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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Auf den Spuren Salvador Allendes

Den Abschluss unse­res Auf­ent­hal­tes in Süd­ame­ri­ka bil­de­te eine Rei­se durch Chi­le und an deren Ende wie­der­um ein 3-tägi­ger Auf­ent­halt in der Haupt­stadt Sant­ia­go de Chi­le. Das war bewusst so geplant, denn ich woll­te schon immer in die Stadt, in der vor knapp 50 Jah­ren der Putsch gegen den demo­kra­tisch gewähl­ten Prä­si­den­ten Sal­va­dor Allen­de und sei­ne Regie­rung ihren Aus­gangs­punkt nahm. Dabei war ich zu die­sem Zeit­punkt gera­de mal 9 Jah­re alt, aber die Bil­der im Fern­se­hen, die das Bom­bar­de­ment des Prä­si­den­ten­pa­la­stes, die »Mone­da«, zeig­ten, hat­ten sich fest in mein Gedächt­nis ein­ge­brannt und lie­ßen mir schon damals kei­ne Ruhe. Auch Tage danach frag­te ich mei­ne Mut­ter, ob die denn da immer noch kämp­fen wür­den, was sie bejah­te. Das ging über mein kind­li­ches Vor­stel­lungs­ver­mö­gen, denn irgend­wann müss­ten die da ja auch alle mal schla­fen. Chi­le war damals viel im Gespräch, und auch wenn ich natür­lich damals nicht die Trag­wei­te des­sen, was da pas­sier­te, erfass­te, war mir doch unter­be­wusst klar, dass da eine ziem­lich gro­ße Schwei­ne­rei abge­lau­fen sein muss­te. Als poli­tisch inter­es­sier­ter Mensch streif­te mich das The­ma immer mal wie­der in mei­nem Leben, und nun wur­de es Zeit, die­sen Kreis zu schließen.

Als Glücks­um­stand erwies sich dabei ein Ehe­paar aus Sant­ia­go de Chi­le, wel­ches wir auf unse­rer Rei­se durch Chi­le ken­nen­lern­ten. Wir soll­ten doch vor­bei­kom­men, wenn wir in der Haupt­stadt wären, und das taten wir auch. Im Ver­lauf des Abends gaben uns Luis und Lucia eini­ge Tipps, und dazu gehör­te das 2010 von der dama­li­gen Prä­si­den­tin Michel­le Bache­let ein­ge­weih­te »Museo de la Memo­ria y los Derechos Huma­nos« (Muse­um der Erin­ne­rung und Men­schen­rech­te). Luis selbst hat­te an der Aus­stel­lung mit­ge­ar­bei­tet. Das Muse­um doku­men­tiert mit Bild, Ton und Aus­stel­lungs­stücken auf ein­drucks­vol­le Wei­se die Ereig­nis­se des 11.09.1973 und die fol­gen­den Jah­re der Mili­tär­dik­ta­tur unter Augu­sto Pino­chet. Sicht­bar auch die inter­na­tio­na­le Soli­da­ri­tät, die dem chi­le­ni­schen Volk aus vie­len Län­dern ent­ge­gen­ge­bracht wur­de. Vie­les kann­te ich, aber im Detail wur­de noch ein­mal die gan­ze Drei­stig­keit und Bru­ta­li­tät die­ses von den USA unter­stütz­ten Put­sches deut­lich. Das Muse­um war gut besucht, und auch Schul­klas­sen lärm­ten durch die Räu­me und arbei­te­ten mehr oder weni­ger gewis­sen­haft ihren Lauf­zet­tel ab. Es ist sicher immer schwer für jun­ge Men­schen, sich in ande­re Epo­chen hin­ein­zu­ver­set­zen. Aber den Ver­such ist es schon wert.

Wer noch mehr wis­sen will, der soll­te einen Besuch des Zen­tral­fried­ho­fes ein­pla­nen. Hier ist das Grab bzw. das Memo­ri­al von Sal­va­dor Allen­de. Im wei­te­ren Ver­lauf trifft man auf den Patio 29 (das Feld 29), auf dem vie­le Opfer der Mili­tär­jun­ta namen­los ver­scharrt wur­den. Erst seit den 1990er Jah­ren wer­den durch Exhu­mie­run­gen und Ana­ly­sen den Toten die Namen zurück­ge­ge­ben und den Ange­hö­ri­gen zumin­dest Gewiss­heit ver­schafft. Unge­fähr 140 Men­schen lie­gen hier. Und dann ist da noch die rie­sen­gro­ße Gedenk­ta­fel mit den tau­sen­den Namen der Men­schen, die wäh­rend der Dik­ta­tur ums Leben gekom­men sind. Ein­ge­rahmt wird es auf der rech­ten Sei­te von einem Forum für Opfer, die aus poli­ti­schen Grün­den hin­ge­rich­tet wor­den sind. Die Daten rei­chen weit in die 1980er Jah­re hin­ein. Links der Gedenk­ta­fel ein wei­te­res Forum für Opfer, die nach ihrer Ver­haf­tung ver­schwun­den sind.

Hier tref­fen wir Maria, die sich um die Sau­ber­keit des Forums bemüht, und kom­men mit ihr ins Gespräch. Sie trägt an ihrem Pull­over ein Schild mit einem Foto und der Fra­ge »Don­de están?« (Wo sind sie?). Es stellt sich her­aus, dass es das Bild­nis ihres Groß­va­ters ist. Als Gewerk­schafts­funk­tio­när und Mit­glied der KP wur­de er 1976 ent­führt und ist nicht wie­der auf­ge­taucht. Wir kom­men ins Gespräch, und sie berich­tet, dass die Denk­mä­ler der­zeit saniert wer­den. Das geht auf ein Wahl­ver­spre­chen des jet­zi­gen Prä­si­den­ten zurück, der ver­sprach, die Erin­ne­rungs­kul­tur zu pfle­gen. Anson­sten sei­en staat­li­cher­seits kei­ne gro­ßen Fei­er­lich­kei­ten geplant und die Zeit der Dik­ta­tur auf eine ein­zi­ge Sei­te der Geschichts­bü­cher gedrängt. Natür­lich kämen auch Schul­klas­sen vor­bei, denen sie erzählt, dass man sich unbe­dingt dafür inter­es­sie­ren müs­se, was wäh­rend der Pino­chet-Dik­ta­tur pas­siert ist.

Ins­ge­samt dia­gno­sti­ziert sie der Welt einen Rechts­ruck. Wir reden auch noch kurz über das geschei­ter­te Ver­fas­sungs­re­fe­ren­dum, denn noch hat Chi­le die Ver­fas­sung aus der Zeit der Dik­ta­tur. Die neue Ver­fas­sung soll­te Chi­le von Grund auf umbau­en, zu einem Sozi­al­staat, der Frau­en­rech­te und Umwelt­schutz stärkt, die indi­ge­nen Völ­ker aner­kennt und sich aktiv um das Wohl­erge­hen der Men­schen küm­mert, statt dies pri­va­ten Unter­neh­men zu über­las­sen, wie es die aktu­el­le Ver­fas­sung, die noch aus Zei­ten der Pino­chet-Dik­ta­tur stammt, vor­sieht. Die­ses Refe­ren­dum wur­de ihrer Ansicht nach medi­al zu Fall gebracht. Es wur­den unter ande­rem fal­sche Ver­fas­sungs­ent­wür­fe in Umlauf gebracht und Angst über Ent­eig­nun­gen geschürt. Für alle wei­te­ren Akti­vi­tä­ten hof­fe sie aber, dass sich im Rah­men des anste­hen­den Jah­res­ta­ges die der­zeit doch wei­test­ge­hend sepa­rat agie­ren­den Grup­pen wie­der mehr zusam­men­fin­den würden.

Wir bedan­ken uns und fra­gen, ob wir ein Foto von ihr machen dür­fen. Sie stimmt zu, besteht aber dar­auf, das an einer bestimm­ten Stel­le zu tun und führt uns zu dem Bild eines 13-Jäh­ri­gen Jun­gen. Die Geschich­te dahin­ter: Eini­ge Tage nach dem Putsch fan­den der Jun­ge und sein Freund eine Pisto­le. Beim Han­tie­ren damit löste sich ein Schuss und traf sei­nen Freund in den Arm. Der aber war der Sohn eines Cara­bi­nie­ro. Dem ande­ren Jun­gen wur­de es als Ver­ge­hen ange­la­stet. Er wur­de ver­haf­tet und ist seit­dem verschwunden.

Ist das nun alles Schnee von gestern? Wozu das alles nach 50 Jah­ren? Kön­nen wir dar­aus noch was ler­nen? Mir hat es jeden­falls ver­deut­licht, wie weit Ver­än­de­run­gen im Rah­men der Demo­kra­tie zuge­las­sen wer­den. Allen­de hat mit sei­nen berühm­ten ersten 40 Maß­nah­men das Land umge­stal­ten wol­len. Er hat das Kapi­tal her­aus­ge­for­dert, und das hat zurück­ge­schla­gen. Wer immer an Allen­des Idee anknüp­fen will, muss sich der Gefah­ren bewusst sein. Wahr­schein­lich wird es kei­nen Putsch im mili­tä­ri­schen Sin­ne gegen fort­schritt­li­che Pro­jek­te geben. Die Klin­gen sind fei­ner gewor­den. Die Medi­en wer­den es schon (Hin)richten. Klingt etwas pes­si­mi­stisch? Na ja, solan­ge es sol­che Leu­te wie Maria gibt, viel­leicht nicht.

Dass Allen­de die­ses Pro­jekt der demo­kra­ti­schen Umge­stal­tung der Gesell­schaft über­haupt hat star­ten kön­nen, ver­dank­te er übri­gens einem star­ken Bünd­nis, wel­ches aus den ver­schie­den­sten, vor allem lin­ken Par­tei­en geschmie­det wur­de. Inso­fern ist das – Links­par­tei auf­ge­passt! – ein gutes Bei­spiel dafür, wie man über ver­schie­de­ne Posi­tio­nen hin­weg Gemein­sam­kei­ten her­aus­ar­bei­ten und umset­zen kann.