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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Bis heute ungesühnt: Kirchliche Berufsverbote

Berufs­ver­bo­te gab es in der Bun­des­re­pu­blik nicht nur für Bedien­ste­te im Staats­dienst, son­dern auch inner­halb der Kir­che. Der Publi­zist und frü­he­re Gym­na­si­al­leh­rer Fried­rich-Mar­tin Bal­zer hat die­se nicht all­zu bekann­te Pro­ble­ma­tik, die zugrun­de lie­gen­den Struk­tu­ren und ideo­lo­gi­schen Hin­ter­grün­de in sei­ner neu­en Buch­pu­bli­ka­ti­on am Bei­spiel des »uner­le­dig­ten Falls« Erwin Eckert auf­ge­zeigt und facet­ten­reich aufgearbeitet.

Erwin Eckert (1893-1972) war Mann­hei­mer Stadt­pfar­rer und Vor­sit­zen­der des Bun­des der Reli­giö­sen Sozia­li­sten. 1931 wur­de er, der schon früh­zei­tig vor dem her­auf­zie­hen­den Faschis­mus gewarnt hat­te, aus der SPD aus­ge­schlos­sen – nach zwei Jahr­zehn­ten Mit­glied­schaft. Dar­auf­hin trat er als erster Amts­trä­ger der evan­ge­li­schen Kir­che in die KPD ein – eine sei­ner­zeit in der Wei­ma­rer Repu­blik lega­le Par­tei. Dies führ­te prompt zur frist­lo­sen und »uneh­ren­haf­ten« Dienst­ent­las­sung aus sei­nem Kir­chen­amt als Pfar­rer – auf­grund eines Urteils des kirch­li­chen Dienst­ge­richts vom 11. Dezem­ber 1931, mit dem ein rechts­staat­lich zwei­fel­haf­tes Dienst­straf­ver­fah­ren ende­te. Mit allen damit ver­bun­de­nen exi­sten­ti­el­len Fol­gen: Rede­ver­bot und Ver­lust der Amts­be­zeich­nung, des Ein­kom­mens und des Anspruchs auf Ruhe­ge­halt. Weni­ge Jah­re spä­ter wur­de Eckert in Nazi-Deutsch­land poli­tisch ver­folgt, 1936 von der Gesta­po ver­haf­tet und ver­schärf­ter Ein­zel­haft unter­zo­gen sowie wegen »Vor­be­rei­tung zum Hoch­ver­rat« vom Volks­ge­richts­hof zu fast vier Jah­ren Zucht­haus ver­ur­teilt und anschlie­ßend unter Poli­zei­auf­sicht gestellt.

Fried­rich-Mar­tin Bal­zer ver­folgt auf die­sem geschicht­li­chen Hin­ter­grund den wei­te­ren Umgang mit die­sem Berufs­ver­bot gegen Eckert nach 1945. Es ist bis heu­te nicht auf­ge­ho­ben oder revi­diert wor­den – logi­scher­wei­se schon gar nicht in den anti­kom­mu­ni­sti­schen Nach­kriegs­zei­ten der 1950er und 60er Jah­re, in denen west­deut­sche Kom­mu­ni­sten poli­tisch und straf­recht­lich ver­folgt wur­den; und auch nicht in Zei­ten des »Radi­ka­len­er­las­ses« der 1970er/​80er Jah­re und der dar­auf fußen­den Berufs­ver­bo­te gegen des Kom­mu­nis­mus’ ver­däch­ti­ge Beam­te und Anwär­ter für den Öffent­li­chen Dienst. Schließ­lich war Eckert KPD-Mit­glied geblie­ben, hat­te sich als KPD-Kan­di­dat zur Ober­bür­ger­mei­ster-Wahl der Stadt Mann­heim auf­stel­len las­sen und fun­gier­te als KPD-Abge­ord­ne­ter im badi­schen, spä­ter im baden-würt­tem­ber­gi­schen Land­tag. 1960 wur­den er und ande­re füh­ren­de Mit­glie­der des »West­deut­schen Frie­dens­ko­mi­tees«, das u. a. gegen die Remi­li­ta­ri­sie­rung der Bun­des­re­pu­blik kämpf­te, wegen »Rädels­füh­rer­schaft in einer ver­fas­sungs­feind­li­chen Orga­ni­sa­ti­on« zu einer Bewäh­rungs­stra­fe verurteilt.

Ande­rer­seits sind »ent­na­zi­fi­zier­te« Alt­na­zis, die schon dem faschi­sti­schen Staat gedient hat­ten, seit Anfang der 1950er Jah­re wie­der in den Staats­dienst West­deutsch­lands, in Ver­wal­tung, Sicher­heits­be­hör­den und Justiz reinte­griert wor­den; und ent­spre­chend sind auch die mei­sten frü­he­ren Nazi-Anhän­ger inner­halb der Kir­che in ihren Ämtern belas­sen wor­den oder erhiel­ten unan­ge­foch­ten ihre Pen­sio­nen. Bal­zer bezeich­net die­ses »Ver­sa­gen der Kir­che« nach 1945 – par­al­lel zum Ver­sa­gen der west­deut­schen Gesell­schaft ins­ge­samt – als »zwei­te Schuld«. Kein Wun­der also, dass sich die weit­ge­hend kon­ser­va­tiv aus­ge­rich­te­te Kir­che zum Berufs­ver­bots­fall Eckert – trotz eini­ger Inter­ven­ti­ons­be­mü­hun­gen und Peti­tio­nen ein­zel­ner Kir­chen­leu­te – offi­zi­ell in jahr­zehn­te­lan­ges Schwei­gen hüll­te. Erst 1999 – also 67 Jah­re nach Eckerts »uneh­ren­haf­ter« Ent­las­sung als Pfar­rer – rang sich die Badi­sche Lan­des­kir­che durch, eine Art Schuld­ein­ge­ständ­nis abzu­le­gen und einen Reha­bi­li­tie­rungs­ver­such zu star­ten; aller­dings ohne kir­chen­recht­li­che Kon­se­quen­zen und ohne Ent­schä­di­gung, so dass Eckert, wie so vie­le von Berufs­ver­bot Betrof­fe­ne, wei­ter­hin mit Alters­ar­mut zu kämp­fen hat­te und die­ses Unrecht bis heu­te weiterbesteht.

Fried­rich-Mar­tin Bal­zer hat sich als Nach­lass­ver­wal­ter schon jahr­zehn­te­lang mit dem Erbe Erwin Eckerts beschäf­tigt und meh­re­re Bücher über ihn und sein Wir­ken publi­ziert, nicht zuletzt auf dem geschicht­li­chen Hin­ter­grund der »Mit­ver­ant­wor­tung des deut­schen Pro­te­stan­tis­mus für Faschis­mus, Krieg und Holo­caust«, so der Titel einer Streit­schrift des Autors von 2010. Nun legt Bal­zer eine Arbeit vor, die sich mit histo­ri­schen, poli­ti­schen und (kir­chen- und ver­fas­sungs-) recht­li­chen Pro­ble­men des kirch­li­chen Berufs­ver­bots aus­ein­an­der­setzt, aber dar­über hin­aus auch mit des­sen ideo­lo­gi­schen und theo­lo­gi­schen Hin­ter­grund. Die­se Aus­ein­an­der­set­zung umfasst auch die sozia­le Bestim­mung von Chri­sten­tum und Theo­lo­gie in der poli­ti­schen Welt, die gera­de für Eckert – oft im Wider­spruch zur Amts­kir­che – unab­ding­ba­rer Auf­trag war: jen­seits der reli­giö­sen Ver­trö­stung aufs Jen­seits klar an der »Sei­te der Armen und Unter­drück­ten« und dar­um an der »Sei­te all derer, die sich gegen Elend und Unter­drückung empö­ren und zur Wehr set­zen« (S. 169). Und so wid­met sich das Buch auch der Fra­ge, ob die poli­ti­sche Mit­ar­beit in einer athe­istisch-kom­mu­ni­sti­schen Par­tei es recht­fer­tigt, einen kirch­li­chen Amts­trä­ger zu ent­las­sen, oder ob eine kirch­li­che Tätig­keit mit einem der­ar­ti­gen poli­ti­schen Enga­ge­ment grund­sätz­lich ver­ein­bar sein kann oder sein soll­te – nach Bal­zer als »Ein­heit und Dia­lek­tik des Poli­ti­schen und des Theo­lo­gi­schen« (S. 188).

Nach Ein­schät­zung des Autors war der kom­mu­ni­sti­sche Christ Erwin Eckert »nicht nur ein Revo­lu­tio­när in nicht- bzw. vor- oder anti­re­vo­lu­tio­nä­ren Zei­ten, son­dern auch ein Refor­ma­tor der christ­li­chen Leh­re«, des­sen Bedeu­tung als anti­fa­schi­sti­scher Kir­chen­kri­ti­ker – »anders als die von Karl Barth und Diet­rich Bon­hoef­fer – noch immer nicht aus­rei­chend gewür­digt wird« (Klap­pen­text). Es ist ein Anlie­gen die­ses Buches, das zu ändern und die Bedeu­tung Eckerts ins öffent­li­che Bewusst­sein zu heben. Denn Eckert sei, so Bal­zer, »für etwas dis­zi­pli­niert und schließ­lich mit Berufs­ver­bot bestraft« wor­den, »was Auf­ga­be der Kir­che hät­te sein müs­sen: näm­lich sich vom Ungeist des Natio­na­lis­mus, Mili­ta­ris­mus, Anti­se­mi­tis­mus und Anti­kom­mu­nis­mus frei­zu­ma­chen und unver­söhn­lich und kom­pro­miss­los den auf­stei­gen­den Faschis­mus im Namen eines unver­fälsch­ten Evan­ge­li­ums zu bekämp­fen« (S. 16).

In Bal­zers Buch geht es ins­be­son­de­re um die geschicht­li­che Auf­ar­bei­tung eines Kapi­tels, das von Berufs­ver­bo­ten gegen lin­ke Kräf­te in prä­gen­den gesell­schaft­li­chen Insti­tu­tio­nen wie den Kir­chen han­delt. Die offi­zi­el­le Auf­ar­bei­tung die­ser Geschich­te, ihrer Ursa­chen und Fol­gen steht noch aus, genau­so wie die der staat­li­chen Berufs­ver­bo­te. Und ins­be­son­de­re die poli­ti­schen Kon­se­quen­zen aus die­ser Geschichts­auf­ar­bei­tung sind über­fäl­lig: so eine gesell­schaft­li­che Reha­bi­li­tie­rung der Betrof­fe­nen sowie Wie­der­gut­ma­chung und Ent­schä­di­gung für exi­sten­ti­el­le Ein­bu­ßen und Schä­den, für zer­stör­te Lebens­ent­wür­fe, ent­gan­ge­nen Lebens­un­ter­halt und Alters­ver­sor­gung. Bal­zer schlägt vor, im Fall Eckert, der all dies nicht mehr erle­ben konn­te, die vor­ent­hal­te­ne Ent­schä­di­gung für eine zu grün­den­de Erwin-Eckert-Stif­tung zu ver­wen­den, die sich mit dem Lebens­werk des Aus­ge­sto­ße­nen beschäf­tigt und die in sei­nem theo­lo­gi­schen und poli­ti­schen Sin­ne arbei­ten und wir­ken soll: also im Geist des Anti­fa­schis­mus, der sozia­len Gerech­tig­keit und des Friedens.

Fried­rich-Mar­tin Bal­zer: Berufs­ver­bot in der Kir­che. Der uner­le­dig­te Fall Erwin Eckert, Papy­Ros­sa Ver­lag, Köln 2023, 292 S., 20 €.