An der Stadtmauer hängt ein Relief, das Werner Stötzer aus Marmor schlug. Es hängt dort seit fünfunddreißig Jahren schon, weshalb es nicht mehr jungfräulich weiß leuchtet. Davor rostet ebenso lange bereits eine Stele, auf der, aus dem gleichen Stahl gefertigt, ein Stapel rostbrauner Akten ruht. Dieses Kunstwerk ist von Jan Skuin, und bei den Ordnern handelt es sich um Drehbücher, die der auf diese Weise Geehrte verfasste. Das Ensemble gilt Konrad Wolf, dem DEFA-Regisseur und Präsidenten der Akademie der Künste der DDR. Es wurde dort zu seinem 60. Geburtstag installiert. Der Schöpfer von »Ich war 19« und »Solo Sunny« war 1982 verstorben, mit 56 Jahren.
Der Zufall führte mich nach Bernau, und mich überraschte die Tatsache, an eben jenem Ort zwei Sträuße frischer Schnittblumen vorzufinden. Die Tafel klärte mich auf: Wolf war am Vortag vor 38 Jahren verstorben. Kein runder Jahrestag, und dennoch hatten mindestens zwei Menschen an diesem Samstag mit Tulpen und Nelken an ihn gedacht.
Die Stadt Bernau verlieh anlässlich des 30. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus Konrad Wolf die Ehrenbürgerwürde. Das kam daher, dass er – als Siebzehnjähriger der Roten Armee beigetreten – zu den Befreiern der Ackerbürgerstadt vor den Toren Berlins gehörte. Er war Neunzehn, als ihn seine Vorgesetzten zum sowjetischen Stadtkommandanten von Bernau machten.
Das geschah am 22. April vor 75 Jahren.
Wie es heißt, wollen sich an jenem Tag Freunde und Gesinnungsgenossen dort an der Stadtmauer versammeln und Konrad Wolf, den antifaschistischen Befreier, ehren.
Zwar tragen die Filmuniversität Babelsberg und eine Straße in Berlin-Hohenschönhausen seinen Namen. Konrad Wolf steht auch auf einer Gedenktafel an einem Wohnhaus in Moskau, von dem aus er damals in den Krieg gegen die Faschisten zog, und auf seinem Grabstein am Pergolenweg in Berlin-Friedrichsfelde. Aber eben jener Platz in Bernau ist die einzige auch so benannte Gedenkstätte für ihn.
Sie befindet sich unweit des sowjetischen Ehrenfriedhofes, auf dem über vierhundert im letzten Monat des Krieges gestorbene Rotarmisten fern der Heimat bestattet wurden. Darunter waren auch drei »Helden der Sowjetunion«, weshalb der Stern auf dem Obelisk nicht rot, wie sonst üblich, sondern in Gold gefasst ist. Gleich daneben, jenseits des Mühlentors, erinnert das wilhelminische Denkmal von 1890 an die drei sogenannten deutschen Einigungskriege, und hängt an der Stadtmauer seit 1998 auch ein beeindruckendes Bronzerelief von Friedrich Schötschel für die Kriegsdienstverweigerer. »Gewidmet allen Deserteuren und Verweigerern, deren Heimat die Mutter Erde ist, die im Feind den Menschenbruder erkennen, die statt auf Generäle auf den Befehl ihres Gewissens hören, die nicht an Ideologien, sondern am Leben hängen, deren Angst kleiner als ihre Liebe ist.«
Alles in einer Reihe, auf hundert Metern verteilt an der Stadtmauer zu Bernau zu sehen. Ein Geschichtslehrpfad der dialektischen Art. Der Geschichtenerzähler Konrad Wolf hätte gewiss seinen Gefallen daran gehabt.