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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Berlusconi: Non è finita

»Es ist nicht vor­bei« titel­te L’Espresso (24/​23) nach dem Able­ben Ber­lus­co­nis und sei­nem pom­pö­sen Staats­be­gräb­nis im Mai­län­der Dom. Die nun­mehr letz­te der mehr als hun­dert Titel­sei­ten des Wochen­ma­ga­zins mit sei­nem Kon­ter­fei zeigt ein schwar­zes, einem Sche­ren­schnitt ähn­li­ches Pro­fil Ber­lus­co­nis. Die Regie­rung Melo­ni hat­te sogar Staats­trau­er ver­ord­net, eine Ehr­erbie­tung, die bis­her nur Päp­sten und eini­gen Staats­prä­si­den­ten, aber noch kei­nem Mini­ster­prä­si­den­ten der Repu­blik zuteil­wur­de – nur vor lan­ger Zeit dem Con­te di Cavour, erster Mini­ster­prä­si­dent des 1861 gegrün­de­ten ita­lie­ni­schen Natio­nal­staa­tes (Reg­no d’Italia), der kurz dar­auf im Amt ver­stor­ben war. Cavour führ­te einst die Destra sto­ri­ca an, eine frü­he, libe­ral aus­ge­rich­te­te Rech­te, die sogar zu eini­gen Refor­men mit der dama­li­gen Lin­ken bereit, aber den repu­bli­ka­ni­schen Ideen eines Mazzini oder gar eines Gari­bal­di gänz­lich abhold war.

Ber­lus­co­ni, der seit 1994 ein Rechts­bünd­nis mit Ex-Faschi­sten anführ­te und also mit dem anti­fa­schi­sti­schen Ver­mächt­nis der sog. ersten Repu­blik brach, ist unver­gleich­bar mit Cavour. Aber sei­ne heu­ti­ge Nach­fol­ge­rin Gior­gia Melo­ni, die sein Rechts­bünd­nis seit 2022 wei­ter­führt, hat viel von dem Pop-Medi­en­ta­lent Ber­lus­co­ni gelernt. Publi­kums­wirk­sam setz­te sie sich selbst mit dem Staats­spek­ta­kel auf allen Kanä­len in Sze­ne und – neben Ber­lus­co­nis Toch­ter Mari­na plat­ziert – über­nahm sie gewis­ser­ma­ßen das Zep­ter aus Ber­lus­co­nis Hand mit Zustim­mung sei­nes poten­ten Fami­li­en­clans. Dem gehört näm­lich – über den Finanz­kon­zern Fin­in­vest – auch das Par­tei­un­ter­neh­men For­za Ita­lia, das für Melo­nis Drei­er­ko­ali­ti­on unver­zicht­bar ist und mit dem Ber­lus­co­ni bis zuletzt sei­ne Hand im Spiel hat­te, oft zum Aus­gleich der vie­len diver­gie­ren­den poli­ti­schen Posi­tio­nen zwi­schen der Lega von Matteo Sal­vi­ni und Melo­nis Brü­dern (Fra­tel­li d’ Ita­lia). Deren Koali­ti­on wird nur vom Macht­wil­len zusam­men­ge­hal­ten. Dabei bleibt die Ver­tei­lung des poli­ti­schen Erbes des von fast allen Medi­en hoch­ge­lob­ten Erfolgs­un­ter­neh­mers Ber­lus­co­ni vor­erst offen, alle möch­ten sie davon pro­fi­tie­ren, aber als poli­tisch erb­be­rech­tigt sieht sich nicht nur Melo­ni, auch ein Matteo Ren­zi erhebt für sei­ne neue »Ita­lia Viva« – Par­tei der poli­ti­schen Mit­te – durch­aus Ansprüche.

Denn auch er – gar »roy­al baby« genannt – ist ja ein Schü­ler Ber­lus­co­nis, ohne des­sen Zustim­mung er nicht sei­nen Vor­gän­ger Enri­co Let­ta durch einen Hand­streich als Regie­rungs­chef 2014 hät­te ablö­sen kön­nen. Als Chef der Demo­kra­ten (PD) hat­te Ren­zi bereits als selbst­er­nann­ter »Ver­schrot­ter« (rot­ta­ma­to­re) die alte Gar­de der Lin­ken in der PD aus­ge­grenzt und schick­te sich dann an – nach­dem er 2016 die Schutz­rech­te der Arbeits­ge­setz­ge­bung (Art.18) weit­ge­hend außer Kraft gesetzt hat­te (im sog. Jobs Act, nach US-Vor­bild Oba­mas) – auch die Ver­fas­sung nach­hal­tig zu schwä­chen, bis er an einem nega­ti­ven Volks­ent­scheid scheiterte.

In Ossietzky habe ich seit 2002 über die schritt­wei­se erfolg­te Aus­höh­lung der Demo­kra­tie durch Ber­lus­co­ni berich­tet, den die Oppo­si­ti­on nur unge­nü­gend bekämpft hat: weder die Basis sei­ner popu­li­sti­schen Durch­drin­gung der ita­lie­ni­schen Öffent­lich­keit, sei­ne fort­dau­ern­de Mono­pol­stel­lung in fast allen Medi­en, die schon von den ihm vor­her­ge­hen­den Regie­run­gen der 80er Jah­re ermög­licht wor­den war, noch den frag­wür­di­gen Auf­bau sei­nes Finanz­im­pe­ri­ums. Unge­hin­dert durch bereits vor­han­de­ne gesetz­li­che Mit­tel zur Beschrän­kung sei­ner Medi­en­macht von­sei­ten der fünf­jäh­ri­gen Pro­di-Regie­rung, die 1995 auf Ber­lus­co­nis erste, nach acht Mona­ten geschei­ter­te Amts­zeit, folg­te, hat­te sich Ber­lus­co­ni näm­lich stär­ken kön­nen, um dann in sei­ner zwei­ten Amts­zeit von 2001 bis 2006 vor­ran­gig sei­ne inzwi­schen gereif­ten Pro­ble­me mit der Justiz zu regeln. Dazu grif­fen sei­ne Anwäl­te, nun mehr­heit­lich in Regie­rung und Par­la­ment ver­tre­ten, mas­siv in das Geset­zes­dickicht ein und des­avou­ier­ten das schon vor­her defi­zi­tä­re Justiz­sy­stem wei­ter durch die soge­nann­ten ad per­so­nam-Geset­ze. Die lie­ßen sei­ne mei­sten Pro­zes­se mit Ver­jäh­rung enden. Auch die Ver­fas­sung wur­de nach­hal­tig durch Ber­lus­co­ni beschä­digt, zwecks Schaf­fung einer Prä­si­di­al­re­pu­blik, in der ein Regie­rungs­chef unter Aus­schal­tung mög­lichst vie­ler Kon­troll­in­stan­zen agie­ren kann. Sol­che Schwä­chung demo­kra­ti­scher Insti­tu­tio­nen lag und liegt seit Jahr­zehn­ten auf der Ziel­ge­ra­den der Rech­ten und steht auch heu­te ganz oben auf der Agen­da von Gior­gia Meloni.

Der Libe­ral­de­mo­krat Euge­nio Scal­fa­ri, als Grün­der der Tages­zei­tung Repubbli­ca, einer der ein­fluss­reich­sten Jour­na­li­sten Ita­li­ens und schar­fer Kri­ti­ker Ber­lus­co­nis, hat­te bereits 1994 des­sen Ein­tritt in die Poli­tik als eine Rück­kehr zur Herr­schaft Lud­wigs XIV. bezeich­net, der zwi­schen König und Staat kei­nen Unter­schied machte.

Fest­zu­hal­ten bleibt, dass Ber­lus­co­nis blei­ben­der poli­ti­scher Erfolg eben die ideo­lo­gi­sche Kon­di­tio­nie­rung des Cen­tro-Sini­stra, der mit­te-lin­ken Regie­rungs­po­li­tik war, in dem Sin­ne, in dem Mar­ga­ret That­cher die Ent­ste­hung des New Labour wohl als ihren größ­ten poli­ti­schen Erfolg ver­bu­chen konn­te – was Bill Emmot, den dama­li­gen Chef des Lon­do­ner Eco­no­mist, in Ber­lus­co­ni sogar »eine Krea­tur der Oppo­si­ti­on« aus­ma­chen ließ (2005).

Poli­ti­sche Hege­mo­nie besteht eben dar­in, die Macht zu haben, jene Koor­di­na­ten zu bestim­men, inner­halb derer sich eine abseh­ba­re Poli­tik gestal­ten lässt – unab­hän­gig von der Cou­leur der jeweils Herr­schen­den. Und die­se Macht konn­te sich Ber­lus­co­ni neh­men, nie­mand hin­der­te ihn daran.

Prak­tisch mach­bar wur­de Ber­lus­co­nis direk­tes »Betre­ten des Spiel­fel­des« nach Beginn sei­nes TV-Polit-Spek­ta­kels wäh­rend der 80er Jah­re durch ein 1993 ein­ge­führ­tes uni­no­mi­na­les, stark per­so­na­li­sier­tes Wahl­recht. Das ermög­lich­te ihm, mit nur 21 Pro­zent der Wäh­ler­stim­men für sein neu­ge­grün­de­tes For­za Ita­lia-Unter­neh­men mit der Lega Nord ein »Bünd­nis der Frei­heit« und ein »Bünd­nis der guten Regie­rung« mit den Faschi­sten der Alle­an­za Nazio­na­le (AN) im Süden zu schlie­ßen. Zusam­men erreich­te die­ser Drei­er­bund eine Par­la­ments­mehr­heit von 42,8 Pro­zent, gegen­über einer Links-Koali­ti­on von 34,3 Pro­zent und einem »Pakt für Ita­li­en« (PPI) der Mit­te von 15,7 Pro­zent. Doch die­se rech­ne­ri­sche Mehr­heit gegen die Vor­macht des ad hoc zusam­men­ge­wür­fel­ten Rechts­bünd­nis­ses, das dann auch rasch aus­ein­an­der­brach, fand schon damals (wie heu­te) kei­nen poli­ti­schen Aus­druck. Wer hun­dert Jah­re zurück­blicken mag, stößt auf Mus­so­li­ni, der 1923 eine Mehr­heit für sein Par­ti­to fasci­s­ta im Par­la­ment auch nur dank einer »leg­ge Acer­bo« erhielt, einem Wahl­recht, das mit nur 25 Pro­zent der Stim­men plus Mehr­heits­bo­nus ihm zwei Drit­tel der Par­la­ments­sit­ze zusprach – schon damals ein Selbst­mord der bür­ger­li­chen Volksvertreter.

Auch die heu­ti­ge Rechts­ko­ali­ti­on unter Füh­rung von Gior­gia Melo­ni ver­fügt über kei­ne Wäh­ler-Mehr­heit im Lan­de, denn 18 Mio. Wahl­be­rech­tig­te gin­gen im Sep­tem­ber 2022 gar nicht mehr zur Wahl, 15 Mio. wähl­ten die getrenn­ten Mit­te-Links­par­tei­en und nur 12 Mio. das Rechts­bünd­nis Melo­nis, das mit 44 Pro­zent eine abso­lu­te Mehr­heit in bei­den Kam­mern hält. Die von Melo­nis Ex-Faschi­sten (FdI) immer­hin erreich­ten 26 Pro­zent reprä­sen­tie­ren im Lan­de aller­dings nur max. 15 Pro­zent der Wahl­be­rech­tig­ten – die Mehr­heit der Ita­lie­ner ist damit nicht mehr demo­kra­tisch repräsentiert.

Den­noch ver­sucht eine extre­me Rech­te heu­te das Land im Griff zu hal­ten, die all das mehr oder weni­ger wei­ter­füh­ren will, was schon auf der Agen­da Ber­lus­co­nis stand und auch von den soge­nann­ten Regie­run­gen der »tec­ni­ci« von Mario Mon­ti (2011) bis zu Mario Draghi (2021) ver­folgt wur­de: Akzen­tu­ie­rung der Exe­ku­ti­ve gegen­über Par­la­ment und Justiz, Pri­va­ti­sie­rung des öffent­li­chen Sek­tors, Unter­neh­mer-Inter­es­se vor dem der Arbei­ten­den, des Ter­ri­to­ri­ums, der Umwelt. Zu die­sem klas­si­schen Pro­gramm der Rech­ten kom­men wei­te­re Ver­fas­sungs- und Justiz­re­for­men, auch zur Stär­kung der Auto­no­mie der Regio­nen – was de fac­to zu einer Schwä­chung, wenn nicht Zer­stö­rung des Natio­nal­staats füh­ren wür­de. Gleich­zei­tig wird Melo­ni schon jetzt in Brüs­sel aktiv, um ganz Euro­pa im Juni 2024 wei­ter nach rechts zu rücken, posi­tio­niert sich dabei aber bereits gegen fäl­li­ge EU-Ent­schei­dun­gen, was ihr Kri­tik ein­trägt. In den letz­ten Mona­ten hat auch ein anti-anti­fa­schi­sti­scher Kul­tur­kampf für Gott, Vater­land und Fami­lie begon­nen, der jene Wer­te Euro­pas und der USA ver­fech­ten will, die aus Sicht nicht nur Melo­nis ja gera­de in der Ukrai­ne expres­sis ver­bis ver­tei­digt wer­den. Dabei tun sich durch­aus Wider­sprü­che auf, denn sowohl in der Regie­rung (Lega) als auch in der Oppo­si­ti­on (Fünf-Ster­ne-Bewe­gung und diver­se Rest­lin­ke) gibt es Wider­stand gegen die Mili­tär­po­li­tik der Regie­rung. Nicht nur der Papst, selbst Ber­lus­co­ni hat­te sich noch gegen letz­te­re gewandt – aber das wur­de medi­al über­gan­gen, wie abtrün­ni­ge Mei­nun­gen überhaupt.

An den posi­ti­ven wie nega­ti­ven Ein­schät­zun­gen von Ber­lus­co­nis Wir­kung auf die ita­lie­ni­sche Gesell­schaft durch sei­ne Lands­leu­te soll sich laut jüng­sten Mei­nungs­um­fra­gen (Cor­rie­re del­la Sera, 25. Juni) prak­tisch nichts ver­än­dert haben, sie bestä­ti­gen die fast hälf­tig gespal­te­nen Ergeb­nis­se (jeweils ca. 40 zu 42 Pro­zent) der ver­gan­ge­nen Jahrzehnte.

»Was Ber­lus­co­ni zer­stört hat, ist nicht wie­der­her­zu­stel­len«, schreibt die Kom­men­ta­to­rin Dilet­ta Bellot­ti im ein­gangs zitier­ten L’Espresso – aber es sei eine staats­bür­ger­li­che Pflicht, end­lich ein wahr­heits­ge­treu­es Bild die­ses Man­nes an ein kol­lek­ti­ves Gedächt­nis zu über­lie­fern, der Ita­li­ens Demo­kra­tie unter­mi­niert, die Kom­mu­ni­sten aus­ge­grenzt, die Faschi­sten hof­fä­hig gemacht und das Land jenen »tech­ni­schen« Regie­run­gen preis­ge­ge­ben hat, die es mit einer Austeri­täts­po­li­tik über­zo­gen und bis heu­te weit­ge­hend ver­armt haben.

Carl von Ossietz­kys einst auf jemand ande­ren gemünz­ter Aus­spruch trifft auch noch auf Ber­lus­co­ni zu: »Was der ange­rich­tet hat, bleibt.«