Das Auschwitz-Komitee in der BRD hatte schon für seine November-Veranstaltung 2021 das Thema »Vernichtungskrieg im Osten/ Judenmord, Kriegsgefangene und Hungerpolitik« geplant.
Der Tod seiner Mitgründerin und Vorsitzenden Esther Bejarano am 10. Juli 2021 änderte die Pläne; die November-Veranstaltung hieß damals: »Ohne Esther« (vgl. Ossietzky 23/2021).
Trotz der Verschiebung: Das Veranstaltungsthema passte immer noch in die politische Landschaft, vielleicht sogar besser, denn die Bedeutung der Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg als Mahnzeichen hat in einer Phase immer lauteren Säbelrasselns der Nato gegen Russland sogar noch zugenommen.
Hannes Heer, der die erste »Wehrmachtsausstellung« (1995-1999) veranstaltet hatte, stellte die Verbrechen in Weißrundland in den Mittelpunkt seines Vortrags. Es ging nicht nur um deren Ausführung, sondern auch um ihre Vorbereitung sowohl auf organisatorischer wie auf ideologischer Ebene: »Volkstumskarten« verzeichneten die Zahl der Juden selbst in kleinsten Orten; der Vernichtungswille nicht nur der Einsatzgruppen, sondern der Wehrmacht wurde durch die Ideologie angestachelt, in deren Mittelpunkt der Kampf gegen den »jüdischen Bolschewismus« stand.
Dies alles war dem Publikum im Saal des »Polittbüros« (wo ansonsten politisches Kabarett dargeboten wird) in Hamburg sicher in Grundzügen bekannt.
Was dann aber Hannes Heer an Augenzeugenberichten verlas, möchte ich mit dem Titel eines Buches kommentieren: »Das kann man nicht erzählen«. (So hat der Historiker Jens Hoffmann sein Buch zum gleichen Thema benannt.) Glücklicherweise hat das Auschwitz-Komitee die Veranstaltung – coronabedingt – als Livestream übertragen, und dieser Livestream lässt sich weiterhin auf dessen Homepage (www.auschwitz-komitee.de) verfolgen.
Im zweiten Teil, nach der Pause las Sylvia Wempner Texte zur Aushungerung Leningrads; das Wort »Belagerung« führt ja in die Irre: Die NS-Führung hätte nach eigener Aussage eine Kapitulation nicht angenommen.
Im letzten Teil der Veranstaltung hatten zwei Bremer, Dieter Winge von einer Bürgerinitiative in Oslebshausen und Ekkehardt Lentz, Sprecher des Bremer Friedensforums, das Wort. Sie behandelten ein Thema, von dem das Auschwitz-Komitee in seiner Einladung schrieb, dass es »öffentlich nur sehr selten gewürdigt wird«: das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen. In diesem Fall geht es um ein sehr aktuelles Thema: Ein Gräberfeld in Oslebshausen, dessen Charakter als solches von interessierter Seite bestritten wird, soll als Industriegelände genutzt werden.
Selbstverständlich ist das Ziel des Auschwitz-Komitees vornehmlich das Gedenken – aber eben: das Gedenken mit Rückbindung an die Gegenwart. Das heißt aber umgekehrt, dass das Auschwitz-Komitee sich auch nicht scheut, »heiße« Themen anzupacken.
Falls überhaupt vom Mainstream die Berechtigung der Sicherheitsinteressen Russlands angesprochen wird, dann vielleicht in der Weise, wie ich es im Rundfunk gehört habe: »Putins Familie habe in Leningrad hungern müssen.« Daraus wird eine Prägung Putins abgeleitet, die ein gewisses Verständnis für seine Sicherheitsinteressen entstehen lässt. Einmal abgesehen von der fragwürdigen Personalisierung des Problems: Um wieviel größer wäre – auf dieser Basis – das Verständnis, wenn (auch filmisch vermittelte) Details der Aushungerung Leningrads in der deutschen Öffentlichkeit bekannt wären.