Ich habe mich (als Laie) seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit dem Thema »Grundeinkommen« beschäftigt (auch mit dem Thema der 25- oder 30-Stundenwoche). Es geht darum, ein Konzept des »Bedingungslosen Grundeinkommens« (BG) zu entwickeln, das anders ist, als es »die Herrschenden genehmigen würden« (Anne Rieger in uz, 10.6.16). Viele Linke und Gewerkschafter (z. B. Prof. Dr. Christoph Butterwegge in Der Freitag, 2.6.2016) sehen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen die noch vorhandenen sozialen Errungenschaften gefährdet. Diese wurden und werden uns aber nach und nach weggenommen, obwohl die Gewerkschaften und die linken Parteien dagegen kämpfen und gekämpft haben. Wie weit das noch geht und ob dann eine »revolutionäre Situation« entsteht, was manche erhoffen, wissen wir nicht.
Nun ist es ein Grundfehler, anzunehmen, das BG müsste so kommen, wie ein gewisser Götz Werner, Eigentümer der Drogeriemarktkette DM, oder der neoliberale Thomas Straubhaar und andere es sich vorstellen. Allein schon die Konzepte der Schweizer Initiativen sehen ganz anders aus (dass die Schweizer im Jahr 2016 noch mehrheitlich dagegen stimmen würden, war vorauszusehen; um das Gewinnen der Volksabstimmung ging es damals nicht). Auch die Gleichberechtigung der Frau hat in der Schweiz etwas gedauert …
Es geht nicht um Lebenshilfe für Bedürftige. Auch Modelle mit Crowdfunding sind falsch. Es geht darum, das gemeinsam Erwirtschaftete gerechter unter allen zu verteilen. Begleitende steuerliche Maßnahmen in eine andere Richtung, als sie jetzt laufen, sind nötig (solange wir noch im Kapitalismus leben müssen). Die Mehrheit der Menschen wird trotz eines solchen Grundeinkommens weiterarbeiten (wenn sie denn einen Job hat). Die meisten Lottogewinner arbeiten (klugerweise) auch weiter. Arbeit ist mehr als nur Geldverdienen. Die Idee des BG müsste also verbunden werden mit weniger Arbeit (zusätzlich natürlich) bei gleichem Lohn: In Schweden wird zurzeit mit einem 6-Stundentag bei gleichem Lohn experimentiert. Bisher hat man die Erfahrung gemacht, dass die Leute genauso viel oder mehr schaffen als bei einem 8-Stundentag.
In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde in der BRD mit einem 4-Stundentag (d. h. zwei Angestellte teilten sich einen Arbeitsplatz mit je 4 Stunden vormittags und nachmittags) erfolgreich experimentiert. Hierbei wurde allerdings jeweils nur das halbe Einkommen gezahlt. Der Mehraufwand des Arbeitgebers wurde durch automatisch mehr Leistung in den vier Stunden ausgeglichen, da Mittags- und andere längere Pausen wegfielen. Solche Arbeitsplätze wären für etliche Menschen durchaus interessant. Und man kann im Prinzip mehr Menschen beschäftigen. Dies gilt natürlich nur für Arbeitnehmer, die das freiwillig machen wollen und dann mit dem BG zzgl. geringerem Verdienst auskommen. Damit würde ein anderer, besserer Zustand erreicht als in heutiger Zeit, in der man Menschen zu unterbezahlten Jobs mit prekären Verhältnissen zwingt.
Die Arbeitswelt in Deutschland bzw. in Europa ist in dieser Hinsicht viel zu wenig flexibel. Das meine ich nicht im Sinne der Arbeitgeber und nicht in Bezug auf unfreiwillige Arbeitszeitkürzungen. Man könnte mehr Menschen in Arbeit und Brot bringen ohne entwürdigende Leiharbeit, Hartz-IV-Schikanen und elenden so genannten Mindestlöhnen. Derzeit werden von den Kapital- und Produktionsstätteninhabern ständig Arbeitsplätze und Arbeitsmöglichkeiten vernichtet. Die durch Rationalisierungen, Automatisierungen und Digitalisierungen erhöhten Gewinne kommen überwiegend nicht den Arbeitnehmern zugute.
Es geht aber darum, das gemeinsam Erwirtschaftete gerecht (zunächst gerechter als bisher) auf alle zu verteilen. Dabei müssen natürlich steuerliche Veränderungen greifen, die genau andersherum wirken, als sie in der Vergangenheit durch CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen beschlossen wurden, wodurch die Einkommens- und Vermögensscheren weiter auseinanderdriften. Natürlich müssten alle in die Sozialkassen einzahlen. Durch gewisse Selbständige (z. B. Zahnärzte) oder bei Managern und »Rentiers« kämen erhebliche zusätzliche Summen in die Sozialkassen. Auch Beamte würden einzahlen, die störende Trennung zwischen Beamten, Angestellten und Arbeitern fiele weg. Leider verfolgt zurzeit der DGB nicht einmal mehr das »Einheitliche Dienstrecht« im öffentlichen Dienst. Ein einheitliches Sozialrecht müsste sich dagegen auf alle Mitglieder unserer Gesellschaft beziehen. Für Pseudoselbständige oder Selbständige an der Armutsgrenze (Alleinerziehende mit Kindern) könnte eine Neuregelung nur positiv sein.
Hätten wir ein BG, wie es sich Menschen »von unten« vorstellen und entwickelt haben, würden die Leute (die Mehrheit würde trotzdem arbeiten) auch in die Sozialkassen weiter einzahlen. Der Restsozialstaat, wie wir ihn jetzt haben, würde nicht abgebaut. Im Gegenteil, es wäre ein erster Schritt in eine andere Richtung, denn der Ist-Zustand ist nicht zufriedenstellend und nicht gerecht.
Natürlich könnte man durch ein BG den kapitalistischen, militärischen, imperialistischen Staat nicht auf Anhieb abschaffen, aber das gelingt auch ohne BG nicht ohne weiteres. Das BG würde nicht zu mehr Arbeitslosigkeit (oder gar Massenarbeitslosigkeit) führen, da mehr Leute in den verschiedenen Arbeitsverhältnissen unterschiedlich lang arbeiten können – weil sie ja eine finanzielle Basis haben, die zurzeit nicht existiert. Eine Alternative zu Hartz IV, das neuerdings »Bürgergeld« heißt, wäre das auf jeden Fall! Auch die vorhandenen Ängste vor einem »Absturz« oder vor »Konkurrenten« (Flüchtlinge) könnten abgebaut werden.
Natürlich sind die Verfechter der Idee nicht so naiv zu meinen, man könne im Kapitalismus den Sozialismus verwirklichen. Doch endlich erscheint mit dem BG mal eine neue Idee und eine Vision! Und die sollten wir uns weder von antiquierten Gewerkschaften, die Angst haben, überflüssig zu werden, wenn ihnen ihr Gegner verloren geht, noch von Leuten wie Götz Werner miesmachen lassen. Außerdem sehe ich keinen unbedingten Gegensatz zu marxistischen Ideen.
Unsere »westlichen Gesellschaften« sind zurzeit völlig einfallslos und nur mit (finanziellen) Reparaturen beschäftigt. Dagegen wird in Südamerika das »Buon Vivir« diskutiert und zum Teil schon durchgeführt; vielleicht stagnieren wir hier in Europa, und wirklich neue Ideen werden woanders entwickelt. Wie schrieb der Autor Eberhard Kirchhoff vor einigen Jahren: Die Zukunft ist eine Mulattin!
Persönlicher Nachsatz: Da ich vor ungefähr dreißig Jahren der Meinung war, auf gesellschaftliche Veränderungen im obigen Sinne nicht warten zu können oder zu wollen, habe ich entsprechende Weichenstellungen (leider nur) individuell vornehmen müssen. Natürlich wurde ich für »verrückt« erklärt. Aber das ist oft so mit neuen Ideen (manchmal auch mit schon sehr alten). Das bedeutete, freiwillig auf einen Teil des Einkommens zu verzichten, um mehr Zeit für Dinge und Tätigkeiten zu haben, die mir wichtig erschienen. Trotz weniger Geld (oder gerade deswegen) wurde das Leben, mein Leben inhaltsreicher und qualitätsvoller. Es gelang, eine Art privates niedriges Grundeinkommen zu schaffen mit zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten. Es bedeutete, ganz andere, unabhängigere Arbeitsverhältnisse zu praktizieren, die es z. B. ermöglichten, mitten in der Woche mal spazieren zu gehen. Dafür wurde dann mal abends oder am Samstag gearbeitet. Auch Reisen, die länger dauerten als drei Wochen, wurden möglich. Natürlich nicht mit dem Flieger nach Bali, sondern mit Fahrrad und Zelt nach Holland oder in die Provence.
Allerdings will ich nicht blauäugig sein: Als Süßwasserfisch hat man es im Salzwasser nicht leicht …