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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Bob Dylan Goes Electric!

Allein wegen der Musik, die gefühlt ein Drit­tel des Fil­mes »Like A Com­ple­te Unknown« von Regis­seur James Man­gold aus­macht, lohnt(e) es sich, ins Kino zu gehen. Es ist erstaun­lich, wie nahe Haupt­dar­stel­ler Timo­thée Cha­l­a­met, der Bob Dylan spielt, sowie Moni­ca Bar­ba­ro, die die Musi­ke­rin und Akti­vi­stin Joan Baez ver­kör­pert, mit ihren Dar­bie­tun­gen stimm­lich wie auch an der Gitar­re den Ori­gi­na­len nahe­kom­men. Wir hören gut 25 Songs, alle aus der ersten Hälf­te der 1960er Jah­re, zumeist Dylan-Klas­si­ker: sei­ne gro­ßen Pro­test­songs »Blo­win’ In The Wind«, »Masters Of War«, »A Hard Rain’s A-Gon­na Fall« und »The Times They Are A-Chan­gin«, sei­ne berühm­ten (Anti-)Liebeslieder »Girl From The North Coun­try«, »Don’t Think Twice, It’s All Right«, »It’s All Over Now, Baby Blue«, »It Ain’t Me Babe« oder »Like A Rol­ling Stone« sowie sei­ne eher kryp­ti­schen Songs »Mr. Tam­bou­ri­ne Man« oder »Sub­ter­ra­ne­an Home­sick Blues«.

Wäh­rend der Ber­li­na­le war­te­ten Jour­na­li­sten und Fans stun­den­lang auf das Erschei­nen von Timo­thée Cha­l­a­met auf dem roten Tep­pich. Er ist momen­tan der Held von vie­len jun­gen Frau­en. Auf die Rol­le als Bob Dylan hat er sich fünf Jah­re lang vor­be­rei­tet. Er hat mit einem Gesangs­trai­ner, einem Gitar­ren­leh­rer, einem Dia­lekt-Coach, einem Bewe­gungs­trai­ner und einem Mund­har­mo­ni­ka­spie­ler zusam­men­ge­ar­bei­tet, ja, sogar sie­ben Kilo zuge­nom­men. Cha­l­a­met auf der Ber­li­na­le: »Ich bin ein­ge­taucht in Dylans Welt.« Cha­l­a­met ist im Film bril­lant, ver­mit­telt gelun­gen Dylans Cha­rak­ter zwi­schen Genie und Hybris und wur­de für einen »Oscar« nomi­niert. Auch die ande­ren Schau­spie­ler sind hervorragend.

»Like A Com­ple­te Unknown« (eine Zei­le aus dem Dylan-Song »Like a Rol­ling Stone«) spielt zwi­schen 1961, Dylans Ankunft in New York, und 1965, als er auf dem berühm­ten New­port Folk Festi­val sei­ne Gitar­re elek­trisch ein­stöp­sel­te, was die Pop-Geschich­te ver­än­der­te. Der Film basiert auf dem Buch »Dylan Goes Elec­tric!« (2015) von Eli­jah Wald. Regis­seur Man­gold hat jedoch vie­le Ereig­nis­se kom­pri­miert und ver­än­dert sowie wich­ti­ge Cha­rak­te­re weg­ge­las­sen, um einen guten Film zu machen: Und das ist ihm gelun­gen! Der Film ist immer wie­der bewe­gend. Man fragt sich aller­dings des Öfte­ren: War das nun echt oder blo­ße Erfin­dung – ein Kri­ti­ker spricht gar von Mani­pu­la­ti­on. Bob Dylan höchst­per­sön­lich durf­te als »aus­füh­ren­der Pro­du­zent« Regis­seur Man­gold unter­stüt­zen und soll mit ihm Zei­le für Zei­le das Dreh­buch durch­ge­gan­gen sein. Und er bestärk­te Man­gold dar­in, Fak­ten zu ver­än­dern. Die Zeit­schrift Rol­ling Stone führt 27 grö­ße­re »Unwahr­hei­ten« auf.

Per Anhal­ter reist der 19jährige Bob Dylan von sei­nem Hei­mat­staat Min­ne­so­ta mit Ruck­sack und Gitar­re nach New York. Dort, im Stadt­teil Green­wich Vil­la­ge, explo­diert gera­de die Folk-Musik-Sze­ne, was der Film gut zeigt: Fast an jeder Stra­ßen­ecke musi­ziert ein Fol­kie, und auch in den Clubs gibt es jede Men­ge Musik: ame­ri­ka­ni­sche, euro­päi­sche, afroamerikanische.

Dylan hat einen Zei­tungs­aus­schnitt bei sich über den lin­ken »This Land Is Your Land«-Folk-Musiker Woo­dy Gut­hrie, der seit Jah­ren mit einem schwe­ren Ner­ven­lei­den in einem Hos­pi­tal im nahe­lie­gen­den Mor­ris Plains (New Jer­sey) liegt. Dort trifft Dylan an Gut­hries Kran­ken­bett – eine Erfin­dung des Films – auf den (eben­falls lin­ken) Folk­sän­ger Pete See­ger (sehr ähn­lich Edward Nor­ton). Dylan (bzw. Cha­l­a­met) beein­druckt bei­de, als er ihnen sei­nen »Song To Woo­dy« vorspielt.

»Like A Com­ple­te Unknown« zeigt, wie See­ger – der in der McCar­thy-Ära auf der Schwar­zen Liste stand – wegen eines poli­ti­schen Songs vor Gericht steht und irgend­wann zum Gau­di der Anwe­sen­den sein Ban­jo aus­packt, um den inkri­mi­nier­ten Song vor­zu­spie­len. See­ger wird zunächst Dylans Men­tor, am Ende aber eher Anti­po­de, wobei der Film (Dylan ist cool, See­ger eher nicht) sub­til auf Dylans Sei­te steht.

In einer Kir­che in Man­hat­tan trifft Dylan dann auf sei­ne gro­ße Lie­be Suze Roto­lo (Elle Fan­ning). Im Film heißt sie auf Bit­te von Dylan aller­dings Syl­vie Rus­so, zu sehr wur­de sie offen­bar ver­frem­det. Roto­lo arbei­te­te bei der Bür­ger­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on Con­gress Of Racial Equa­li­ty (CORE) und mach­te das Land­ei aus Min­ne­so­ta mit der Bür­ger­rechts­be­we­gung bekannt. Wei­ter ver­mit­tel­te sie ihm die Wer­ke von Ber­tolt Brecht sowie der fran­zö­si­schen Dich­ter Rim­baud, Ver­lai­ne und Bau­de­lai­re, Ein­flüs­se, die er für sei­ne Songs ver­wen­de­te. Obwohl sie auf Dylans zwei­tem Album »The Free­whee­lin’ Bob Dylan« mit ihm Arm in Arm zu sehen ist, war ihre Bezie­hung vol­ler Span­nun­gen. Roto­lo (die 2011 starb) jeden­falls soll Dylans Herz gebro­chen haben.

Dann lernt er Joan Baez ken­nen, die gera­de zwei Alben mit Folk-Musik in den Charts hat und auf dem Cover des Time-Maga­zins prangt. Wie Roto­lo (bzw. Rus­so) bewun­dert sie sei­ne Songs, die immer schnel­ler aus ihm her­auspur­zeln, singt die­se auch bei ihren Kon­zer­ten. Wie­der kommt es zu Span­nun­gen, bis es irgend­wann aus ihr her­aus­platzt: »Your’re real­ly kind of an ass­ho­le.« Er dage­gen ver­gleicht ihre Songs mit »Ölge­mäl­den beim Zahn­arzt«. Auch hier bleibt Man­gold nicht bei den Fak­ten: Klar, Baez hat Dylan-Songs auf ihren Alben ver­öf­fent­licht, aber sie hat sie nicht benutzt wie ange­deu­tet, son­dern Dylan damit bekannt gemacht (und sie hat ihn bei ihren Kon­zer­ten immer wie­der auf die Büh­ne geholt, was er bei sei­nen Kon­zer­ten spä­ter mit ihr nicht tat).

Als Dylan dann berühmt wird und die Fans hin­ter ihm her­ren­nen, kommt er damit nicht klar. Jeder, auch die lin­ken Folk­mu­si­ker, schei­nen ihn ver­ein­nah­men zu wol­len: »Die Leu­te wol­len, dass ich für den Rest mei­nes gott­ver­damm­ten Lebens ›Blo­win’ In The Wind‹ sin­ge«, sagt er im Film. Er dage­gen will sich ver­än­dern – hin zur Rock-Musik. Beim New­port Folk Festi­val 1965 kommt es dann zum Show­down: Statt lin­ke Pro­test­songs zu sin­gen, lässt sich Dylan von der Paul But­ter­field Blues Band elek­trisch – und laut­stark – beglei­ten; die Lyrics gehen eher unter. Die Hälf­te der Anwe­sen­den ist begei­stert, die ande­re Hälf­te buht und wirft Gegen­stän­de. Es kommt zu einer Schlä­ge­rei zwi­schen dem Musi­ko­lo­gen Alan Lomax und Dylans Mana­ger Albert Gross­man. Pete See­ger spielt mit dem Gedan­ken, die Kabel mit einer Axt zu kap­pen (der Fakt ist umstritten).

Zum Schluss dann ist Dylan wie­der bei Woo­dy Gut­hrie (er starb 1967) im Hos­pi­tal. Der Film will uns wohl sagen: Im Kern ist Bob Dylan der alte geblie­ben! Ist er das?