Vor zwei Jahren, 2019, veröffentlichte Heinz-Uwe Haus im britischen Verlag Cambridge Scholars Publishing einen Sammelband über seine Regieerfahrungen in den USA (»Heinz-Uwe Haus and Brecht in the USA: Directing and Training Experiences«, 310 S.). Haus, der als erster Regisseur aus der DDR professionell an Theatern und Universitäten der USA seit Ende der Siebziger Jahre tätig wurde, führte mit seiner künstlerischen und Lehrtätigkeit alle bekannten Vorurteile der Brechtgegner ad absurdum – vom Vorwurf ermüdenden Intellektualismus‘ bis zur ideologischen Propaganda. »Mit jeder seiner Inszenierungen“, schreibt Nona Moleski, »wird die Magie des Theatralischen erfahrbar und bringt das Einleuchtende zur Wirkung« (S. 123), und Claudine Elnecave bemerkt: »Die Wahrheit vom Kopf auf die Füße gestellt, werden die ‚Bretter, die die Welt bedeuten‘, zur Spielwiese auch des mündigen Zuschauers« (S. 267).
Nunmehr stellt der Verlag in einem weiteren Buch die 40jährige Tätigkeit des Regisseurs im griechischsprachigen Theater in Zypern und Griechenland vor: »Heinz-Uwe Haus and Theatre Making in Cyprus and Greece«, 405 S.). Alle Hausschen Inszenierungen und ihre Wirkung werden im künstlerischen und politischen Kontext beschrieben: vom »Kaukasischen Kreidekreis« von Brecht 1975 bis zu Ibsens »Die Frau vom Meer« 2017. Etwa 20 Inszenierungen mit dem zyprischen Staatstheater THOK und in Griechenland sowie Gastspiele und Koproduktionen in der DDR und im vereinten Deutschland sind dokumentiert. In acht Kapiteln liegt eine einzigartige theaterhistorische und kulturpolitische Bestandsaufnahme vor, die nicht nur in den beiden Ländern für Theaterschaffende von Interesse ist. Sie ist von dringendem »Gebrauchswert« (Brecht) für die Bestimmung der Aufgaben und Möglichkeiten des Theaters unter heutigen Bedingungen.
Zusammen mit Co-Herausgeber Daniel Meyer-Dinkgraäfe gelingt es Haus, die durch sein Wirken entfachte Brecht-Rezeption von Mitte der Siebziger bis Ende der Achtziger in den Mittelpunkt zu rücken. Das betrifft sowohl Fragen regielicher und dramaturgischer Praxis als auch gesellschaftlicher Haltung und Positionierung. »Brecht zeigt Möglichkeiten auf, in Politik, Wissenschaft und Kultur andere, sich gesamtgesellschaftlich auswirkende Verhältnisse anzustreben, die einen wahrhaft kommunitaristischen Charakter haben«, schrieb Gregor Karydas 1978 in einer Kritik zu Haus‘ legendärer »Mutter Courage«. Von solcher »universalen« Weltsicht, die in Haus‘ Inszenierungen den Gestus bestimmt, wird in den Beiträgen prominenter Stimmen der griechischen, zyprischen und internationalen Kritik und Kultur berichtet. Gleich ob es sich um einen akademischen Text oder einen Premierengruß, eine szenische Beschreibung oder eine Aufführungskritik handelt, es ist die neue, andere Sicht Brechts auf die Welt und die gesellschaftlichen Vorgänge, es ist sein »eingreifendes Denken«, das in Haus‘ Arbeiten deutlich hervortritt.
Bemerkenswert ist im Rückblick, dass Haus trotz des Kalten Krieges solch beständigen Erfolg und Einfluss in beiden Theaterkulturen gewann. Ganz augenscheinlich war Haus mit seiner ersten Inszenierung, dem »Kaukasischen Kreidekreis«, zur rechten Zeit am rechten Ort. Zypern lag nach dem Putsch der griechischen Obristen gegen Präsident Markarios und der darauffolgenden Invasion der Türkei im Frühjahr 1974 am Boden: ein Drittel der Insel besetzt, war das öffentliche Leben im von der Regierung kontrollierten Teil fast zum Erliegen gekommen. Als nach mehr als einem Jahr das Staatstheater THOK wieder seinen Betrieb aufnehmen sollte, wählte man als Premiere bewusst Brecht. Die DDR, die ein Kulturabkommen mit der Republik Zypern hatte, sagte Unterstützung zu. Auf Vorschlag von Manfred Wekwerth wurde Haus »entsandt«. Haus war enger Mitarbeiter Wekwerths, erst als Regisseur am Deutschen Theater, später, als Wekwerth zum Intendanten des BE berufen wurde, dessen Künstlerischer Beauftragter. Haus wurde von Wekwerth seiner unkonventionellen und kritischen Ansichten wegen geschätzt und »gebraucht«, weil er die Brecht-Rezeption in der DDR nach dem Tod Helene Weigels zu »verjüngen« und weiterzuentwickeln trachtete. Für Haus war das sogenannte »Brecht-Modell« eine Rückversicherung, keine Durchführungsbestimmung. Er ging stets vom Gegebenen aus und riskierte dessen Infragestellung.
Haus ersetzte das Vorspiel von Brechts »Kreidekreis« durch ein von Christakis Georghiou verfasstes Vorspiel, das in der Zukunft Zyperns nach Lösung des Zypern-Konflikts spielt. Eine stärkere Herausforderung an die vom Raub ihrer Felder und Häuser betroffenen Zuschauer war kaum vorstellbar. Auch die Musik von George Kotsonis, die Elemente der Rembetika und der zyprischen populären Musik aus der Zeit des Widerstands gegen die britische Kolonialherrschaft aufgriff, brachte die alten Geschichten dem Publikum emotional nahe.
Die Kritiken spiegeln einen großartigen Erfolg für die Inszenierung wider. Haus war damit etabliert. Als sich der Ruf des Regisseurs nach Gastspielen auch in Griechenland herumsprach, begann eine weitere fortwirkende Präsenz im griechischsprachigen Theater, gefördert auch durch die neue Ministerin Melina Mercouri, die Haus einlud, am Aufbau eine regionalen Theatersystems mitzuwirken.
Haus‘ Inszenierungserfahrungen in Zypern und Griechenland lesen sich spannend und sind aufschlussreich, insbesondere hinsichtlich der heutigen Aufgabenstellung einer »aufhaltsamen Wirkungslosigkeit Brechts« (so der Titel eines ebenfalls lesenswerten Buches von Jost Hermand, das bei »Theater der Zeit« erschienen ist). Die Sammlung dokumentiert, warum und wie Theatermachen mit Brecht an gesellschaftlicher Veränderung teilhaben kann.
Die Autorin ist bulgarische Essayistin und lebt zurzeit auf Zypern.