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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Bibelkunde: »Westjordanland«

Das bri­ti­sche Man­dat des Gebie­tes »Palä­sti­na« ende­te am 14. Mai 1948. Damit trat für die Hälf­te des Man­dats­ge­bie­tes zugleich der Beschluss der UN-Voll­ver­samm­lung in Kraft, wonach ein »Jüdi­scher Staat« neben einem »Ara­bi­schen Staat« in die­sem Gebiet errich­tet wer­den soll­te. Einen »Tei­lungs­plan« dafür hat­te die UN-Voll­ver­samm­lung recht­zei­tig dazu, am 29. Novem­ber 1947, ange­nom­men. Danach war für den »Jüdi­schen Staat« ein schma­ler Land­strich west­lich des Sees Gene­za­reth, ein län­ge­rer Küsten­strei­fen am Mit­tel­meer (mit Tel Aviv und Jaf­fa, aber ohne das Gaza-Gebiet) und fast die gesam­te Negeb-Wüste bis an das Rote Meer vor­ge­se­hen. Der »Ara­bi­sche Staat« soll­te ein gleich­gro­ßes Gebiet west­lich des Sees Gene­za­reth, das gesam­te West­jor­dan­land sowie ein Gebiet an der Gren­ze nach Ägyp­ten mit Gaza erhal­ten. Die Stadt Jeru­sa­lem wur­de bis auf wei­te­res unter UN-Ver­wal­tung gestellt.

Die­ser Tei­lungs­plan mit den dar­in fest­ge­leg­ten Gren­zen wur­de dann von einem israe­li­schen Komi­tee im Zusam­men­hang mit einem Text für die Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung des Staa­tes Isra­el dis­ku­tiert. Als es dann jedoch zur Abstim­mung über die Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung kam, sprach sich eine knap­pe Mehr­heit von 5 zu 4 Stim­men dafür aus, »ter­ri­to­ria­le Ein­schrän­kun­gen« in die Erklä­rung, die dann eben­falls am 14. Mai 1948 in Kraft trat, nicht auf­zu­neh­men, weil »in der Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung der USA auch kei­ne natio­na­len Gren­zen genannt wor­den sei­en«. Statt­des­sen heißt es nun in der Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung gleich zu Anfang: »Im Land Isra­el ent­stand das jüdi­sche Volk. (…) Hier schuf es eine natio­na­le und uni­ver­sel­le Kul­tur und schenk­te der Welt das Ewi­ge Buch der Bücher.« Dar­in fin­det sich dann auch eini­ges zur Grenz­fra­ge, das nicht nur für frü­he­re Zeit, son­dern, genau genom­men, bis in die Ewig­keit gel­ten soll. Lesen wir also in die­sem »Ewi­gen Buch«, zunächst in sei­nem wich­tig­sten Teil, der Tora, bei uns bes­ser bekannt als die »Fünf Bücher Mose«: Gene­sis (Gn), Exodus (Ex), Levi­ti­cus (Lv), Nume­ri (Nu), Deu­te­ro­no­mi­um (Dt).

Dt 32.48 f.: »Und der Herr rede­te mit Mose (…) und sprach: (…) ›Geh auf den Berg Nebo und schaue das Land Kana­an (West­jor­dan­land), das ich den Israe­li­ten zum Eigen­tum geben wer­de‹.« – Dt 34. 1 ff.: »Und Mose stieg aus dem Jor­dan­tal auf den Berg Nebo (…) gegen­über Jeri­cho. Und der Herr zeig­te ihm das gan­ze Land: Gilead bis nach Dan und das gan­ze Naph­tha­li und das gan­ze Efra­im und Manas­se und das gan­ze Land Juda bis an das Meer im Westen (d. h. das Mit­tel­meer) und das Süd­land und die Gegend am Jor­dan, die Ebe­ne von Jeri­cho (…) bis nach Zoar. Und der Herr sprach zu ihm: ›Dies ist das Land, von dem ich Abra­ham, Isaak und Jakob geschwo­ren habe: Ich will es dei­nen Nach­kom­men geben.‹«

Auf die­sen hoch­hei­li­gen, weil »ewi­gen« Text spiel­te Isra­els Regie­rungs­chef Netan­ja­hu an, als er 2009 über die Bedeu­tung des West­jor­dan­lan­des für Isra­el sprach, in dem sich »bereits Abra­ham, Isaak und Jakob auf­hiel­ten«, und damit bekun­de­ten, dass es »kein frem­des Land, son­dern das Land unse­rer Vor­fah­ren« ist (zitiert nach DLF, 1.08.2009). Die­se Auf­fas­sung bekräf­tig­te Netan­ja­hu vor der UN-Voll­ver­samm­lung im Sep­tem­ber vori­gen Jah­res, auf der er den Dele­gier­ten zwei Kar­ten zeig­te. Unter dem Titel »Der neue Nahe Osten« sind weder das West­jor­dan­land noch der Gaza­strei­fen ein­ge­zeich­net. »Die palä­sti­nen­si­schen Gebie­te sind Isra­el zuge­rech­net«, so konn­te man es am 22. Sep­tem­ber 2023 bei ZEIT ONLINE lesen. Eine »Zwei­staa­ten­lö­sung«, wie sie der Tei­lungs­plan von 1947 vor­sah, scheint kaum noch mög­lich zu sein. Den­noch: Sie muss wei­ter­hin ange­strebt wer­den. Ver­hin­dert wer­den muss auf jeden Fall, wie nach der Hei­li­gen Schrift die Erobe­rung und Besie­de­lung des »Gelob­ten Lan­des« von­stat­ten­ge­hen soll.

Im Buch Josua wird das aus­führ­lich geschil­dert. Dafür hat­te der Jah­we-Gott an zahl­lo­sen Stel­len die »Kriegs- und Bann­ge­set­ze« gege­ben (Dt. 20, Num 21.1-3 usw.), die in zwei­er­lei Gestalt ange­wandt wer­den konn­ten: »Wenn du vor eine Stadt ziehst, um gegen sie zu kämp­fen, so sollst du ihr zuerst den Frie­den anbie­ten. Ant­wor­tet sie dir fried­lich und tut dir ihre Tore auf, so soll das gan­ze Volk, das dar­in gefun­den wird, dir fron­pflich­tig sein und dir die­nen.« Wenn sie aber »kei­nen Frie­den machen«, dann soll alles erschla­gen wer­den, was männ­lich ist, nicht aber die Frau­en, Kin­der und das Vieh, was als Beu­te genom­men wird. Das gilt aller­dings nur für die Städ­te, die »weit ent­fernt« lie­gen. In den Städ­ten »hier« (im West­jor­dan­land), die »Gott, der Herr, dir zum Erbe geben wird«, soll alles ver­nich­tet wer­den, wie es am Fall Jeri­chos in Josua 6 ein­drück­lich und bei­spiel­ge­bend geschil­dert wird: »So erober­ten sie die Stadt und voll­streck­ten den Bann an allem, was in der Stadt war, mit der Schär­fe des Schwer­tes, an Mann und Weib, Jung und Alt, Rin­dern, Scha­fen und Eseln« (Jos. 6.21).

Wei­te­re Bei­spie­le liest man u. a. in Jos. 10.28 ff. Gerühmt wird, Jahr­hun­der­te spä­ter, die Ver­nich­tung eines alten »Erb­fein­des«. Das waren die Ama­le­ki­ter. Ihre Ver­nich­tung war so gründ­lich, dass es, anders als bei den ande­ren Eth­ni­en, im West­jor­dan­land, kei­ne außer­bi­bli­schen Zeug­nis­se mehr von ihnen gibt. Isra­els Mini­ster­prä­si­dent Netan­ja­hu kennt natür­lich die Ama­le­ki­ter-Geschich­ten, die die »fort­dau­ern­de Erb­feind­schaft zwi­schen Isra­el und jenem Volk« nicht in Ver­ges­sen­heit gera­ten las­sen sol­len. Zu Beginn der Boden­of­fen­si­ve im Gaza­strei­fen, am 28. Okto­ber 2023, zitiert er dar­aus das »Got­tes­wort« an Isra­el: »Erin­nert euch, was Ama­lek euch ange­tan hat, sagt unse­re hei­li­ge Schrift« (Dt 25.17), um dann fort­zu­fah­ren: »Wir erin­nern uns, und wir kämp­fen« (zitiert nach taz, 29.10.2023).

Es scheint mir hoch an der Zeit zu sein, dass die maß­geb­li­chen Poli­ti­ker bei uns, die ja unver­brüch­lich an der Sei­te Isra­els ste­hen wol­len, dort offi­zi­ell anfra­gen, ob die Schwü­re, die der Jah­we-Gott auf dem Berg Nebo angeb­lich gege­ben hat, bei ihnen immer noch unum­stöß­lich gel­ten; und wie ist’s mit den mör­de­ri­schen Kriegs- und Bann­ge­set­zen? Auch der Prä­si­dent des Zen­tral­ra­tes der Juden in Deutsch­land, Dr. Josef Schu­ster, soll­te sich dazu äußern!