Wir waren in der Voraufführung. Die Dame ging mir zuliebe mit. Die einen haben eine Putzfrau, die anderen schauen sich deren Arbeit im Theater an. Wobei, wenn das Theater v. a. von Bürgerlichen besucht wird, und wer mag das bezweifeln, dann gibt es hier Überschneidungen.
Der Schreiber dieser Zeilen bewegt sich mitunter beruflich in der Nähe von »Reinigungskräften«, daher erlaube ich mir meine Bemerkungen. Es wird die unterste Schicht der Putzfrauen gezeigt, es gibt aber auch einen Mann im »Team«. – Die Mitarbeiter der Putzfirma in unserer Bibliothek, leider outgesourct – auch ein Thema! –, sind ganz anders. Ich habe mal mit einer zusammen geputzt, die war nebenher Sängerin in einer Bar, rauchte zu viel, und hatte eine raue, schöne Stimme. Kommunikation war, soweit wegen Sprachunterschieden möglich, genügend. Da gibt es erfreulicherweise mehr Selbstbewusstsein als bei den Frauen im Stück. Freilich, wer in einer Wurstfabrik putzen muss, der ist weit unten und darf auf wenig Mitgefühl hoffen, außer im Theater, aber da geht man rein und wieder raus – und aus.
Wir sehen die Putzkolonne bei der Arbeit, bei ihren Gesprächen, bei der »Motivation« durch ihren Vorarbeiter, beim Personalgespräch, eine wunderbare Parodie, aber ich habe wenig von den Unterhaltungen verstanden. Auch die Dame nicht. Es lag also nicht nur an meinen Ohren. Es scheint, dies nur nebenbei, das wurde auch schon von einer uns bekannten Schauspielerin moniert, keinen großen Wert mehr auf eine gute Sprachausbildung gelegt zu werden.
Das Stück ist etwas Beckett, also etwas langsam und manchmal etwas quälend langatmig, manchmal etwas Shocking: totales Dunkel und Disko-Musik – volle Dröhnung.
Die Schauspieler sehr gut, aber wenig Theater, wenig Entwicklung, wir lernen die Figuren ein bisschen kennen, sehen sie bei typischen Situationen, auch der sich entwickelnden Nähe.
Freilich, es kommt kein Betriebsrat vorbei, es kommt kein Gewerkschafter vorbei, es entwickelt sich kein solidarischer Protest. Es ist eine verflucht deprimierende Angelegenheit. Aber liegt das am Stück, dem Autor oder an denen, die auch im Publikum sitzen und in ihrer Freizeit nun ukrainische Fähnchen schwingen und sich auf neue Putzfrauen freuen?
Übrigens, wie auch bei der Bahn, saß schon jemand auf meinem Platz. Ein Vergleich der Eintrittskarten ergab den gleichen Sitzplatz. Sollten wir uns brüderlich einen Sitzplatz teilen, das Theater hat ja einiges nachzuholen? Nun, der Mann kam aus der Zukunft, seine Karte war für den nächsten Tag ausgestellt.
Ich wünsche dem Theater viele Besucher, es ist sehr erfreulich, wenn nicht nur der Liebeshändel und die Erziehungsprobleme des Bürgertums im Theater verhandelt werden, sondern auch Klassenkonflikte und die Arbeiterklasse wieder/auch Thema werden. (Das sind sie natürlich, nur merkt das kaum einer).
Hätte diese Klasse ein Bewusstsein und eine Partei, die nicht mit Sexskandälchen beschäftigt wäre, dann gebe es vielleicht auch eine marxistische Position zum Krieg, und unsere (US-)gesteuerten Kriegstreiber könnten ihre Hetze nicht so ungestört betreiben, wie sie es leider aktuell tun.
Die kommende Betriebsfeier des Fleischbetriebs klingt wie eine Drohung für die Frauen, vielleicht wäre aber doch eine Verständigung möglich, es muss ja nicht gleich Revolution sein. Ein Streik für geregelte Arbeitsbedingungen, Festanstellungen, mehr Geld und weniger Hetze wäre schon gut.
Aber darauf warten wir, ich in meiner Stadtbibliothek, wo auch die Security outgesourct ist, wohl noch eine Weile. Jetzt macht das dt. Bürgertum mobil, da brauchen wir Burgfrieden, der hat sich ja schon im Corona-Krieg bestens bewährt. Und wie in früheren Kriegen wird man bald wieder lesen können, wenn sich das zu schreiben noch jemand traut: Die Proleten fallen, die Aktienkurse steige
Beyond Caring, Schaubühne Berlin, Buch und Regie: Alexander Zeldin, nächster Termin 25.5.2022, 20 Uhr.