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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ausbeutung per KI

Künst­li­che Intel­li­genz (KI) sorgt wie­der für Schlag­zei­len. ChatGPT wer­de »die Arbeits­welt umwäl­zen«, so Bun­des­ar­beits­mi­ni­ster Huber­tus Heil. ChatGPT ist ein sprach- und text­ba­sier­ter Chat­bot und kann zum Bei­spiel kom­pli­zier­te Sach­ver­hal­te ein­fach erklä­ren, Gedich­te oder kur­ze Tex­te schrei­ben. Die neue Tech­nik eig­net sich vor allem für Dia­log-Anwen­dun­gen, als Ideen­ge­ber oder Hil­fe bei der Vor­struk­tu­rie­rung von Tex­ten. Algo­rith­men und KI sind heu­te nicht mehr aus dem All­tag weg­zu­den­ken. Vom Über­set­zungs­pro­gramm bis zur Navi­ga­ti­on kommt die Tech­no­lo­gie zum Ein­satz. Beim Smart­phone ver­teilt KI im Hin­ter­grund Bil­der und Text und nimmt dem Nut­zer Ent­schei­dun­gen ab, wie genau die Kame­ra ein­zu­stel­len ist.

Pro­gram­me wie ChatGPT kön­nen zwar auf nahe­zu jede Fra­ge eine Ant­wort lie­fern, den­noch han­delt es sich um eine soge­nann­te schwa­che KI. »Ant­wor­ten des Pro­gramms kom­men sprach­lich beein­druckend geschlif­fen daher, wenn man bedenkt, dass ChatGPT über­haupt nicht ver­steht, wovon es spricht«, erläu­tert Chri­stoph Mei­nel, KI-Exper­te und Lei­ter des Has­so-Platt­ner-Insti­tuts in Pots­dam. Die Ant­wor­ten sei­en »das Ergeb­nis mathe­ma­ti­scher Berech­nun­gen«, so der Wis­sen­schaft­ler. »Das zeigt aber im Umkehr­schluss auch, dass wir Men­schen in Gesprä­chen Din­ge gel­ten las­sen, die gar kei­nen Tief­gang haben, son­dern nur in ein ober­fläch­li­ches Muster pas­sen. Gern kann man das auch für Geplap­per hal­ten.« Trotz beein­drucken­der Ergeb­nis­se ist das Pro­gramm weit davon ent­fernt, selbst den­ken zu kön­nen. Zwar merkt es sich Muster unse­rer Spra­che, aber letzt­end­lich wird immer nur die Wahr­schein­lich­keit des näch­sten Wor­tes errech­net. Was wie »künst­li­che« Intel­li­genz erscheint, ist von einem Algo­rith­mus simuliert.

In den Betrie­ben sind für ChatGPT vie­le Anwen­dungs­be­rei­che denk­bar: Etwa im Kun­den­ser­vice, bei der Erstel­lung von Wer­be­tex­ten oder als Assi­stent beim Schrei­ben von Soft­ware­codes. »Ab 2035 wird es kei­nen Job mehr geben, der nichts mit KI zu tun hat«, sagt Mini­ster Heil. Bereits heu­te hat die Tech­nik eine domi­nan­te Rol­le in der Arbeits­welt. Algo­rith­men sor­tie­ren bereits heu­te Bewer­bun­gen, KI-Bots füh­ren Bewer­ber­ge­sprä­che – und ver­tei­len Arbeit, wie aktu­el­le Unter­su­chun­gen zeigen.

Die Situa­ti­on der Beschäf­tig­ten im Online- und Ver­sand­han­del hat ein For­schungs­team der Uni­ver­si­tät Köln ana­ly­siert – mit För­de­rung der gewerk­schaft­li­chen Hans-Böck­ler-Stif­tung. Typisch ist eine »pola­ri­sier­te Struk­tur« bei der Qua­li­fi­ka­ti­on. 37 Pro­zent der Beschäf­tig­ten sind Unge­lern­te, wäh­rend es im tra­di­tio­nel­len Han­del ledig­lich 18 Pro­zent sind. Hohe Qua­li­fi­ka­tio­nen, als Spe­zia­li­stin oder Exper­te, machen im Online­han­del 22 Pro­zent aus, im sta­tio­nä­ren Han­del dage­gen nur 10 Pro­zent. Betrach­tet wur­den der Markt­füh­rer Ama­zon, klei­ne Start-ups und eta­blier­te Han­dels-Unter­neh­men wie Rewe, die in den Online­han­del ein­ge­stie­gen sind.

Gerin­ge Qua­li­fi­ka­ti­on bedeu­tet nicht nur nied­ri­ge Löh­ne, son­dern mas­si­ve Über­wa­chung am Arbeits­platz. Es herrscht »digi­ta­ler Tay­lo­ris­mus«, so die Wis­sen­schaft­ler: Die Arbeit wird in klein­tei­li­ge Aktio­nen zer­legt, die von digi­ta­len End­ge­rä­ten vor­ge­ge­ben und kon­trol­liert wer­den. Wie vie­le Waren die Arbei­ter pro Stun­de aus dem Regal neh­men, und ob sie sie in die rich­ti­gen Kar­tons packen, wird jeder­zeit tech­nisch auf­ge­zeich­net und kann sofort von Füh­rungs­kräf­ten kon­trol­liert wer­den. Mit­hil­fe sta­ti­sti­scher Vor­her­sa­gen des Arbeits­an­falls und Kun­den­ver­hal­tens sol­len stun­den­takt­ge­naue Vor­ga­ben des Arbeits­vo­lu­mens ermit­telt wer­den, um Dienst­plä­ne und die Ver­tei­lung der Arbeits­zei­ten bis hin zur Lage der Pau­sen zu steu­ern. Die Digi­ta­li­sie­rung der Arbeit schrei­tet vor­an – in der Pra­xis wer­den die nega­ti­ven Fol­gen für die Beleg­schaf­ten immer klarer.

Unter dem Deck­man­tel »Feri­en­jobs« scheint der digi­ta­li­sier­te Kapi­ta­lis­mus aber auch Rück­grif­fe auf sei­ne Ursprungs­zei­ten zu neh­men – auf der Suche nach bil­li­gen Arbeits­kräf­ten sind Unter­neh­men fan­ta­sie­voll. »Meh­re­re US-Bun­des­staa­ten wol­len Kin­der­ar­beit wie­der zulas­sen«, mel­det die Frank­fur­ter Rund­schau.

Auf­grund nied­ri­ger Arbeits­lo­sen­quo­ten und Fach­kräf­te­man­gel wur­den kürz­lich Gesetz­ent­wür­fe ein­ge­bracht, die den Kin­der­ar­beits­schutz auf­wei­chen sol­len. Sowohl Alters­gren­zen als auch Anfor­de­run­gen an die Arbeits­platz­si­cher­heit sol­len gesenkt wer­den. »Leich­te Fließ­band­ar­bei­ten« sol­len in Iowa lega­li­siert wer­den, etwa das Be- und Ent­la­den von Fahr­zeu­gen und Laden­re­ga­len. Idea­le Arbeits­kräf­te ohne beson­de­re Kennt­nis­se und mit feh­len­der Gewerk­schafts­er­fah­rung, die per Algo­rith­mus gesteu­ert und in Ran­kings ver­gli­chen wer­den kön­nen. In Min­ne­so­ta sol­len 16- und 17-Jäh­ri­ge auf dem Bau arbei­ten dürfen.

»Ich bin opti­mi­stisch, was den tech­no­lo­gi­schen Wan­del angeht«, kom­men­tiert Max Wes­sel Exe­cu­ti­ve, Vice Pre­si­dent bei SAP, die Erwar­tun­gen der Kapi­tal­ver­tre­ter an die »digi­ta­le Transformation«.

»E-Lear­ning ist auf dem Vor­marsch«, beschreibt das Insti­tut der deut­schen Wirt­schaft einen Trend in den Betrie­ben. Ins­ge­samt nut­zen acht von zehn Unter­neh­men digi­ta­le Lern­me­di­en. Gut zwei Drit­tel aller Unter­neh­men sehen in der Nut­zung digi­ta­ler Lern­me­di­en ein wich­ti­ges Instru­ment, um mit der Digi­ta­li­sie­rung Schritt hal­ten zu kön­nen, ergibt eine Unter­su­chung des Instituts.

Der Ein­satz von KI im Bil­dungs­be­reich füh­re zu einem »Grad der Per­so­na­li­sie­rung« des Ler­nens und wer­de »den Zugang zu qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ger Bil­dung auf bedeu­ten­de Wei­se demo­kra­ti­sie­ren«, erklärt der Mana­ger des Tech-Gigan­ten wer­be­wirk­sam. Wes­sel macht anhand von Bei­spiel deut­lich, dass dies nicht im Inter­es­se der Beschäf­tig­ten liegt, die unter Ler­nen einen gemein­sa­men Aus­tausch mit kom­pe­ten­ten Ansprech­part­nern vor Ort ver­ste­hen: »Tat­säch­lich fin­den 38 Pro­zent aller SAP-Lern­ak­ti­vi­tä­ten für eine sehr tech­ni­sche Pro­dukt­suite auf Smart­phones statt. Text­nach­rich­ten sind das per­fek­te Medi­um für die­ses Gerät, und jetzt, da wir einen intel­li­gen­ten Chat­bot als Tutor haben, haben wir die Art und Wei­se ver­bes­sert, wie wir ler­nen und leh­ren kön­nen«. Ler­nen per Smart­phone – auf die­se Idee wäre wohl kein KI-Pro­gramm gekommen.