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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Auf der Farm eines iranischen Kommunisten

Wir wol­len einen ira­ni­schen Kom­mu­ni­sten im Süden des Lan­des besu­chen und ver­las­sen Bam, die Oase am süd­öst­li­chen Rand der Wüste Lut. »Arg-é Bam«, die mäch­ti­ge Zita­del­le die­ser aus Lehm­zie­geln errich­te­ten histo­ri­schen Wehr­stadt, hat­te Jahr­hun­der­te über die Rou­te von Paki­stan nach Ker­man gewacht. 2003 zer­stör­te ein Erd­be­ben die von der UNESCO zum Welt­kul­tur­er­be erklär­te Lehm­stadt mit ihren Moscheen, Kara­wan­se­rei­en, Wohn­häu­sern, dem Basar und der Zitadelle.

Auch die im 20. Jahr­hun­dert direkt neben­an erbau­te moder­ne Stadt Bam wur­de dem Erd­bo­den gleich­ge­macht. Mehr als 40.000 Todes­op­fer waren zu bekla­gen. Inzwi­schen pul­siert in der schmuck­lo­sen Neu­stadt wie­der das Leben. Die Rekon­struk­ti­on der Lehm­häu­ser in der Alt­stadt ist ent­lang der histo­ri­schen Haupt­stra­ße inklu­si­ve des »Jüdi­schen Hau­ses« abge­schlos­sen. Der Zita­del­le fehlt noch ihr hoher Turm. Ein paar Bau­ge­rü­ste die­nen letz­ten Arbei­ten an der impo­san­ten Wehr­mau­er, die die 25 Hekt­ar gro­ße Alt­stadt umfriedet.

Auf dem grü­nen Mit­tel­strei­fen der Aus­fall­stra­ße von Bam fal­len Bild­ma­sten mit rie­si­gen Por­traits jun­ger Män­ner ins Auge. Sie zei­gen Söh­ne der Stadt, die wäh­rend des ira­kisch-ira­ni­schen Krie­ges getö­tet wur­den. Über­all im Iran wird mit sol­chen Bil­dern an die »Mär­ty­rer« des acht Jah­re wäh­ren­den Krie­ges erin­nert, der im Sep­tem­ber 1980 begann, als die Armee von Iraks dama­li­gem Staats­prä­si­den­ten Sad­dam Hus­sein den Iran über­fiel, um sich des­sen Ölquel­len in der Pro­vinz Chu­zestan ein­zu­ver­lei­ben. Mit west­li­cher Hil­fe setz­te der Irak gezielt Senf­gas auch gegen ira­ni­sche Zivi­li­sten ein. Es war, schreibt Char­lot­te Wie­demann, der »größ­te Che­mie­krieg seit dem Ersten Welt­krieg«. Er habe sich als Trau­ma ins kol­lek­ti­ve Gedächt­nis der Ira­ner ein­ge­brannt, da das damals iso­lier­te Land sich ganz allein gegen eine infor­mel­le Kriegs­ko­ali­ti­on von 36 Staa­ten habe ver­tei­di­gen müs­sen: »In die­ser Situa­ti­on ent­schied die Füh­rung der Isla­mi­schen Repu­blik, das Nukle­ar­pro­gramm wie­der auf­zu­neh­men; es hat­te in der Schah-Zeit mit ame­ri­ka­ni­scher und fran­zö­si­scher Hil­fe begon­nen und wur­de von Kho­mei­ni zunächst aus reli­giö­sen Grün­den ein­ge­stellt.« (Char­lot­te Wie­demann: »Der neue Iran«, S. 144 ff.)

Am Orts­aus­gang von Bam steu­ert Mans­ur, unser Fah­rer, eine Tank­stel­le an. Er bekommt jedoch kei­nen Die­sel, denn der ist wegen der Nähe zur afgha­ni­schen und paki­sta­ni­schen Gren­ze hier schon seit län­ge­rem ratio­niert, um den Treib­stoff-Schmug­gel zu erschwe­ren, erläu­tert unser Rei­se­lei­ter. Vor­aus­schau­end hat­te Mans­ur unse­ren Klein­bus plus Kani­ster des­halb bereits auf dem Hin­weg voll­ge­tankt – für in deut­schen Augen spott­bil­li­ge 300.000 Rial, umge­rech­net 2,50 Euro.

Inzwi­schen hat die Regie­rung Ben­zin und Die­sel lan­des­weit ratio­niert. Mit einer staat­li­chen Ben­zin­kar­te kön­nen die Ira­ner seit Mit­te Novem­ber bis zu 60 Liter Ben­zin im Monat zum Liter­preis von umge­rech­net zwölf Cent tan­ken. Alles dar­über hin­aus kostet dann 24 Cent. Bis dahin betrug der sub­ven­tio­nier­te Ben­zin­preis umge­rech­net weni­ger als 10 Cent. Schon seit län­ge­rer Zeit woll­te die Regie­rung von Prä­si­dent Roha­ni die Ben­zin­prei­se erhö­hen, hat­te das aber aus Furcht vor noch höhe­rer Infla­ti­on und vor Mas­sen­pro­te­sten, die dann Mit­te Novem­ber das Land erschüt­ter­ten, immer wie­der ver­scho­ben. Der Ben­zin­preis gilt im Iran als die »Mut­ter aller Infla­tio­nen«, denn die Raf­fi­ne­rie­ka­pa­zi­tät des Lan­des reicht nur, um 50 Pro­zent des ira­ni­schen Bedarfs zu decken. Die ande­ren 50 Pro­zent wer­den zu Welt­markt­prei­sen impor­tiert. Wegen der ille­ga­len US-Sank­tio­nen im Zusam­men­hang mit dem ille­gal gekün­dig­ten Atom­ver­trag ist der Ölex­port als Haupt­ein­nah­me­quel­le des Iran ein­ge­bro­chen. Der Export des viert­größ­ten Ölpro­du­zen­ten der Welt ist von 2,8 Mil­lio­nen Bar­rel am Tag auf weni­ger als eine Mil­li­on gesun­ken. Roha­ni wirft den USA »Wirt­schafts­ter­ro­ris­mus« vor.

Auch Karim, der 63 Jah­re alte ira­ni­sche Kom­mu­nist und frü­he­re Akti­vist gegen das blu­ti­ge Schah-Regime, stöhnt lei­se über die US-Sank­tio­nen. Wir tref­fen ihn und sei­ne Fami­lie auf sei­ner Farm im tro­pi­schen Kli­ma einer was­ser­rei­chen Ebe­ne nahe der Stadt Dschi­roft, süd­west­lich des 4500 Meter hohen Ber­ges Kuh-e Hazar.

Anfang der 1980er Jah­re war die Fami­lie unter dra­ma­ti­schen Umstän­den vor den Häschern der Mul­lahs geflo­hen. »An der Haus­tür vor­ne klopf­te der Geheim­dienst, und wir sind über den Hof durch die Hin­ter­tür geflüch­tet«, berich­tet sein 38 Jah­re alter Sohn Kaveh, der in Deutsch­land stu­diert hat. Acht Jah­re habe sich die Fami­lie in Tehe­ran ver­steckt, wäh­rend das Regime Ende der 1980er Jah­re Kom­mu­ni­sten und ande­re Regime­geg­ner im Halb­stun­den­takt henk­te. Dann sei es ihr gelun­gen, über Indi­en, Usbe­ki­stan und Mos­kau nach Deutsch­land zu flie­hen, wo Karim, ein stu­dier­ter Mathe­ma­ti­ker, in West-Ber­lin ein Taxi­un­ter­neh­men auf­bau­te. Karims Frau, die gera­de wäh­rend der Herbst­fe­ri­en zu Besuch auf der Farm weilt, arbei­tet wei­ter­hin als Diplom­päd­ago­gin in Ber­lin — um kei­ne Ren­ten­an­sprü­che zu verlieren.

Vor 18 Jah­ren ist ihr Mann aus dem deut­schen Exil in den Iran zurück­ge­kehrt. Das Mul­lah-Regime hat Karim zuge­si­chert, ihn in Ruhe zu las­sen, wenn er sich nicht mehr poli­tisch betä­tigt. Heu­te, sagt er, sei sei­ne poli­ti­sche Hoff­nung die Jugend, denn die den­ke im Iran ganz ähn­lich wie die in Berlin.

»Nur ab und zu schaut bei mir mal der Geheim­dienst vor­bei«, berich­tet er gelas­sen, als er uns sei­ne Farm zeigt: Eine Dat­tel­pal­men­plan­ta­ge, auf der er auch Rin­der züch­tet und in zwei Tei­chen Karp­fen mästet, die LKW regel­mä­ßig auf die Fisch­märk­te am Per­si­schen Golf und sogar bis nach Bag­dad trans­por­tie­ren. Sein Sohn träumt von einem Kühl­haus: »Das wür­de das Geschäft erleichtern.«

Für sei­ne Rin­der­zucht benö­tigt er Soja aus Bra­si­li­en, berich­tet Karim. Doch die ira­ni­sche Bank, die den Import abge­wickelt habe, sei wegen der US-Sank­tio­nen in Schwie­rig­kei­ten. »Wir Ira­ner sind gewohnt zu impro­vi­sie­ren«, lässt er offen, wie und ob das Pro­blem gelöst wor­den ist. Vie­le tech­ni­sche Tei­le, die er frü­her aus der EU bezo­gen habe, kämen nun aus Chi­na oder aus ira­ni­scher Pro­duk­ti­on, berich­tet er. Und wun­dert sich über die Unfä­hig­keit der EU, sich den USA zu wider­set­zen Eine posi­ti­ve Fol­ge der US-Sank­tio­nen aber sei, sagt er, dass der Iran sich abseits der Ölwirt­schaft wirt­schaft­lich brei­ter aufstelle.

Wir haben schließ­lich Gele­gen­heit, Kaveh zu den Kriegs­dro­hun­gen der USA gegen den Iran zu befra­gen, die zu unse­rer Über­ra­schung von unse­ren ande­ren ira­ni­schen Gesprächs­part­nern nie the­ma­ti­siert wur­den. Auch Kaveh äußert sich erst auf direk­te Nach­fra­ge und for­mu­liert frei­mü­tig, er habe »Angst«. Vor allem fürch­te er, im Fal­le eines US-Angriffs zum Mili­tär­dienst ein­ge­zo­gen zu wer­den, von dem die Fami­lie ihn für umge­rech­net rund 2000 Euro habe frei­kau­fen kön­nen. Er nennt die Bedro­hungs­si­tua­ti­on, in der die ira­ni­sche Bevöl­ke­rung seit Mona­ten lebt, »kaf­ka­esk«. So habe er am näch­sten Mor­gen »sofort im Inter­net nach­ge­schaut, ob die Ame­ri­ka­ner uns schon bom­bar­die­ren«, nach­dem zehn Kampf­droh­nen rund die Hälf­te der sau­di­schen Ölpro­duk­ti­on lahm­ge­legt hat­ten und US-Außen­mi­ni­ster Mike Pom­peo dafür post­wen­dend und ohne stich­hal­ti­ge Bewei­se den Iran ver­ant­wort­lich gemacht hatte.

Über­rascht heben wir beim Gang über die Farm auf dem Weg zwi­schen den Pal­men eine Patro­nen­hül­se auf. Im Haus zeigt uns Karim ein Gewehr: »Die Behör­den haben mir Dis­si­den­ten den Besitz der Waf­fe erlaubt, weil bis vor weni­gen Jah­ren Dro­gen­ban­den aus Afgha­ni­stan in der Regi­on blu­tig um Tran­sit­rou­ten und Absatz­märk­te gekämpft haben.« Inzwi­schen herr­sche aber Ruhe.

»Doch die Dro­gen­sucht ist hier ein so rie­si­ges Pro­blem, dass es nicht mehr lös­bar scheint«, meint Kaveh. Sechs der sie­ben Arbei­ter sei­nes Vaters sei­en von Opi­um abhängig.

Die Fami­lie ver­wöhnt unse­re Grup­pe mit einem opu­len­ten Mit­tags­mahl; wir spei­sen am offe­nen Feu­er gebra­te­nen Karp­fen, gedün­ste­tes Gemü­se, fri­sche Kräu­ter und Joghurt. Herz­lich wer­den wir schließ­lich alle umarmt, und die Frau des Hau­ses schenkt jedem zum Abschied eine Papp­box mit köst­li­chen Dat­teln. Schließ­lich grup­pie­ren wir uns zu den obli­ga­to­ri­schen Erin­ne­rungs­fo­tos – ohne die geht über­all im foto­be­gei­ster­ten Iran nichts.

Zurück auf der Auto­bahn nach Ker­man über­ho­len wir gro­ße Rei­se­bus­se, aus deren Fen­stern schwar­ze Bän­der flat­tern. Es sind Pil­ger auf dem Weg in den Süden des Iraks zu den hei­li­gen Stät­ten der Schii­ten in Nad­schaf und Ker­ba­la. Wir befin­den uns in den letz­ten Tagen des Muhar­rams, des Trau­er­mo­nats der Schii­ten, in dem die Gläu­bi­gen mit Pas­si­ons­spie­len und über­all an den Stra­ßen wehen­den schwar­zen Trau­er­fah­nen und Spruch­bän­dern eines Mas­sa­kers im Jah­re 680 in der Wüste bei Ker­be­la gedenken.

Dort wur­den damals die Par­tei­gän­ger des Imam Ali (ara­bisch: Schi’at Ali) mit des­sen Sohn Hus­sein an der Spit­ze von Trup­pen des ver­fein­de­ten sun­ni­ti­schen Kali­fen von Damas­kus abge­schlach­tet. In den Ritua­len des Muhar­rams sehen die Gläu­bi­gen eine Sühn­etat für das Ver­sa­gen der ersten Schii­ten, die Hus­sein nicht aus­rei­chend unter­stützt hatten.

Als wir zwei Tage vor Ende des Muhar­rams vom Flug­ha­fen in Tehe­ran nach Hau­se flie­gen wol­len, hat unser Fah­rer Mühe, bis zur Abflug­hal­le vor­zu­fah­ren. Vor der Hal­le herrscht Ver­kehrs­chaos; die Hal­le selbst ist über­füllt, weil tau­sen­de Pil­ger noch recht­zei­tig in den Irak zum Grab von Hus­sein flie­gen wol­len. Beim Blick auf die Anzei­ge­ta­fel stau­nen wir: Im Stun­den­takt star­ten die Flug­zeu­ge bis tief in die Nacht in den Irak bezie­hungs­wei­se brin­gen von dort wie­der Pil­ger nach Tehe­ran. Vor unse­rem Abflug-Gate wird das Dra­ma aus dem Jahr 680 mit lebens­gro­ßen Pup­pen nach­ge­stellt und mit einem rühr­se­li­gen Text von Aya­tol­lah Kha­men­ei in eng­li­scher Spra­che kom­men­tiert. Mein Ein­druck: Der schii­ti­sche Islam ist tief im Volk ver­wur­zelt, auch wenn wir vie­le säku­la­ri­sier­te Ira­ner tref­fen, die über die Pil­ger nur mil­de lächeln und im pri­va­ten Gespräch – das gilt auch für Gläu­bi­ge – am Mul­lah-Regime kein gutes Haar lassen.

Unser Rei­se­lei­ter bestä­tigt: Zu den Frei­tags­ge­be­ten strö­men längst nur noch Hun­dert­tau­sen­de und nicht mehr die vie­len Mil­lio­nen, die 1979 und danach Kho­mei­ni zuge­ju­belt hat­ten. Char­lot­te Wie­demann resü­miert in ihrem Gesell­schafts­por­trait: »Nichts hat dem Islam in der lan­gen Geschich­te Irans so gescha­det wie das System der Isla­mi­schen Repu­blik.« (»Der neue Iran«, S. 64)

 

Ende der vier­tei­li­gen Serie. Die Tei­le I bis III erschie­nen in den Ossietzky-Hef­ten 23-25/2019. Wei­te­re Lese­emp­feh­lung: Karin Kulows Arti­kel »Spiel mit dem Feu­er« in Ossietzky 14/​2019 zu den Bezie­hun­gen USA – Iran.