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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Auschwitz-Gedenktag

Das Ausch­witz-Komi­tee in der BRD hat­te schon für sei­ne Novem­ber-Ver­an­stal­tung 2021 das The­ma »Ver­nich­tungs­krieg im Osten/​ Juden­mord, Kriegs­ge­fan­ge­ne und Hun­ger­po­li­tik« geplant.

Der Tod sei­ner Mit­grün­de­rin und Vor­sit­zen­den Esther Beja­ra­no am 10. Juli 2021 änder­te die Plä­ne; die Novem­ber-Ver­an­stal­tung hieß damals: »Ohne Esther« (vgl. Ossietzky 23/​2021).

Trotz der Ver­schie­bung: Das Ver­an­stal­tungs­the­ma pass­te immer noch in die poli­ti­sche Land­schaft, viel­leicht sogar bes­ser, denn die Bedeu­tung der Ver­bre­chen der Wehr­macht im Zwei­ten Welt­krieg als Mahn­zei­chen hat in einer Pha­se immer lau­te­ren Säbel­ras­selns der Nato gegen Russ­land sogar noch zugenommen.

Han­nes Heer, der die erste »Wehr­machts­aus­stel­lung« (1995-1999) ver­an­stal­tet hat­te, stell­te die Ver­bre­chen in Weiß­rund­land in den Mit­tel­punkt sei­nes Vor­trags. Es ging nicht nur um deren Aus­füh­rung, son­dern auch um ihre Vor­be­rei­tung sowohl auf orga­ni­sa­to­ri­scher wie auf ideo­lo­gi­scher Ebe­ne: »Volks­tums­kar­ten« ver­zeich­ne­ten die Zahl der Juden selbst in klein­sten Orten; der Ver­nich­tungs­wil­le nicht nur der Ein­satz­grup­pen, son­dern der Wehr­macht wur­de durch die Ideo­lo­gie ange­sta­chelt, in deren Mit­tel­punkt der Kampf gegen den »jüdi­schen Bol­sche­wis­mus« stand.

Dies alles war dem Publi­kum im Saal des »Politt­bü­ros« (wo anson­sten poli­ti­sches Kaba­rett dar­ge­bo­ten wird) in Ham­burg sicher in Grund­zü­gen bekannt.

Was dann aber Han­nes Heer an Augen­zeu­gen­be­rich­ten ver­las, möch­te ich mit dem Titel eines Buches kom­men­tie­ren: »Das kann man nicht erzäh­len«. (So hat der Histo­ri­ker Jens Hoff­mann sein Buch zum glei­chen The­ma benannt.) Glück­li­cher­wei­se hat das Ausch­witz-Komi­tee die Ver­an­stal­tung – coro­nabe­dingt – als Live­stream über­tra­gen, und die­ser Live­stream lässt sich wei­ter­hin auf des­sen Home­page (www.auschwitz-komitee.de) verfolgen.

Im zwei­ten Teil, nach der Pau­se las Syl­via Wemp­ner Tex­te zur Aus­hun­ge­rung Lenin­grads; das Wort »Bela­ge­rung« führt ja in die Irre: Die NS-Füh­rung hät­te nach eige­ner Aus­sa­ge eine Kapi­tu­la­ti­on nicht angenommen.

Im letz­ten Teil der Ver­an­stal­tung hat­ten zwei Bre­mer, Die­ter Win­ge von einer Bür­ger­initia­ti­ve in Oslebs­hau­sen und Ekke­hardt Lentz, Spre­cher des Bre­mer Frie­dens­fo­rums, das Wort. Sie behan­del­ten ein The­ma, von dem das Ausch­witz-Komi­tee in sei­ner Ein­la­dung schrieb, dass es »öffent­lich nur sehr sel­ten gewür­digt wird«: das Schick­sal der sowje­ti­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen. In die­sem Fall geht es um ein sehr aktu­el­les The­ma: Ein Grä­ber­feld in Oslebs­hau­sen, des­sen Cha­rak­ter als sol­ches von inter­es­sier­ter Sei­te bestrit­ten wird, soll als Indu­strie­ge­län­de genutzt werden.

Selbst­ver­ständ­lich ist das Ziel des Ausch­witz-Komi­tees vor­nehm­lich das Geden­ken – aber eben: das Geden­ken mit Rück­bin­dung an die Gegen­wart. Das heißt aber umge­kehrt, dass das Ausch­witz-Komi­tee sich auch nicht scheut, »hei­ße« The­men anzupacken.

Falls über­haupt vom Main­stream die Berech­ti­gung der Sicher­heits­in­ter­es­sen Russ­lands ange­spro­chen wird, dann viel­leicht in der Wei­se, wie ich es im Rund­funk gehört habe: »Putins Fami­lie habe in Lenin­grad hun­gern müs­sen.« Dar­aus wird eine Prä­gung Putins abge­lei­tet, die ein gewis­ses Ver­ständ­nis für sei­ne Sicher­heits­in­ter­es­sen ent­ste­hen lässt. Ein­mal abge­se­hen von der frag­wür­di­gen Per­so­na­li­sie­rung des Pro­blems: Um wie­viel grö­ßer wäre – auf die­ser Basis – das Ver­ständ­nis, wenn (auch fil­misch ver­mit­tel­te) Details der Aus­hun­ge­rung Lenin­grads in der deut­schen Öffent­lich­keit bekannt wären.