Irgendwo in Deutschland steht ein Intendant vor gleich mehreren Besetzungsproblemen. Die Redakteurin Freya Wedel von der »Freien Welle« telefoniert mit dem Intendanten Dr. Roger Range-Felskirch.
Freie Welle: Hallo, hier Freya Wedel von der »Freien Welle«.
Intendant: Grüße Sie, Frau Wedel.
Freie Welle: Lessings »Nathan« steht als »Experiment« auf Ihrem Spielplan, weil die Titelrolle mit einem jüdischen Schauspieler besetzt werden soll. Neu ist das doch nicht.
Intendant: Doch, weil explizit ausgeschrieben, ist es ein Novum, da auch die Verwandten und das übrige Personal im »Nathan« entsprechend besetzt werden, wobei die Tochter Nathans eigentlich christlicher Herkunft ist, ein Problem, das wir noch nicht endgültig gelöst haben. Authentizität und Identität sind uns wichtig.
Freie Welle: Und wie besetzen Sie die Rolle des Sultans?
Intendant: Der Sultan wird muslimisch besetzt, allerdings darf das kein verkappter Salafist sein. Wir haben noch mehrere Vorsprechen und recherchieren da.
Freie Welle: Für die Rollen der Christen gibt es keine besonderen Auflagen?
Intendant: Sofern die Kolleginnen und Kollegen untereinander auskommen und nicht der AfD nahestehen, nein.
Freie Welle: Und die Regie?
Intendant: Ja, die Spielleitung ist bei Stücken von Autoren generell weiblich, was ok ist. Bei Autorinnen entscheiden die Darstellerinnen, ob eine Frau oder ein Mann inszenieren soll. Das ist auch immer für das Publikum interessant.
Freie Welle: Aber was ist mit der Nähe zur Partei »Die Linke«, die einer ihrer Regisseurinnen nachgesagt wird?
Intendant: Wir haben leider nur zwei, aber sollte sich der Verdachtsfall erhärten, kann diesmal auch ein Mann für die Spielleitung einspringen, allerdings würden wir eine queere Lösung vorziehen.
Freie Welle: Warum kann es keine Afrikanerin oder Afroamerikanerin sein?
Intendant: Dazu gibt es beim »Nathan« keinen plausiblen Ansatz. Eine Afroamerikanerin ist allerdings später für den Meyerbeer vorgesehen.
Freie Welle: Eine Oper?
Intendant: Ja, »Die Afrikanerin«. Der postume Titel ist nicht von Meyerbeer, die Oper sollte eigentlich »Vasco da Gama« heißen. Er hatte da doch schon ein gutes Gespür.
Freie Welle: Es geht Ihnen um Authentizität und Identität. Werden Sie die Tier-Rollen in den Stücken der Spielzeit auch mit Tieren besetzen?
Intendant: Nein, wo denken Sie hin? Der Esel bei Shakespeare wird natürlich nicht mit einem Esel besetzt, das lässt schon der Tierschutz gar nicht zu.
Freie Welle: Aber Pferde!
Intendant: (zögert) Pferde? Ja, die schon, das kommt immer auf die Bühnengröße an.
Freie Welle: Und Vögel?
Intendant: Aber nein, »Die Vögel« von Aristophanes werden mit Halbmasken dargestellt.
Freie Welle: Sollten die Darstellenden da nicht doch schon Ornithologen sein.
Intendant: Nein, Wissenschaftler sind auf der Bühne nicht vorgesehen. Dürrenmatts »Die Physiker« – übrigens ein immer noch sehr aktuelles Stück – werden von Schauspielern dargestellt werden. Natürlich wird bei der Besetzung der Physiker auf die jeweilige biografische Herkunft geachtet, wie schon jetzt beim »Nathan«.
Freie Welle: Wir danken für das Gespräch.
Intendant: Bitte, gern geschehen.
Postskriptum
Die Berliner Zeitung veröffentlichte vor Jahren eine Karikatur von Bernd Zeller: »Problem-Filmheld Hitler«. Sie zeigt ein älteres Ehepaar im Foyer eines Kinos, beide mit Popcorntüte und Plastikhalmgetränk gut versorgt. Über dem schon weit gelichteten Haar des Mannes schwebt die Sprechblase: »Ich finde, über Nazis darf man sich nur lustig machen, wenn man selbst einer ist.«