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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Aufstand für den Frieden

»Da Anfang der 1980er Jah­re sich die Medi­en und damit die ver­öf­fent­lich­te Mei­nung von der Frie­dens­be­we­gung ent­schei­dend beein­flus­sen lie­ßen, die öffent­li­che Mei­nung zu einer fried­li­chen ver­öf­fent­lich­ten Mei­nung wur­de, war damals ein ent­schei­den­der Schritt für den Erfolg der Frie­dens­be­we­gung getan. Das ist der­zeit nicht zu erwar­ten« (so Ulrich Sander/​Ulrich Schnei­der in »Ein Auf­stand für den Frie­den«, Ossietzky 23/​2021). Jetzt könn­te es umge­kehrt kommen.

Die Regie­rung ver­such­te, das Rake­ten-Sta­tio­nie­rungs­ab­kom­men mit den USA zunächst unter den Tep­pich zu keh­ren. Doch schon bald kamen aus der Süd­deut­schen Zei­tung und aus der Fun­ke-Grup­pe Auf­ru­fe an die Frie­dens­be­we­gung, end­lich wie­der macht­voll auf­zu­dre­hen. Es gäbe dafür gute Grün­de. »Die ato­ma­re Bedro­hung ist wie­der da – und die Sor­ge auch?«

Die deut­sche Frie­dens­be­we­gung lei­de an einer »Fähig­keits­lücke«. »Es ist still. Es ist toten­still. In Deutsch­land wer­den Toma­hawk-Marsch­flug­kör­per, SM-6-Rake­ten und Hyper­schall­ra­ke­ten auf­ge­stellt – und es bleibt still im Land. Kein lau­ter Pro­test, kein Auf­schrei, kei­ne Demon­stra­tio­nen. Deutsch­land ist das ein­zi­ge Land in Euro­pa, in dem die­se US-Waf­fen­sy­ste­me sta­tio­niert wer­den. Sie rich­ten sich gegen Russ­land. War­um ist es so still?« So heißt es in einer Kolum­ne von Heri­bert Prantl in der SZ vom 19.7.2024. Die Sta­tio­nie­rung soll bereits 2026 beginnen.

Und dann die West­deut­sche All­ge­mei­ne aus der Fun­ke-Grup­pe. »Die Angst vor einem Wett­rü­sten ist wie­der da. Rake­ten-Plä­ne der Nato wecken Erin­ne­run­gen an die Demos gegen den ›Dop­pel­be­schluss‹ zu Beginn der 1980er Jah­re«, so titel­te das Blatt Mit­te Juli. Das Dop­pel stand für ato­ma­re Auf­rü­stung bei gleich­zei­ti­gem Ange­bot zu Abrü­stungs­ab­kom­men. »In West­deutsch­land fra­gen sich immer mehr Bür­ger, vor allem Jün­ge­re, ob sich die­se Rüstungs­spi­ra­le immer wei­ter­dreht.« Es wer­den Leser befragt. Von sie­ben Ant­wor­ten ist nur eine zustim­mend zu den Plä­nen des US-Mili­tärs, denn es gehe ja gegen den gefähr­li­chen Putin. Die ande­ren wie­der­be­le­ben auch nicht gera­de die Losung »Ami go home«, aber man äußert Angst. Schon jetzt lie­gen zahl­rei­che US-Atom­waf­fen auf deut­schem Boden, wird geant­wor­tet, und einer erin­nert dar­an: »Rake­ten sind Magne­ten«. Es dro­he eine Rüstungs­spi­ra­le, die am Ende nie­mand mehr ein­fan­gen kann; »daher bin ich klar gegen Auf­rü­stung und die Sta­tio­nie­rung von US-Lang­strecken­ra­ke­ten.« Mir macht das eher Angst, wird gesagt, und der Lan­des­ge­schäfts­füh­rer der Deut­schen Frie­dens­ge­sell­schaft /​ DFG-VK, Joa­chim Schramm, spricht sich für neue, star­ke Pro­te­ste aus.

Erin­nert wird an die Ent­wick­lung der Debat­te in der SPD. Erst nach dem Kon­struk­ti­ven Miss­trau­ens­vo­tum vom Herbst 1982 und den Bun­des­tags­wah­len 1983, bei denen die SPD end­gül­tig ihre Regie­rungs­macht ver­lor, begann ein Umden­ken in der Par­tei. Erin­nert wird auch dar­an, dass die Grü­nen ihre Exi­stenz dem Enga­ge­ment der Par­tei in der Frie­dens­be­we­gung ver­dan­ken. Heu­te ist die Frie­dens­be­we­gung geschwächt vor allem auch dadurch, dass die Grü­nen und die SPD, die 1983 auf der Sei­te der Frie­dens­ak­tio­nen stan­den, zu Kriegs­par­tei­en gewor­den sind. Aller­dings gibt es Wider­spruch in bei­den Par­tei­en gegen die neu­sten Plä­ne der USA. Bei vie­len Grü­nen wird das schlech­te Abschnei­den bei den EU-Wah­len als Resul­tat der Ver­wei­ge­rung der Frie­dens­po­li­tik gese­hen. Dies wie­der­um löste bei Baer­bock, Habeck und Hof­rei­ter gera­de­zu auf­ge­reg­te Reak­tio­nen aus: Nur ja kei­ne Kri­tik üben an der Sta­tio­nie­rung der Toma­hawks. Und Kanz­ler Scholz nennt die Ent­schei­dung über die US-Rake­ten­sta­tio­nie­rung eine »sehr gute Entscheidung«.

Das ist sie nicht! SPD-Frak­ti­ons­chef Müt­zenich wider­spricht dem Kanz­ler und warnt vor neu­em Wett­rü­sten. Die Toma­hawks, die jetzt zur Auf­stel­lung kom­men sol­len, sind weit­aus prä­zi­ser als sei­ner­zeit die Pers­hings. Mos­kau kann ato­mar ange­grif­fen und getrof­fen wer­den, ohne Vor­warn­zeit. Und wäh­rend in den 80ern die UdSSR noch ver­si­cher­te, nie­mals als erste die Bom­be ein­zu­set­zen, schließt Russ­land nun­mehr eben­so wie die USA einen Erst­schlag nicht mehr aus. Zudem war der Plan des Dop­pel­be­schlus­ses sei­ner­zeit mit dem Ange­bot zu Ver­hand­lun­gen ver­bun­den; ein sol­ches Ange­bot fehlt heute.

Ver­hand­lun­gen, Abrü­stung – das sind heu­te Fremdworte.1987 wur­de ein Abrü­stungs­ver­trag namens INF unter­zeich­net, der 2019 von den USA unter Prä­si­dent Trump wie­der gekün­digt wur­de. Und nun droht die­ser Trump wie­der US-Prä­si­dent zu wer­den, der­sel­be der einst sag­te: Wozu haben wir die Atom­waf­fen eigent­lich, wenn wir sie nie einsetzen?

Noch 2010 beschloss der Bun­des­tag mit brei­ter Mehr­heit, die Regie­rung Mer­kel sol­le sich »mit Nach­druck« für den Abzug aller US-Atom­waf­fen aus Deutsch­land ein­set­zen. Dar­an muss nun erin­nert wer­den. Und zwar mit brei­tem Mas­sen­pro­test auf den Stra­ßen, aber auch mit Gesprä­chen von Tür zu Tür. Joa­chim Schramm erin­ner­te dar­an: »Wir haben damals an Woh­nungs­tü­ren geklin­gelt und um Zustim­mung gebe­ten, eine Stra­ße sym­bo­lisch zur ‹atom­waf­fen­frei­en Zone› zu erklären.«

Die DFG ruft der­zeit zu Aktio­nen auf und betont: »Die Deut­sche Frie­dens­ge­sell­schaft – Ver­ei­nig­te Kriegs­dienst­geg­ne­rIn­nen (DFG-VK) äußert schar­fe Kri­tik an der kürz­lich ver­kün­de­ten Ent­schei­dung, ab 2026 US-Mit­tel­strecken­ra­ke­ten in Deutsch­land zu sta­tio­nie­ren. Die­se Auf­rü­stung stellt eine erheb­li­che Gefahr für die Sicher­heit in Euro­pa dar und könn­te zu einer wei­te­ren Eska­la­ti­on der Span­nun­gen mit Russ­land füh­ren.« Nun kom­me das Wett­rü­sten, vor dem die Frie­dens­or­ga­ni­sa­ti­on gewarnt hat, in Gang. »Es wird Deutsch­land zu einem poten­zi­el­len Ziel eines geg­ne­ri­schen Schlags machen und erhöht dra­stisch die Kriegs­ge­fahr. Denn Mit­tel­strecken­ra­ke­ten las­sen sich prak­tisch ohne Vor­warn­zeit abfeu­ern und tref­fen bin­nen Minu­ten ihr Ziel – eine poli­ti­sche Reak­ti­on ist kaum mehr mög­lich. Zudem las­sen sich ato­ma­re und kon­ven­tio­nel­le Geschos­se beim Anflug nicht unter­schei­den. Die DFG-VK for­dert die Bun­des­re­gie­rung auf, die­ser gefähr­li­chen Ent­wick­lung ent­schie­den ent­ge­gen­zu­tre­ten und kei­ne Mit­tel­strecken­ra­ke­ten auf deut­schem Boden zuzu­las­sen. Statt­des­sen soll­te Deutsch­land aktiv für neue Rüstungs­kon­troll- und Abrü­stungs­ver­trä­ge wer­ben, um Frie­den und Sicher­heit in Euro­pa zu gewährleisten.«

Die SPD-Füh­rung, die vier Wochen lang alles tat, um eine öffent­li­che Sta­tio­nie­rungs­de­bat­te zu ver­mei­den, bequem­te sich am 12. August zu einer Erklä­rung, die einem den Atem ver­schlägt: Dar­in heißt es: »Als SPD über­neh­men wir Ver­ant­wor­tung dafür, dass kein Kind, das heu­te in Deutsch­land gebo­ren wird, wie­der Krieg erle­ben muss. Die Ver­ein­ba­rung der SPD-geführ­ten Bun­des­re­gie­rung mit der US-Admi­ni­stra­ti­on, ab 2026 US-ame­ri­ka­ni­sche Rake­ten mit grö­ße­rer Reich­wei­te in Deutsch­land zu sta­tio­nie­ren, ist dafür ein wich­ti­ger Baustein.«