Anfang Dezember letzten Jahres resümierte die Frankfurter Allgemeine (FAZ) die Kanzlerschaft von Angela Merkel mit dem Satz, sie habe »nicht erfolglos« darum gekämpft, »vom politisch wie ökonomisch, von innen wie von außen bedrängten Westen zu retten, was noch zu retten ist«. Diese Grundmelodie nicht einer strategischen Offensive, sondern einer historischen Defensive teilt sie mit ihrem Nachfolger Olaf Scholz, der sowohl im Wahlkampf als auch anlässlich seiner Wahl geäußert hatte, in »der Welt, vor allem in Asien, gibt es Milliarden Menschen, die auch können, was wir können. Als Politik müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern deshalb eine gute Perspektive hier in Deutschland bieten (…), damit demnächst niemand traurig auf den Wohlstand anderer Kontinente schauen muss.«
Der relative Niedergang gegenüber den aufstrebenden Teilen im ostasiatischen Kraftzentrum der Weltwirtschaft ist den herrschenden Kreisen von Merkel bis Scholz also völlig klar. Jeder, der die Verschiebungen aller relevanten ökonomischen Kerndaten zur Kenntnis nimmt – ob Umfang des erwirtschafteten Sozialprodukts, Patentanmeldungen, Marktanteile der großen Produzenten in den Zentren USA/China/EU oder andere – kann zu keinem anderen Ergebnis kommen.
Solche Verschiebungen, die sich in den letzten beiden Jahrzehnten stabilisiert haben, schlagen, allen großspurigen Tönen von der angeblich führenden Rolle der EU und ihres germanischen Kerns zum Trotz, über kurz oder lang auch auf die realen Lebensverhältnisse der Menschen durch. Wie vollzieht sich dieser Niedergang?
Entkleiden wir gegenwärtige Erfahrungen und Entwicklungen von ihrem propagandistischen Klimbim, werden drei Ausprägungen sichtbar.
Die Medien sind gegenwärtig voll von den Problemen der weltweiten Lieferengpässe, und in den Läden – oder im Internet – stoßen Verbraucher hierzulande immer häufiger auf den in früheren Jahrzehnten im damaligen goldenen Westen völlig unbekannten Hinweis, die gewünschte Ware sei leider nicht lieferbar. Die Begründungen sind zum erheblichen Teil Blendwerk. Denn während hier vieles stockt, brummt es anderswo – wie die FAZ am Tag vor dem Heiligen Abend auf ihren Wirtschaftsseiten auch mitteilte, auf denen von »stark gewachsenen Exportzahlen der Volksrepublik«, also China, die Rede war, sowie davon, dass der Welthandel im abgelaufenen Jahr um 10 Prozent gewachsen sei und es eine »enorme Nachfrage nach Produkten aus China« gäbe. Die Prognose, die Lieferengpässe seien coronabedingt, ergo vorübergehender Natur, versickert zunehmend im Gemurmel. Die Erfahrung, dass in anderen Teilen der Welt Waren verfügbar sind, die den Konsumenten zwischen Rhein und Oder nicht zur Verfügung stehen, wird von Dauer und das erste Merkmal des Niedergangs dieser Weltregion sein.
Damit zusammenhängend ist die zweite Ausprägung: die sich verfestigende Inflation, die das Anfangsgerede, sie sei nur vorübergehend, schon jetzt zunehmend verstummen lässt. Diese Inflation ist auch ein Mittel der herrschenden Klasse, die Lasten des Niedergangs ungleich zu verteilen – sie schnürt den Lebensstandard der von Lohn und Lohnersatzleistung abhängigen Teile des Volkes ein, während diejenigen mit Besitz an Grund und Boden und Produktionsmitteln ihre relative Stärke trotz des Niedergangs der Gesamtbevölkerung auf deren Kosten vorübergehend sogar noch ausbauen können.
Die dritte Ausprägung ist der Verlust an Möglichkeiten, den Trend gewaltsam zu brechen. Die zunehmende Dominanz Chinas und auch des sich mit ihm immer enger verbündeten Russlands in High-Tech-Branchen wie Künstlicher Intelligenz, Quantencomputertechnik, Robotik und anderen Bereichen führt dazu, dass die Zeichen früherer militärischer Dominanz – die Flugzeugträgerflotten der Nato – im Konfliktfall nur schwimmende Särge sein werden. Folglich halten die herrschenden Kreise innerhalb der Nato an dem Ziel der beständigen Erhöhung der Militärausgaben eisern fest. Nützen wird ihnen das angesichts ihrer schrumpfenden industriellen und technologischen Basis langfristig zwar wenig. Aber diese Ressourcenumleitung in die Waffen beschleunigt zum einen den Niedergang des Lebensstandards und vergrößert zum anderen die Gefahr, in der sich alle Menschen befinden, die in diesen vom Abstieg bedrohten Ländern leben.
Damit ist aber auch schon angelegt, was den Niedergang aufhalten könnte. Ein Anfang wäre gemacht, wenn die gegenwärtigen Aufwendungen für die Hochrüstung nicht auf 2 Prozent der Wirtschaftskraft des Landes gesteigert, sondern in der Amtszeit der jetzigen Regierung auf 1 Prozent reduziert werden würden. Wenn in einem weiteren Schritt nicht die Lohnabhängigen per Inflation, sondern das reichste eine Prozent per Vermögens- und Reichensteuer zur Kasse gebeten wird, um die Infrastruktur, das Bildungs- und das Gesundheitssystem auf Vordermann zu bringen, könnte sich dieses Land vielleicht doch wieder an die Spitze des Fortschritts setzen, statt ihm hinterherzuhinken.