausstellung ist vom 5. Februar bis zum 5. März 2022 zu sehen, Bethaniendamm 25, 10997 Berlin (zugleich Sitz des Berliner Instituts für Staat-Kirche-Forschung).