Künstliche Intelligenz (KI) sorgt wieder für Schlagzeilen. ChatGPT werde »die Arbeitswelt umwälzen«, so Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. ChatGPT ist ein sprach- und textbasierter Chatbot und kann zum Beispiel komplizierte Sachverhalte einfach erklären, Gedichte oder kurze Texte schreiben. Die neue Technik eignet sich vor allem für Dialog-Anwendungen, als Ideengeber oder Hilfe bei der Vorstrukturierung von Texten. Algorithmen und KI sind heute nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken. Vom Übersetzungsprogramm bis zur Navigation kommt die Technologie zum Einsatz. Beim Smartphone verteilt KI im Hintergrund Bilder und Text und nimmt dem Nutzer Entscheidungen ab, wie genau die Kamera einzustellen ist.
Programme wie ChatGPT können zwar auf nahezu jede Frage eine Antwort liefern, dennoch handelt es sich um eine sogenannte schwache KI. »Antworten des Programms kommen sprachlich beeindruckend geschliffen daher, wenn man bedenkt, dass ChatGPT überhaupt nicht versteht, wovon es spricht«, erläutert Christoph Meinel, KI-Experte und Leiter des Hasso-Plattner-Instituts in Potsdam. Die Antworten seien »das Ergebnis mathematischer Berechnungen«, so der Wissenschaftler. »Das zeigt aber im Umkehrschluss auch, dass wir Menschen in Gesprächen Dinge gelten lassen, die gar keinen Tiefgang haben, sondern nur in ein oberflächliches Muster passen. Gern kann man das auch für Geplapper halten.« Trotz beeindruckender Ergebnisse ist das Programm weit davon entfernt, selbst denken zu können. Zwar merkt es sich Muster unserer Sprache, aber letztendlich wird immer nur die Wahrscheinlichkeit des nächsten Wortes errechnet. Was wie »künstliche« Intelligenz erscheint, ist von einem Algorithmus simuliert.
In den Betrieben sind für ChatGPT viele Anwendungsbereiche denkbar: Etwa im Kundenservice, bei der Erstellung von Werbetexten oder als Assistent beim Schreiben von Softwarecodes. »Ab 2035 wird es keinen Job mehr geben, der nichts mit KI zu tun hat«, sagt Minister Heil. Bereits heute hat die Technik eine dominante Rolle in der Arbeitswelt. Algorithmen sortieren bereits heute Bewerbungen, KI-Bots führen Bewerbergespräche – und verteilen Arbeit, wie aktuelle Untersuchungen zeigen.
Die Situation der Beschäftigten im Online- und Versandhandel hat ein Forschungsteam der Universität Köln analysiert – mit Förderung der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung. Typisch ist eine »polarisierte Struktur« bei der Qualifikation. 37 Prozent der Beschäftigten sind Ungelernte, während es im traditionellen Handel lediglich 18 Prozent sind. Hohe Qualifikationen, als Spezialistin oder Experte, machen im Onlinehandel 22 Prozent aus, im stationären Handel dagegen nur 10 Prozent. Betrachtet wurden der Marktführer Amazon, kleine Start-ups und etablierte Handels-Unternehmen wie Rewe, die in den Onlinehandel eingestiegen sind.
Geringe Qualifikation bedeutet nicht nur niedrige Löhne, sondern massive Überwachung am Arbeitsplatz. Es herrscht »digitaler Taylorismus«, so die Wissenschaftler: Die Arbeit wird in kleinteilige Aktionen zerlegt, die von digitalen Endgeräten vorgegeben und kontrolliert werden. Wie viele Waren die Arbeiter pro Stunde aus dem Regal nehmen, und ob sie sie in die richtigen Kartons packen, wird jederzeit technisch aufgezeichnet und kann sofort von Führungskräften kontrolliert werden. Mithilfe statistischer Vorhersagen des Arbeitsanfalls und Kundenverhaltens sollen stundentaktgenaue Vorgaben des Arbeitsvolumens ermittelt werden, um Dienstpläne und die Verteilung der Arbeitszeiten bis hin zur Lage der Pausen zu steuern. Die Digitalisierung der Arbeit schreitet voran – in der Praxis werden die negativen Folgen für die Belegschaften immer klarer.
Unter dem Deckmantel »Ferienjobs« scheint der digitalisierte Kapitalismus aber auch Rückgriffe auf seine Ursprungszeiten zu nehmen – auf der Suche nach billigen Arbeitskräften sind Unternehmen fantasievoll. »Mehrere US-Bundesstaaten wollen Kinderarbeit wieder zulassen«, meldet die Frankfurter Rundschau.
Aufgrund niedriger Arbeitslosenquoten und Fachkräftemangel wurden kürzlich Gesetzentwürfe eingebracht, die den Kinderarbeitsschutz aufweichen sollen. Sowohl Altersgrenzen als auch Anforderungen an die Arbeitsplatzsicherheit sollen gesenkt werden. »Leichte Fließbandarbeiten« sollen in Iowa legalisiert werden, etwa das Be- und Entladen von Fahrzeugen und Ladenregalen. Ideale Arbeitskräfte ohne besondere Kenntnisse und mit fehlender Gewerkschaftserfahrung, die per Algorithmus gesteuert und in Rankings verglichen werden können. In Minnesota sollen 16- und 17-Jährige auf dem Bau arbeiten dürfen.
»Ich bin optimistisch, was den technologischen Wandel angeht«, kommentiert Max Wessel Executive, Vice President bei SAP, die Erwartungen der Kapitalvertreter an die »digitale Transformation«.
»E-Learning ist auf dem Vormarsch«, beschreibt das Institut der deutschen Wirtschaft einen Trend in den Betrieben. Insgesamt nutzen acht von zehn Unternehmen digitale Lernmedien. Gut zwei Drittel aller Unternehmen sehen in der Nutzung digitaler Lernmedien ein wichtiges Instrument, um mit der Digitalisierung Schritt halten zu können, ergibt eine Untersuchung des Instituts.
Der Einsatz von KI im Bildungsbereich führe zu einem »Grad der Personalisierung« des Lernens und werde »den Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung auf bedeutende Weise demokratisieren«, erklärt der Manager des Tech-Giganten werbewirksam. Wessel macht anhand von Beispiel deutlich, dass dies nicht im Interesse der Beschäftigten liegt, die unter Lernen einen gemeinsamen Austausch mit kompetenten Ansprechpartnern vor Ort verstehen: »Tatsächlich finden 38 Prozent aller SAP-Lernaktivitäten für eine sehr technische Produktsuite auf Smartphones statt. Textnachrichten sind das perfekte Medium für dieses Gerät, und jetzt, da wir einen intelligenten Chatbot als Tutor haben, haben wir die Art und Weise verbessert, wie wir lernen und lehren können«. Lernen per Smartphone – auf diese Idee wäre wohl kein KI-Programm gekommen.