Die historische Aufarbeitung, in welchen obersten Bundesbehörden in den frühen Jahren der BRD nazistisch belastete Mitarbeiter tätig waren, findet seit mehr als einem Jahrzehnt statt. Begonnen hatte es mit dem Auswärtigen Amt, später folgten unter anderem das Bundesjustizministerium und die Generalbundesanwaltschaft. So war es naheliegend, dass auch die »NS-Kontinuitäten im BND« untersucht wurden. Die Veröffentlichung von Gerhard Sälter, Mitglied der dazu gebildeten Unabhängigen Historikerkommission, liefert ein erschreckendes Bild.
Das hängt vor allem mit den Einstellungsmodalitäten der Vorgängereinrichtung des BND, der Organisation Gehlen, zusammen. Reinhard Gehlen hatte seine Überzeugungen und Vorstellungen, die sich nicht wesentlich von jenen unterschieden, die er in seiner früheren Funktion als General im Dienste Hitlers und Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost hatte. So wundert nicht, dass seine bereits 1947 entstandene Organisation »aus Resten der Frontaufklärung« und anderen ehemaligen Nazi-Offizieren entstand. Ihm ging es um die »Weiterführung« des Kampfes, und die Stoßrichtung war weiterhin der Osten, der Kommunismus. Er und seine Mitstreiter fühlten sich den alten Eliten der Nazis verbunden und lehnten eine Demokratisierung ab. Wie selbstverständlich wurden Mitarbeiter aus dem früheren Reichssicherheitshauptamt, ehemalige hochrangige HJ-Führer oder Gestapo-Beamte beschäftigt. Selbst Himmlers Tochter Gudrun arbeitete unter falschem Namen als Schreibkraft von 1959 bis 1963 beim BND, der im Jahr 1956 aus der Organisation Gehlen heraus entstanden war. Die Himmler-Tochter war eine unverbesserliche Nationalsozialistin und darum bemüht, ihren Vater in einem »besseren« Licht erscheinen zu lassen. Die Bewertung von NS- Biografien beim Übergang zum BND erfolgte geradezu großzügig, und Nachkriegslegenden stießen bei der Verbeamtung von früherem Gestapo-Personal auf viel »Verständnis«. Ehemalige Angehörige der Einsatzgruppen in Polen und der Sowjetunion waren ebenso willkommen wie Beteiligte an der »Endlösung« in der Slowakei. All das ging einher damit, die juristische Aufarbeitung von Nazi-Unrecht zu behindern und ins Visier geratene Personen, wie Hans-Maria Globke, zu schützen oder Einfluss auf die Verteidigung von Eichmann in dem gegen ihn 1961/62 in Israel geführten Prozess zu nehmen. Selbst Gedanken, wie Alois Brunner als »Entlastungszeugen« in einem NS-Verfahren in Frankfurt am Main auftreten zu lassen und Material gegen Hauptzeugen der Anklage zu sammeln, um damit deren Unglaubwürdigkeit behaupten zu können, kamen auf. Man unterhielt Netzwerke ins Ausland, die ebenfalls zu alten Nazis führten, wie Walther Rauff in Syrien. Gehlen wurde nach der Bildung des Bundesnachrichtendienstes im Jahr 1956 sein Präsident und blieb es bis 1968! Auch insoweit herrschte personelle Kontinuität. Zum Zeitpunkt seines Amtsantritts hatte er bereits mehrere tausend Mitarbeiter rekrutiert, die mit ihm nunmehr den »Dienst« bildeten.
Die Historikerkommission und Gerhard Sälter kommen zu der Einschätzung, dass vor allem in den ersten Jahrzehnten bei den Mitarbeitern von Gehlen und dem späteren BND überhaupt kein Bewusstsein vom verbrecherischen Charakter der Nazidiktatur vorhanden war und die Kontrollfunktion des Bundeskanzleramtes nur nachlässig ausgeübt wurde.
Ihr Fazit: Die Demokratisierung der Bundesrepublik und die Entstehung eines demokratischen Rechtsstaates ist nicht dem BND und dessen Mitarbeitern zu verdanken. Das sagt letztlich alles.
Gerhard Sälter: »NS-Kontinuitäten im BND – Rekrutierung, Diskurse, Vernetzungen«, Ch. Links Verlag, Berlin 2022, 832 S., 65 €.