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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Bahnfahrt ins Glück

»Haben Sie sich auch auf eine schö­ne Cur­ry­wust gefreut?«, fragt der Mann vor mir.

»Immer, wenn man es beson­ders braucht, ist das Bord­bi­stro zu.« Ich zucke mit den Schul­tern. »Kann ich nicht sagen. Ich habe Glück mit der Bahn. In Stutt­gart hat­te ich zwei Stun­den Umstei­ge­zeit. Da konn­te ich mich am Bahn­hof mit Essen eindecken.«

»Haben Sie es gut«, seufzt der Mann. Dann fährt ein kur­zer Schreck über sei­ne zer­knirsch­te Mie­ne. »Also, bis auf die­ses ewi­ge War­ten natür­lich! Zwei Stun­den – das ist der Wahnsinn.«

»Fällt ja dau­ernd etwas aus«, schal­tet sich eine Frau neben uns ein. »Ich woll­te nur nach Mann­heim. Erst war der Zug über­bucht, der näch­ste ist aus­ge­fal­len und jetzt bin ich hier und unglaub­lich spät dran.« Ihr Blick misst mich kri­tisch. Ob ich es wohl auf einen Wett­kampf ankom­men las­se, wer heu­te mehr Pech mit der Bahn hat? Ich schüt­te­le den Kopf. »Nein, mein Zug war pünkt­lich. Bei mir läuft bis­lang alles nach Plan. Wie gesagt, ich habe Glück.«

Die Frau mustert mich skep­tisch. Wahr­schein­lich bedau­ert sie in Gedan­ken, dass es nicht mehr Män­ner so wie frü­her gibt, son­dern nur noch sol­che Wasch­lap­pen wie mich. Doch der Mann neben mir lässt nicht locker. »Ich ver­ste­he das nicht«, gibt er offen zu. »Sie sind im rich­ti­gen Zug und haben plan­mä­ßig zwei Stun­den Auf­ent­halt in Stutt­gart?« Ich nicke.

»Na«, sagt der Mann, »wenig­stens sind wir bald in Frank­furt. Dann haben Sie es fast geschafft.«

»Ich muss dort noch mal umsteigen.«

»Aber sicher nicht noch mal mit zwei Stun­den war­ten, oder?«, lacht er freundlich.

Ich schüt­te­le den Kopf. »Dies­mal ist es etwas län­ger.« Nun sieht er mich mit gro­ßen Augen an. »Ver­dammt, so eine komi­sche Ver­bin­dung gibt es doch gar nicht. Wo müs­sen Sie denn hin?«

»Nach Rom.«

Ver­schie­de­ne Aus­drücke huschen in Sekun­den­schnel­le über sein Gesicht. »Das Rom in Ita­li­en?«, fragt er schließ­lich. Ich nicke. »Aber da fah­ren Sie doch in die fal­sche Rich­tung. Wenn Sie schon unten in Stutt­gart waren.« Da hellt sich sei­ne Mie­ne auf. »Ah, ich ver­ste­he«, sagt er mit einem brei­ten Grin­sen. »Sie neh­men in Frank­furt den Flie­ger, rich­tig? Ja, das ist echt blöd, dass die Züge und die Flug­zeu­ge so schlecht auf­ein­an­der abge­stimmt sind. Aber machen Sie sich nichts draus. Wenn Sie erst­mal im Flie­ger sit­zen, haben Sie es ja geschafft.«

»Ich flie­ge nicht.«

Es braucht einen Moment, bis der Mann reagiert. Dann schaut er mich sehr besorgt an. »So«, macht er wie­der. Und: »Ich ver­ste­he. Woher, sag­ten Sie, kom­men Sie?«

»Aus Leip­zig.«

»Das habe ich mir gedacht. Und Sie wol­len nach Rom?« Ich nicke.

»Und da fah­ren Sie erst nach Baden-Würt­tem­berg und dann rauf nach Hes­sen und dann …?«

»Wei­ter nach Venedig.«

»Natür­lich. Und dort war­ten Sie dann wie­der zwei Stun­den und mehr auf den näch­sten Zug?«

»Nein, dort sind es nur acht Minu­ten. Sehr knapp.«

»Wie lan­ge sind Sie denn da ins­ge­samt unterwegs?«

»Nicht ganz 27 Stunden.«

Der Mann zückt sein Han­dy und tippt etwas hin­ein. »Laut Bahn-App ist das von Leip­zig aus in fast zehn Stun­den weni­ger zu schaf­fen. Ver­dammt, Sie fah­ren wohl nicht oft mit der Bahn, oder? Wie sind Sie denn auf die­se wahn­wit­zi­ge Rou­te gekom­men?« Ich zucke mit den Schul­tern. »Die hat die Bahn sel­ber rausgesucht.«

Der Mann stutzt, dann lacht er. »War der Kerl am Schal­ter etwa auf Dro­ge? Das gibt es doch nicht!«

»Es war ein Pau­schal­preis«, erklä­re ich. »Den macht die Bahn mit dem Rei­se­bü­ro aus. Für Klas­sen­fahr­ten. Wir haben gebucht und erst hin­ter­her erfah­ren, wel­che Rou­te die Bahn raus­ge­sucht hat.«

»Ach, das ist eine Klassenfahrt?«

Ich nicke. »Hin­ten im Wagen sind noch knapp drei­ßig Schüler.«

»Und die müs­sen Sie auf den gan­zen Bahn­hö­fen zusam­men­hal­ten? Ich wür­de mir den Strick nehmen!«

»Das ist wohl der Preis dafür, dass man nach­hal­tig rei­sen will. Und ich habe ja noch zwei Eltern dabei.« Der Mann rümpf­te die Nase.

»Und zum Abschluss noch mal die gan­ze Tour zurück?«

»Nein, wir haben Glück. Wir fah­ren über Salz­burg. Dort stei­gen wir nachts halb drei um. Ein biss­chen unbe­quem, aber dafür spa­ren wir fast fünf Stunden.«

»Das sind also am Ende 22 Stun­den Fahrtzeit.«

»Wie gesagt, wir haben Glück.«