Was uns mit Tieren verbindet: Luft zur Atmung, Ernährung von Lebewesen, Sinnesorgane. Wir leben mit ihnen im Reich der Animalia, im Reich der beseelten Wesen. Weil mancher den Tieren Seelen nicht zugestehen will, hebt sich der Mensch bis hin zur juristischen Bestimmung vom Tier ab, welches er töten kann, aber nicht ermorden. Der Kunstausstellung »Das Tier – Sinnbild des Göttlichen« in Pirna liegt die empathische Intention im Verhältnis Mensch und Tier zugrunde. Über 80 Tierskulpturen von mehr als 30 Bildhauern aus Deutschland und aus Pirnas Partnerstädten Tschechiens und Finnlands sind auf den Bastionen von Pirna zu sehen. Seit 2015 wird dort Kunst statt Kanonen gezeigt.
Von den Wirbeltieren sind uns die Säugetiere am nahesten. Ein Bildhauer, der von Fritz Jacobi im Katalog (15 €) zitiert wird, macht darauf aufmerksam, wie ein Tiger seinen Kopf trägt, was für eine Körperstatik ein Tier hat, so dass er denkt: »Gott ist mehr bei den Tieren.« Denn der Mensch wurde bei der Vergabe der verschiedensten Kräfte, die nach dem Mythos an alle Wesen gerecht verteilt werden sollten, fast vergessen, so dass er noch ohne Decke, Wehr und Schnelligkeit dastand. Obwohl der Mensch von Prometheus dann die kunstreiche Weisheit mitsamt dem Feuer erhielt und er mit diesen göttlichen Gütern das erste unter allen Geschöpfen wurde, staunt er immer wieder über die Fähigkeiten der Tiere.
Vom Nestor der deutschen Tierbildnerei im 20. Jahrhundert, August Gaul, dessen 150. Geburtstag dem Skulpturensommer in Pirna den Anlass gibt, zeigt der »Laufende Orang-Utan«, dass Gaul nicht die Natur imitiert, sondern »das Typische und ihren seelischen Kern« festgehalten hat: »Was mich bei den Tieren anzieht, ist ganz wesentlich künstlerischer Art. Ich mache Tiere, weil es mich freut.«
Am weitetesten entfernt sind den Künstlern die so artenreichen Insekten, von denen Matthias Garff heiter-satirisch in einem Kasten gebastelte Schmetterlinge und Käfer aus Abfall, wie Kronenverschlüsse, präsentiert, darunter ein wohl roter Bremer Schlüsselkäfer und ein gigantisch-monumentaler Kopf der »Heuschrecke« mit dem er ihre Gefräßigkeit symbolisieren dürfte, aber auf ihre grün-goldene Schönheit hinweisen will, die er aus Gips, Kleber, Lack, Holz, Glitzer und Asche hervorgebracht hat. Selten die Amphibien; von Petr Holeček springt ein Frosch mit überlangen Hinterbeinen quer durch die Luft, nur ein Punkt hält die bronzene Figur an der Bodenplatte. Ein dreieinhalb Meter großes Fischgebilde aus Faden und Draht schwebt von der Luftfischschöpferin Sophie Natuschke zwischen der Festungsarchitektur. Desgleichen ein unter der Decke aufgehängter hölzerner fliegender Schwan von Peer Oliver Nau. Fantasievoll die Skulpturen, die Matthias Jakisch aus gefundenen Sandsteinbrocken mit nur geringer Bearbeitung zu »Balz« und »Igel« assoziationsreich formte.
Sehr gern werden Vögel von Künstlerblicken erfasst, mal in geschlossener abstrakter Form, wie Vincenc Vinglers »Eule«, mal völlig zerfleddert, wie Petra Graupners zwei Jungvögel, die ihren »ersten Tanz« allerdings im Ausstellungsteil des Stadtmuseums vollführen. In realistischer Form marschiert die »Gänsegruppe« von Gustav Weidanz erhobenen Kopfes. Seit 1958 erinnert sie in Halle vor dem Landesmuseum für Vorgeschichte sinnbildlich an die Geschichte von den Gänsen auf dem Kapitol, die durch ihr instinktgelenktes Geschnatter die Römer vor einem Stadtbrand warnten. Sie sind wie Kristof Grunerts »Pelikan« aus Bronze; dagegen fertigte Matthias Garff »Kiki« aus Birkenstämmen, Reifen, Lack und Schrauben eine monumentale Satire auf den aus Autoreifen gebastelten Vorgartenkitsch.
Bewundert werden die schönen, spannungsvollen Lefzenlinien der »Löwin« von Gerhard Marcks, der seine Kindheit im Berliner Zoo verlebte und dem Tiere erste Freunde und Modelle wurden. Das geschmeidige und listenreiche Anschleichen bewundert Kristof Grunerts in der »Großen Löwin«. Neben Liebe verlangen Hauskatzen oft Distanz und Respekt, so »Die Wilde« von Taru Mäntynen, die mit glitzernden Noppen umrüstet ist und wie ägyptische mumifizierte Katzen Göttlichkeit ausstrahlt, ebenso Gerhard Marcks »Tragende sitzende Katze« und Helmut Heinzes »Porträt Kater Moritz«. An den schakalköpfigen Totengott Anubis, der oft als schwarzer Hund an Grabeingängen wacht, erinnert der stilisierte deutsche »Schäferhund«, 1945, aus Eichenholz von Heinz Theuerjahr, ein besonders gut vertretener Bildhauer. Enge Liebe erfahren Hunde (Paulina Skavová, Ingrid Baumgärtner, Sibylle Schwarz); an ihre Wachsamkeit gemahnt der »lebensgroße sitzende Hund« Sabina Grzimeks.
An Haustieren kann täglich Freude und Leid erlebt werden, wie an der »Ziege« von Monika Jung, einem krankheitsgeplagten Tier. Hochgeschätzt sind Pferde, im archaischen Stil bei Gunther Bachmann, im klassischen aber auch hellenistischem Stil bei Hans Wimmer.
Glückliche und überraschende Stellen sind für jede Skulptur und Plastik von der Kuratorin Christiane Stoebe und Ko-Kuratorin Gisela Protze in dem weitläufigen und windigen Festungsgelände gefunden worden. Hoch auf der Brüstung die sich mit gesträubten Fell streitenden Katzen von Anna Franziska Schwarzbach. Von Vincenc Vingler der »Kormoran« im Lichthof kann nach unten Ausschau halten. Als Besetzer des Gemäuers gebärdet sich Hans Scheibs brüllendes »Alpha-Tier«, Holz und Farbe, ein Affenwesen, das wie der Mensch die gleiche Erbanlage für Gewalt besitzt. Dagegen erweckt der »Gorilla« von Heinz Theuerjahr den Eindruck, als könnte er Gedanken fassen. Wimmers »Zirkuspferd« mit schön gebogenem Kamm, mit geradem Scheitel und Stirn, gerundetem Hüftgelenk und mit zarten Fesseln ist im idealisierten Schreiten ein Ornament oder Formel, in denen Wimmer »keinen Gegensatz zum Figürlichen, sondern im Gegenteil die höchste Steigerung des Figürlichen« sieht. Es erscheint als klare Silhouette vor dem Gewölbebogen und wurde Bildzeichen der Pirnaer Ausstellung. Der Raum spricht mit und bestätigt den von Fritz Jacobi zitierten Standpunkt des Bildhauers Helmut Heinze: »Eigentlich müsste der Bildhauer mehr ›raumen‹ als ›körpern‹.«
Wenn die Bionik die wunderbaren Hervorbringungen in der Tierwelt als übertragbare Virtualität für eigene Entdeckungen zu begreifen erforscht, entdeckt die Kunst Schönheit und Wesen der Tiere, hilft, vom Menschenzentrismus wegzukommen, alle anderen Lebewesen zu respektieren und ihre Besonderheit zu erkennen.
Bis 29. September, Bastionen Festung Sonnenstein, Pirna, Mi-So 13-17 Uhr. Zum gleichen Thema ist der Rosengarten des Schlosses der Partnerstadt Děčín ein weiterer Ausstellungsort des Skulpturensommers.