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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ausprägungen eines Niedergangs

Anfang Dezem­ber letz­ten Jah­res resü­mier­te die Frank­fur­ter All­ge­mei­ne (FAZ) die Kanz­ler­schaft von Ange­la Mer­kel mit dem Satz, sie habe »nicht erfolg­los« dar­um gekämpft, »vom poli­tisch wie öko­no­misch, von innen wie von außen bedräng­ten Westen zu ret­ten, was noch zu ret­ten ist«. Die­se Grund­me­lo­die nicht einer stra­te­gi­schen Offen­si­ve, son­dern einer histo­ri­schen Defen­si­ve teilt sie mit ihrem Nach­fol­ger Olaf Scholz, der sowohl im Wahl­kampf als auch anläss­lich sei­ner Wahl geäu­ßert hat­te, in »der Welt, vor allem in Asi­en, gibt es Mil­li­ar­den Men­schen, die auch kön­nen, was wir kön­nen. Als Poli­tik müs­sen wir den Bür­ge­rin­nen und Bür­gern des­halb eine gute Per­spek­ti­ve hier in Deutsch­land bie­ten (…), damit dem­nächst nie­mand trau­rig auf den Wohl­stand ande­rer Kon­ti­nen­te schau­en muss.«

Der rela­ti­ve Nie­der­gang gegen­über den auf­stre­ben­den Tei­len im ost­asia­ti­schen Kraft­zen­trum der Welt­wirt­schaft ist den herr­schen­den Krei­sen von Mer­kel bis Scholz also völ­lig klar. Jeder, der die Ver­schie­bun­gen aller rele­van­ten öko­no­mi­schen Kern­da­ten zur Kennt­nis nimmt – ob Umfang des erwirt­schaf­te­ten Sozi­al­pro­dukts, Patent­an­mel­dun­gen, Markt­an­tei­le der gro­ßen Pro­du­zen­ten in den Zen­tren USA/​China/​EU oder ande­re – kann zu kei­nem ande­ren Ergeb­nis kommen.

Sol­che Ver­schie­bun­gen, die sich in den letz­ten bei­den Jahr­zehn­ten sta­bi­li­siert haben, schla­gen, allen groß­spu­ri­gen Tönen von der angeb­lich füh­ren­den Rol­le der EU und ihres ger­ma­ni­schen Kerns zum Trotz, über kurz oder lang auch auf die rea­len Lebens­ver­hält­nis­se der Men­schen durch. Wie voll­zieht sich die­ser Niedergang?

Ent­klei­den wir gegen­wär­ti­ge Erfah­run­gen und Ent­wick­lun­gen von ihrem pro­pa­gan­di­sti­schen Klim­bim, wer­den drei Aus­prä­gun­gen sichtbar.

Die Medi­en sind gegen­wär­tig voll von den Pro­ble­men der welt­wei­ten Lie­fer­eng­päs­se, und in den Läden – oder im Inter­net – sto­ßen Ver­brau­cher hier­zu­lan­de immer häu­fi­ger auf den in frü­he­ren Jahr­zehn­ten im dama­li­gen gol­de­nen Westen völ­lig unbe­kann­ten Hin­weis, die gewünsch­te Ware sei lei­der nicht lie­fer­bar. Die Begrün­dun­gen sind zum erheb­li­chen Teil Blend­werk. Denn wäh­rend hier vie­les stockt, brummt es anders­wo – wie die FAZ am Tag vor dem Hei­li­gen Abend auf ihren Wirt­schafts­sei­ten auch mit­teil­te, auf denen von »stark gewach­se­nen Export­zah­len der Volks­re­pu­blik«, also Chi­na, die Rede war, sowie davon, dass der Welt­han­del im abge­lau­fe­nen Jahr um 10 Pro­zent gewach­sen sei und es eine »enor­me Nach­fra­ge nach Pro­duk­ten aus Chi­na« gäbe. Die Pro­gno­se, die Lie­fer­eng­päs­se sei­en coro­nabe­dingt, ergo vor­über­ge­hen­der Natur, ver­sickert zuneh­mend im Gemur­mel. Die Erfah­rung, dass in ande­ren Tei­len der Welt Waren ver­füg­bar sind, die den Kon­su­men­ten zwi­schen Rhein und Oder nicht zur Ver­fü­gung ste­hen, wird von Dau­er und das erste Merk­mal des Nie­der­gangs die­ser Welt­re­gi­on sein.

Damit zusam­men­hän­gend ist die zwei­te Aus­prä­gung: die sich ver­fe­sti­gen­de Infla­ti­on, die das Anfangs­ge­re­de, sie sei nur vor­über­ge­hend, schon jetzt zuneh­mend ver­stum­men lässt. Die­se Infla­ti­on ist auch ein Mit­tel der herr­schen­den Klas­se, die Lasten des Nie­der­gangs ungleich zu ver­tei­len – sie schnürt den Lebens­stan­dard der von Lohn und Lohn­er­satz­lei­stung abhän­gi­gen Tei­le des Vol­kes ein, wäh­rend die­je­ni­gen mit Besitz an Grund und Boden und Pro­duk­ti­ons­mit­teln ihre rela­ti­ve Stär­ke trotz des Nie­der­gangs der Gesamt­be­völ­ke­rung auf deren Kosten vor­über­ge­hend sogar noch aus­bau­en können.

Die drit­te Aus­prä­gung ist der Ver­lust an Mög­lich­kei­ten, den Trend gewalt­sam zu bre­chen. Die zuneh­men­de Domi­nanz Chi­nas und auch des sich mit ihm immer enger ver­bün­de­ten Russ­lands in High-Tech-Bran­chen wie Künst­li­cher Intel­li­genz, Quan­ten­com­pu­ter­tech­nik, Robo­tik und ande­ren Berei­chen führt dazu, dass die Zei­chen frü­he­rer mili­tä­ri­scher Domi­nanz – die Flug­zeug­trä­ger­flot­ten der Nato – im Kon­flikt­fall nur schwim­men­de Sär­ge sein wer­den. Folg­lich hal­ten die herr­schen­den Krei­se inner­halb der Nato an dem Ziel der bestän­di­gen Erhö­hung der Mili­tär­aus­ga­ben eisern fest. Nüt­zen wird ihnen das ange­sichts ihrer schrump­fen­den indu­stri­el­len und tech­no­lo­gi­schen Basis lang­fri­stig zwar wenig. Aber die­se Res­sour­cen­um­lei­tung in die Waf­fen beschleu­nigt zum einen den Nie­der­gang des Lebens­stan­dards und ver­grö­ßert zum ande­ren die Gefahr, in der sich alle Men­schen befin­den, die in die­sen vom Abstieg bedroh­ten Län­dern leben.

Damit ist aber auch schon ange­legt, was den Nie­der­gang auf­hal­ten könn­te. Ein Anfang wäre gemacht, wenn die gegen­wär­ti­gen Auf­wen­dun­gen für die Hoch­rü­stung nicht auf 2 Pro­zent der Wirt­schafts­kraft des Lan­des gestei­gert, son­dern in der Amts­zeit der jet­zi­gen Regie­rung auf 1 Pro­zent redu­ziert wer­den wür­den. Wenn in einem wei­te­ren Schritt nicht die Lohn­ab­hän­gi­gen per Infla­ti­on, son­dern das reich­ste eine Pro­zent per Ver­mö­gens- und Rei­chen­steu­er zur Kas­se gebe­ten wird, um die Infra­struk­tur, das Bil­dungs- und das Gesund­heits­sy­stem auf Vor­der­mann zu brin­gen, könn­te sich die­ses Land viel­leicht doch wie­der an die Spit­ze des Fort­schritts set­zen, statt ihm hinterherzuhinken.