Berufsverbote gab es in der Bundesrepublik nicht nur für Bedienstete im Staatsdienst, sondern auch innerhalb der Kirche. Der Publizist und frühere Gymnasiallehrer Friedrich-Martin Balzer hat diese nicht allzu bekannte Problematik, die zugrunde liegenden Strukturen und ideologischen Hintergründe in seiner neuen Buchpublikation am Beispiel des »unerledigten Falls« Erwin Eckert aufgezeigt und facettenreich aufgearbeitet.
Erwin Eckert (1893-1972) war Mannheimer Stadtpfarrer und Vorsitzender des Bundes der Religiösen Sozialisten. 1931 wurde er, der schon frühzeitig vor dem heraufziehenden Faschismus gewarnt hatte, aus der SPD ausgeschlossen – nach zwei Jahrzehnten Mitgliedschaft. Daraufhin trat er als erster Amtsträger der evangelischen Kirche in die KPD ein – eine seinerzeit in der Weimarer Republik legale Partei. Dies führte prompt zur fristlosen und »unehrenhaften« Dienstentlassung aus seinem Kirchenamt als Pfarrer – aufgrund eines Urteils des kirchlichen Dienstgerichts vom 11. Dezember 1931, mit dem ein rechtsstaatlich zweifelhaftes Dienststrafverfahren endete. Mit allen damit verbundenen existentiellen Folgen: Redeverbot und Verlust der Amtsbezeichnung, des Einkommens und des Anspruchs auf Ruhegehalt. Wenige Jahre später wurde Eckert in Nazi-Deutschland politisch verfolgt, 1936 von der Gestapo verhaftet und verschärfter Einzelhaft unterzogen sowie wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« vom Volksgerichtshof zu fast vier Jahren Zuchthaus verurteilt und anschließend unter Polizeiaufsicht gestellt.
Friedrich-Martin Balzer verfolgt auf diesem geschichtlichen Hintergrund den weiteren Umgang mit diesem Berufsverbot gegen Eckert nach 1945. Es ist bis heute nicht aufgehoben oder revidiert worden – logischerweise schon gar nicht in den antikommunistischen Nachkriegszeiten der 1950er und 60er Jahre, in denen westdeutsche Kommunisten politisch und strafrechtlich verfolgt wurden; und auch nicht in Zeiten des »Radikalenerlasses« der 1970er/80er Jahre und der darauf fußenden Berufsverbote gegen des Kommunismus’ verdächtige Beamte und Anwärter für den Öffentlichen Dienst. Schließlich war Eckert KPD-Mitglied geblieben, hatte sich als KPD-Kandidat zur Oberbürgermeister-Wahl der Stadt Mannheim aufstellen lassen und fungierte als KPD-Abgeordneter im badischen, später im baden-württembergischen Landtag. 1960 wurden er und andere führende Mitglieder des »Westdeutschen Friedenskomitees«, das u. a. gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik kämpfte, wegen »Rädelsführerschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation« zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Andererseits sind »entnazifizierte« Altnazis, die schon dem faschistischen Staat gedient hatten, seit Anfang der 1950er Jahre wieder in den Staatsdienst Westdeutschlands, in Verwaltung, Sicherheitsbehörden und Justiz reintegriert worden; und entsprechend sind auch die meisten früheren Nazi-Anhänger innerhalb der Kirche in ihren Ämtern belassen worden oder erhielten unangefochten ihre Pensionen. Balzer bezeichnet dieses »Versagen der Kirche« nach 1945 – parallel zum Versagen der westdeutschen Gesellschaft insgesamt – als »zweite Schuld«. Kein Wunder also, dass sich die weitgehend konservativ ausgerichtete Kirche zum Berufsverbotsfall Eckert – trotz einiger Interventionsbemühungen und Petitionen einzelner Kirchenleute – offiziell in jahrzehntelanges Schweigen hüllte. Erst 1999 – also 67 Jahre nach Eckerts »unehrenhafter« Entlassung als Pfarrer – rang sich die Badische Landeskirche durch, eine Art Schuldeingeständnis abzulegen und einen Rehabilitierungsversuch zu starten; allerdings ohne kirchenrechtliche Konsequenzen und ohne Entschädigung, so dass Eckert, wie so viele von Berufsverbot Betroffene, weiterhin mit Altersarmut zu kämpfen hatte und dieses Unrecht bis heute weiterbesteht.
Friedrich-Martin Balzer hat sich als Nachlassverwalter schon jahrzehntelang mit dem Erbe Erwin Eckerts beschäftigt und mehrere Bücher über ihn und sein Wirken publiziert, nicht zuletzt auf dem geschichtlichen Hintergrund der »Mitverantwortung des deutschen Protestantismus für Faschismus, Krieg und Holocaust«, so der Titel einer Streitschrift des Autors von 2010. Nun legt Balzer eine Arbeit vor, die sich mit historischen, politischen und (kirchen- und verfassungs-) rechtlichen Problemen des kirchlichen Berufsverbots auseinandersetzt, aber darüber hinaus auch mit dessen ideologischen und theologischen Hintergrund. Diese Auseinandersetzung umfasst auch die soziale Bestimmung von Christentum und Theologie in der politischen Welt, die gerade für Eckert – oft im Widerspruch zur Amtskirche – unabdingbarer Auftrag war: jenseits der religiösen Vertröstung aufs Jenseits klar an der »Seite der Armen und Unterdrückten« und darum an der »Seite all derer, die sich gegen Elend und Unterdrückung empören und zur Wehr setzen« (S. 169). Und so widmet sich das Buch auch der Frage, ob die politische Mitarbeit in einer atheistisch-kommunistischen Partei es rechtfertigt, einen kirchlichen Amtsträger zu entlassen, oder ob eine kirchliche Tätigkeit mit einem derartigen politischen Engagement grundsätzlich vereinbar sein kann oder sein sollte – nach Balzer als »Einheit und Dialektik des Politischen und des Theologischen« (S. 188).
Nach Einschätzung des Autors war der kommunistische Christ Erwin Eckert »nicht nur ein Revolutionär in nicht- bzw. vor- oder antirevolutionären Zeiten, sondern auch ein Reformator der christlichen Lehre«, dessen Bedeutung als antifaschistischer Kirchenkritiker – »anders als die von Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer – noch immer nicht ausreichend gewürdigt wird« (Klappentext). Es ist ein Anliegen dieses Buches, das zu ändern und die Bedeutung Eckerts ins öffentliche Bewusstsein zu heben. Denn Eckert sei, so Balzer, »für etwas diszipliniert und schließlich mit Berufsverbot bestraft« worden, »was Aufgabe der Kirche hätte sein müssen: nämlich sich vom Ungeist des Nationalismus, Militarismus, Antisemitismus und Antikommunismus freizumachen und unversöhnlich und kompromisslos den aufsteigenden Faschismus im Namen eines unverfälschten Evangeliums zu bekämpfen« (S. 16).
In Balzers Buch geht es insbesondere um die geschichtliche Aufarbeitung eines Kapitels, das von Berufsverboten gegen linke Kräfte in prägenden gesellschaftlichen Institutionen wie den Kirchen handelt. Die offizielle Aufarbeitung dieser Geschichte, ihrer Ursachen und Folgen steht noch aus, genauso wie die der staatlichen Berufsverbote. Und insbesondere die politischen Konsequenzen aus dieser Geschichtsaufarbeitung sind überfällig: so eine gesellschaftliche Rehabilitierung der Betroffenen sowie Wiedergutmachung und Entschädigung für existentielle Einbußen und Schäden, für zerstörte Lebensentwürfe, entgangenen Lebensunterhalt und Altersversorgung. Balzer schlägt vor, im Fall Eckert, der all dies nicht mehr erleben konnte, die vorenthaltene Entschädigung für eine zu gründende Erwin-Eckert-Stiftung zu verwenden, die sich mit dem Lebenswerk des Ausgestoßenen beschäftigt und die in seinem theologischen und politischen Sinne arbeiten und wirken soll: also im Geist des Antifaschismus, der sozialen Gerechtigkeit und des Friedens.
Friedrich-Martin Balzer: Berufsverbot in der Kirche. Der unerledigte Fall Erwin Eckert, PapyRossa Verlag, Köln 2023, 292 S., 20 €.