Um dies vorwegzunehmen: Mir ist eine Ampelregierung lieber als die Groko, weil sich die neuen Koalitionäre offenbar vorgenommen haben, das dauerhafte Krisen-Management und den Status Quo, d. h. den lähmenden Reformstau, unter dem Motto »Mehr Fortschritt wagen« zu überwinden. Immerhin.
Dennoch habe nicht nur ich berechtigte Zweifel, was dabei wieder nur heiße Luft ist und womit diese Innen- und Außenpolitik wirklich fortschreiten wird? Es ist daran zu zweifeln, ob die vage vereinbarten Mittel die hehren Ziele einer dringend notwendigen, sozial-ökologischen Reformpolitik wirklich einlösen können. Um zunächst im Bild zu bleiben: Wer glaubt, dass die Lichter einer Ampel gleichzeitig und gleichberechtigt blinken können, dürfte schon im Straßenverkehr krachend scheitern.
Es bleibt innenpolitisch rätselhaft und die entscheidende Glaubwürdigkeitslücke, wie angesichts gigantischer Staatsverschuldung – dramatisch verschärft durch unabsehbare Krisenkosten (Corona und Flutkatastrophe) – ein rasanter ökologischer Umbau der Energiewirtschaft und die Verkehrswende finanziert werden sollen., bei gleichzeitigem Abbau von Gewalt auslösenden sozialen Spannungen, also sich vertiefenden Spaltungen zwischen Arm und Reich, Inländern und Ausländern. Und dies vor dem Hintergrund, dass es keine grundlegende Steuerreform, inklusive Steuererhöhungen für Reiche, und auch keine Lockerung der Schuldenbremse geben darf, wie es die bürgerliche Klientelpartei FDP knallhart durchgesetzt hat.
Ist es aber denkbar, dass lediglich eine neue Haushaltspriorisierung, das Schließen von Steuerschlupflöchern und Kreditaufnahmen außerhalb der Schuldenbremse das Grundproblem der Kluft zwischen Einnahmen und Ausgaben lösen?
In Deutschland besitzen 10 Prozent der Reichen die Hälfte des gesamten Privatvermögens, während knapp 20 Prozent der Menschen als arm gelten (http://statista.com/themen/120/armut-in-deutschland). Die BRD rangiert bei diesem Gefälle hinter Togo und Marokko (s. Christian Sackmann, online Focus, 12.06.2017). Dabei ist auch zu bedenken, dass etwa der steinreiche Waren Buffet, der fast nur noch seine eigenen Aktien kauft, anstatt zu investieren, weil Kapitaleinkünfte geringer besteuert werden, unlängst dem Handelsblatt erzählte, dass er weniger Steuern zahle als seine Sekretärin, und feststellte, dass »meine Freunde und ich (…) lange genug von einem Milliardär-freundlichen Kongress verhätschelt« wurden (zitiert nach Th. Kuczynski: Steuern zum Umsteuern? Ein reformistischer Reformvorschlag zur Abwendung einer Katastrophe, in 56/12/2021 lunapark, S. 78/79)
Ist das bei uns sehr viel anders? Privatvermögen aufgrund von Mehrwertgewinnen aus Kapital ist genug vorhanden, aber wie kommt es jenen zugute, die dafür die körperlichen und geistigen Knochenarbeiten leisten? Das ist, nach wie vor, die ungelöste soziale Grundfrage dieser Gesellschaftsordnung!
An der gefährlich eskalierenden Spaltung zwischen Arm und Reich wird sich nicht nur in Deutschland erweisen, ob der anvisierte ökologischen Umbau wirklich mehr Wohlstand und Lebensperspektiven, insbesondere für die unterprivilegierten Bevölkerungsschichten und die arbeitenden Mittelschichten bringt, oder ob der geforderte Wandel nur Wasser auf die Mühlen aller konservativen und rechten Oppositionskräfte gießt und also nicht zu mehr »Respekt« (Scholz), sondern zu weiterer gesellschaftlicher Destabilisierung führt.
Auch die Außenpolitik, eingebettet in das westliche Bündnis, läuft akute Gefahr, auf Sand gebaut zu sein: Wer glaubt, weiter wie im »Kalten Krieg«, die Weltmächte Russland (man denke nur an 1989!) und China wie dumme, »undemokratische« Schuljungen abkanzeln zu können, um sie – ohne tieferes Verständnis für die eigene und die Geschichte dieser Länder – unter die westliche »Werteordnung« zu zwingen, der unterliegt, wie seit je her, einer verlogenen Doppelmoral: Wer, wie die hochgerüstete Nato, die seit 1989 nicht nur ihre Grenzen nach Osteuropa erheblich verschoben hat und noch immer erweitern möchte, also Rest-Russland und China immer mehr militärisch einzukreisen versucht; wer, wie das westliche Bündnis, weltweit gescheiterte, blutige Regime Change-Kriege führt, wie etwa jüngst in Afghanistan und im »Nahen Osten«; wer selbst von einer Jahrhunderte langen, rassistischen Kolonialgeschichte bis heute außen- und innenpolitisch stark belastet ist, sollte sich nicht so überheblich aufschwingen und einen angeblich moralisch überlegenden Weltpolizisten nach dem Motto spielen: »Am demokratischen Westen soll die Welt genesen!« Entspricht das dem Geist und den Buchstaben der UN-Charta?
Anstatt die eigenen Traditionen einer martialischen westlichen Kolonial- und Militärpolitik selbstkritisch zu hinterfragen und nicht weiter fortzusetzen, sondern stattdessen mit allen Völkern solidarisch den ökologischen Umbau, den sozialen, politischen und kulturellen Ausgleich zu befördern, so befindet sich wohl auch die »Ampel« wieder auf dem alten Irrweg einer neuen Konfrontationspolitik, die mit der einstigen Friedensbewegung und Friedenspolitik Willy Brandts und Egon Bahrs nichts mehr zu tun hat. Wer das nicht begreift und dagegen nicht aufbegehrt, inszeniert gleichfalls außenpolitisch einen Aufbruch in die Illusionen. Wenn nicht schlimmer sogar: Dieser Irrweg wird die globale sozial-ökologische Krise nur weiter verschärfen und kann in mehrfacher Hinsicht zu neuen, nicht mehr löschbaren Weltbränden führen.