Am 11. August wurde in der Demminer Kirche St. Bartholomaei eine Ausstellung über den Krieg des Deutschen Reiches gegen die Sowjetunion 1941 bis 1945 eröffnet. 200 Fotos und Zitate sowjetischer Kriegsopfer und deutscher Soldaten werden dort noch bis Mitte September gezeigt, zusammengestellt von der Friedensbibliothek/Antikriegsmuseum Berlin.
Der Hauptredner Jörg Morré, Direktor des Deutsch-russischen Museums Berlin-Karlshorst, machte unmissverständlich klar: »Der Sowjetunion ist der Krieg aufgezwungen worden, ein Überfall mit unerbittlicher Härte.« Diesen konnte die Rote Armee abwenden und mit einem Sieg beenden. »Das glückliche Ende eines aufgezwungenen Verteidigungskrieges.« Morré betonte auch, dass Deutschland den Krieg als Vernichtungskrieg begonnen und geführt hatte.
Das entsprach der Ausstellung, die auch drei wichtige Befehle Hitlers vom 22. Juni 1941 dokumentiert: den Kommissarsbefehl zur Erschießung kriegsgefangener Politkommissare, den Befehl zur unmenschlichen Behandlung von Kriegsgefangenen und den Befehl zur Kriegsgerichtsbarkeit, die selbst schwerste Kriegsverbrechen der deutschen Soldaten von Verfolgung freistellte. Der auch in der Ausstellung dokumentierte deutsche Anspruch auf Vergeltung war: 50 oder 100 zu ermordende Zivilisten im Gegenzug für die Tötung eines deutschen Soldaten durch Partisanen.
Spätestens seit der vieldiskutierten Ausstellung über die »Verbrechen der Wehrmacht« des Hamburger Institutes für Sozialforschung besteht auch in Deutschland weitgehender Konsens über den Charakter des Krieges gegen die Sowjetunion als Vernichtungskrieg zur Umsetzung des »Generalplans Ost«, der die Tötung und das Verhungern von 30 Millionen Menschen einkalkulierte. Von daher präsentiert die Ausstellung nichts Neues, sondern macht hauptsächlich die Bilder des Grauens dieses Krieges und die Statements von Opfern und Tätern der jungen Generation zugänglich. Eine ältere Demminerin ließ während des Vortrages von Morré halblaut wissen: »Das haben wir doch alles in der Schule gelernt.«
Einen ehemaligen Regisseur hingegen, der sich um Demmin in den letzten Jahren besonders »kümmert«, erregte die Ausstellung dennoch auf besondere Weise. Er hat nach dem Beitritt des 1990 neugegründeten Landes Mecklenburg-Vorpommern zur BRD in Nossendorf bei Demmin seine alt-neue Heimat gefunden und mischt sich nun immer wieder in Demminer Angelegenheiten ein.
Der Filmemacher hatte sich bei der Demminer Zeitung über die Ausstellung beschwert und sich in der Ausgabe vom 9. August zitieren lassen: »Die Kirche sollte keine Position ergreifen. Die Kirche muss frei bleiben für alle.« Offensichtlich bedeutet für ihn schon die Darstellung der Leiden sowjetischer Kriegsopfer und die Dokumentation der Befehle der hauptverantwortlichen deutschen Täter eine unakzeptable kirchliche Positionierung.
Oder hat er Angst, dass die Ausstellung einer anderen Ausstellung in der Demminer Kirche Konkurrenz machen könnte? Gegenwärtig stehen dort auch ein halbes Dutzend Modelle für eine Neugestaltung des Marktplatzes von Demmin. Der ehemalige Regisseur hatte den Stuttgarter Architekturprofessor Alexander Schwarz dafür gewinnen können, seine Architekturklasse »in wissenschaftlicher Freiheit« (so der Begleittext zur Ausstellung) die Entwürfe anfertigen zu lassen, jeweils inklusive eines Archivs für Materialien zu seinen Filmen. Er habe auch schon Ideen wie das Programm eines derartigen Archivs in den nächsten zehn Jahren aussehen könnte. Glücklicherweise wollen seine Ideen bei den Verantwortlichen der Stadt Demmin und des Landes Mecklenburg-Vorpommern so recht nicht ankommen. Und auch die BürgerInnen warten noch auf die angekündigte Befragung, um mitteilen zu können, was sie von den Plänen halten. Doch wäre nicht in Zeiten der Digitalisierung ein einfacher 64-Gigabite-USB-Stick mit seinen Filmen ein hinreichendes Archiv?
Der ortsfremde Kritiker fragt sich allerdings, ob die DemminerInnen schon über eine andere gedenkpolitische Frage debattiert haben: Soll als dauerhafte Erinnerung an die Auswirkungen der Kriege allein die zweihundertjährige Tradition der Nennung gefallener Soldaten und Offiziere aus Demmin in der Kirche fortgeführt werden? Zu finden sind dort die Namen all derer, die »für König und Vaterland« (in diversen Variationen) in den Kriegen 1813/14, 1864, 1866, 1870/71, 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945 als aktive Kriegsteilnehmer gestorben sind. Was ist hingegen mit den Opfern der Demminer Kriegsteilnehmer in Frankreich 1870/71, auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges und in den im Zweiten Weltkrieg unterworfenen und besetzten Ländern? Und wie wird künftig der Opfer der Demminer Ulanen beim Versuch der Ausrottung der Nama und Herero in Namibia gedacht werden, des ersten und prototypischen Vernichtungskrieges des Deutschen Reichs? 1904 waren aus Demmin 78 Ulanen und drei Unteroffiziere im damaligen Deutsch-Südwest-Afrika, alle hatten sich freiwillig gemeldet.
Wenn schon an die gefallenen Demminer Soldaten der letzten 210 Jahre in der Kirche St. Bartholomaei erinnert wird, sollte man dann nicht auch ein Gedenken an die ungenannten Opfer dieser Soldaten und ihrer Kommandeure erwarten dürfen?
Nachtrag: »Das Geheimnis der Versöhnung ist Erinnerung« lautet das Motto der derzeitigen Ausstellung, ein Wort aus dem Talmud abwandelnd. Wäre jedoch nicht zu fragen, ob es angesichts der deutschen Gräueltaten in der Sowjetunion um Versöhnung gehen kann? Oder zeugt nicht schon der Verzicht der Roten Armee auf eine Vergeltung der deutschen Untaten von einer nicht erwartbaren Generosität und damit uneinholbaren moralischen Überlegenheit? Mit dem Verzicht auf Vergeltung machte die Sowjetunion ein historisches Angebot zur Aussöhnung, das von deutscher Seite selten gebührend beantwortet wurde – und in den letzten Jahren der zunehmenden Aggressivität gegenüber Russland immer weniger gewürdigt wird. Ein anderer Dreischritt könnte das Notwendige genauer beschreiben: »An deutsche Gräueltaten erinnern, auf antirussische Propaganda und Kriegsvorbereitungen verzichten, Frieden schließen und halten.«