»Haben Sie sich auch auf eine schöne Currywust gefreut?«, fragt der Mann vor mir.
»Immer, wenn man es besonders braucht, ist das Bordbistro zu.« Ich zucke mit den Schultern. »Kann ich nicht sagen. Ich habe Glück mit der Bahn. In Stuttgart hatte ich zwei Stunden Umsteigezeit. Da konnte ich mich am Bahnhof mit Essen eindecken.«
»Haben Sie es gut«, seufzt der Mann. Dann fährt ein kurzer Schreck über seine zerknirschte Miene. »Also, bis auf dieses ewige Warten natürlich! Zwei Stunden – das ist der Wahnsinn.«
»Fällt ja dauernd etwas aus«, schaltet sich eine Frau neben uns ein. »Ich wollte nur nach Mannheim. Erst war der Zug überbucht, der nächste ist ausgefallen und jetzt bin ich hier und unglaublich spät dran.« Ihr Blick misst mich kritisch. Ob ich es wohl auf einen Wettkampf ankommen lasse, wer heute mehr Pech mit der Bahn hat? Ich schüttele den Kopf. »Nein, mein Zug war pünktlich. Bei mir läuft bislang alles nach Plan. Wie gesagt, ich habe Glück.«
Die Frau mustert mich skeptisch. Wahrscheinlich bedauert sie in Gedanken, dass es nicht mehr Männer so wie früher gibt, sondern nur noch solche Waschlappen wie mich. Doch der Mann neben mir lässt nicht locker. »Ich verstehe das nicht«, gibt er offen zu. »Sie sind im richtigen Zug und haben planmäßig zwei Stunden Aufenthalt in Stuttgart?« Ich nicke.
»Na«, sagt der Mann, »wenigstens sind wir bald in Frankfurt. Dann haben Sie es fast geschafft.«
»Ich muss dort noch mal umsteigen.«
»Aber sicher nicht noch mal mit zwei Stunden warten, oder?«, lacht er freundlich.
Ich schüttele den Kopf. »Diesmal ist es etwas länger.« Nun sieht er mich mit großen Augen an. »Verdammt, so eine komische Verbindung gibt es doch gar nicht. Wo müssen Sie denn hin?«
»Nach Rom.«
Verschiedene Ausdrücke huschen in Sekundenschnelle über sein Gesicht. »Das Rom in Italien?«, fragt er schließlich. Ich nicke. »Aber da fahren Sie doch in die falsche Richtung. Wenn Sie schon unten in Stuttgart waren.« Da hellt sich seine Miene auf. »Ah, ich verstehe«, sagt er mit einem breiten Grinsen. »Sie nehmen in Frankfurt den Flieger, richtig? Ja, das ist echt blöd, dass die Züge und die Flugzeuge so schlecht aufeinander abgestimmt sind. Aber machen Sie sich nichts draus. Wenn Sie erstmal im Flieger sitzen, haben Sie es ja geschafft.«
»Ich fliege nicht.«
Es braucht einen Moment, bis der Mann reagiert. Dann schaut er mich sehr besorgt an. »So«, macht er wieder. Und: »Ich verstehe. Woher, sagten Sie, kommen Sie?«
»Aus Leipzig.«
»Das habe ich mir gedacht. Und Sie wollen nach Rom?« Ich nicke.
»Und da fahren Sie erst nach Baden-Württemberg und dann rauf nach Hessen und dann …?«
»Weiter nach Venedig.«
»Natürlich. Und dort warten Sie dann wieder zwei Stunden und mehr auf den nächsten Zug?«
»Nein, dort sind es nur acht Minuten. Sehr knapp.«
»Wie lange sind Sie denn da insgesamt unterwegs?«
»Nicht ganz 27 Stunden.«
Der Mann zückt sein Handy und tippt etwas hinein. »Laut Bahn-App ist das von Leipzig aus in fast zehn Stunden weniger zu schaffen. Verdammt, Sie fahren wohl nicht oft mit der Bahn, oder? Wie sind Sie denn auf diese wahnwitzige Route gekommen?« Ich zucke mit den Schultern. »Die hat die Bahn selber rausgesucht.«
Der Mann stutzt, dann lacht er. »War der Kerl am Schalter etwa auf Droge? Das gibt es doch nicht!«
»Es war ein Pauschalpreis«, erkläre ich. »Den macht die Bahn mit dem Reisebüro aus. Für Klassenfahrten. Wir haben gebucht und erst hinterher erfahren, welche Route die Bahn rausgesucht hat.«
»Ach, das ist eine Klassenfahrt?«
Ich nicke. »Hinten im Wagen sind noch knapp dreißig Schüler.«
»Und die müssen Sie auf den ganzen Bahnhöfen zusammenhalten? Ich würde mir den Strick nehmen!«
»Das ist wohl der Preis dafür, dass man nachhaltig reisen will. Und ich habe ja noch zwei Eltern dabei.« Der Mann rümpfte die Nase.
»Und zum Abschluss noch mal die ganze Tour zurück?«
»Nein, wir haben Glück. Wir fahren über Salzburg. Dort steigen wir nachts halb drei um. Ein bisschen unbequem, aber dafür sparen wir fast fünf Stunden.«
»Das sind also am Ende 22 Stunden Fahrtzeit.«
»Wie gesagt, wir haben Glück.«