Das britische Mandat des Gebietes »Palästina« endete am 14. Mai 1948. Damit trat für die Hälfte des Mandatsgebietes zugleich der Beschluss der UN-Vollversammlung in Kraft, wonach ein »Jüdischer Staat« neben einem »Arabischen Staat« in diesem Gebiet errichtet werden sollte. Einen »Teilungsplan« dafür hatte die UN-Vollversammlung rechtzeitig dazu, am 29. November 1947, angenommen. Danach war für den »Jüdischen Staat« ein schmaler Landstrich westlich des Sees Genezareth, ein längerer Küstenstreifen am Mittelmeer (mit Tel Aviv und Jaffa, aber ohne das Gaza-Gebiet) und fast die gesamte Negeb-Wüste bis an das Rote Meer vorgesehen. Der »Arabische Staat« sollte ein gleichgroßes Gebiet westlich des Sees Genezareth, das gesamte Westjordanland sowie ein Gebiet an der Grenze nach Ägypten mit Gaza erhalten. Die Stadt Jerusalem wurde bis auf weiteres unter UN-Verwaltung gestellt.
Dieser Teilungsplan mit den darin festgelegten Grenzen wurde dann von einem israelischen Komitee im Zusammenhang mit einem Text für die Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel diskutiert. Als es dann jedoch zur Abstimmung über die Unabhängigkeitserklärung kam, sprach sich eine knappe Mehrheit von 5 zu 4 Stimmen dafür aus, »territoriale Einschränkungen« in die Erklärung, die dann ebenfalls am 14. Mai 1948 in Kraft trat, nicht aufzunehmen, weil »in der Unabhängigkeitserklärung der USA auch keine nationalen Grenzen genannt worden seien«. Stattdessen heißt es nun in der Unabhängigkeitserklärung gleich zu Anfang: »Im Land Israel entstand das jüdische Volk. (…) Hier schuf es eine nationale und universelle Kultur und schenkte der Welt das Ewige Buch der Bücher.« Darin findet sich dann auch einiges zur Grenzfrage, das nicht nur für frühere Zeit, sondern, genau genommen, bis in die Ewigkeit gelten soll. Lesen wir also in diesem »Ewigen Buch«, zunächst in seinem wichtigsten Teil, der Tora, bei uns besser bekannt als die »Fünf Bücher Mose«: Genesis (Gn), Exodus (Ex), Leviticus (Lv), Numeri (Nu), Deuteronomium (Dt).
Dt 32.48 f.: »Und der Herr redete mit Mose (…) und sprach: (…) ›Geh auf den Berg Nebo und schaue das Land Kanaan (Westjordanland), das ich den Israeliten zum Eigentum geben werde‹.« – Dt 34. 1 ff.: »Und Mose stieg aus dem Jordantal auf den Berg Nebo (…) gegenüber Jericho. Und der Herr zeigte ihm das ganze Land: Gilead bis nach Dan und das ganze Naphthali und das ganze Efraim und Manasse und das ganze Land Juda bis an das Meer im Westen (d. h. das Mittelmeer) und das Südland und die Gegend am Jordan, die Ebene von Jericho (…) bis nach Zoar. Und der Herr sprach zu ihm: ›Dies ist das Land, von dem ich Abraham, Isaak und Jakob geschworen habe: Ich will es deinen Nachkommen geben.‹«
Auf diesen hochheiligen, weil »ewigen« Text spielte Israels Regierungschef Netanjahu an, als er 2009 über die Bedeutung des Westjordanlandes für Israel sprach, in dem sich »bereits Abraham, Isaak und Jakob aufhielten«, und damit bekundeten, dass es »kein fremdes Land, sondern das Land unserer Vorfahren« ist (zitiert nach DLF, 1.08.2009). Diese Auffassung bekräftigte Netanjahu vor der UN-Vollversammlung im September vorigen Jahres, auf der er den Delegierten zwei Karten zeigte. Unter dem Titel »Der neue Nahe Osten« sind weder das Westjordanland noch der Gazastreifen eingezeichnet. »Die palästinensischen Gebiete sind Israel zugerechnet«, so konnte man es am 22. September 2023 bei ZEIT ONLINE lesen. Eine »Zweistaatenlösung«, wie sie der Teilungsplan von 1947 vorsah, scheint kaum noch möglich zu sein. Dennoch: Sie muss weiterhin angestrebt werden. Verhindert werden muss auf jeden Fall, wie nach der Heiligen Schrift die Eroberung und Besiedelung des »Gelobten Landes« vonstattengehen soll.
Im Buch Josua wird das ausführlich geschildert. Dafür hatte der Jahwe-Gott an zahllosen Stellen die »Kriegs- und Banngesetze« gegeben (Dt. 20, Num 21.1-3 usw.), die in zweierlei Gestalt angewandt werden konnten: »Wenn du vor eine Stadt ziehst, um gegen sie zu kämpfen, so sollst du ihr zuerst den Frieden anbieten. Antwortet sie dir friedlich und tut dir ihre Tore auf, so soll das ganze Volk, das darin gefunden wird, dir fronpflichtig sein und dir dienen.« Wenn sie aber »keinen Frieden machen«, dann soll alles erschlagen werden, was männlich ist, nicht aber die Frauen, Kinder und das Vieh, was als Beute genommen wird. Das gilt allerdings nur für die Städte, die »weit entfernt« liegen. In den Städten »hier« (im Westjordanland), die »Gott, der Herr, dir zum Erbe geben wird«, soll alles vernichtet werden, wie es am Fall Jerichos in Josua 6 eindrücklich und beispielgebend geschildert wird: »So eroberten sie die Stadt und vollstreckten den Bann an allem, was in der Stadt war, mit der Schärfe des Schwertes, an Mann und Weib, Jung und Alt, Rindern, Schafen und Eseln« (Jos. 6.21).
Weitere Beispiele liest man u. a. in Jos. 10.28 ff. Gerühmt wird, Jahrhunderte später, die Vernichtung eines alten »Erbfeindes«. Das waren die Amalekiter. Ihre Vernichtung war so gründlich, dass es, anders als bei den anderen Ethnien, im Westjordanland, keine außerbiblischen Zeugnisse mehr von ihnen gibt. Israels Ministerpräsident Netanjahu kennt natürlich die Amalekiter-Geschichten, die die »fortdauernde Erbfeindschaft zwischen Israel und jenem Volk« nicht in Vergessenheit geraten lassen sollen. Zu Beginn der Bodenoffensive im Gazastreifen, am 28. Oktober 2023, zitiert er daraus das »Gotteswort« an Israel: »Erinnert euch, was Amalek euch angetan hat, sagt unsere heilige Schrift« (Dt 25.17), um dann fortzufahren: »Wir erinnern uns, und wir kämpfen« (zitiert nach taz, 29.10.2023).
Es scheint mir hoch an der Zeit zu sein, dass die maßgeblichen Politiker bei uns, die ja unverbrüchlich an der Seite Israels stehen wollen, dort offiziell anfragen, ob die Schwüre, die der Jahwe-Gott auf dem Berg Nebo angeblich gegeben hat, bei ihnen immer noch unumstößlich gelten; und wie ist’s mit den mörderischen Kriegs- und Banngesetzen? Auch der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, sollte sich dazu äußern!