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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Auf braunem Sumpf gebaut

Die histo­ri­sche Auf­ar­bei­tung, in wel­chen ober­sten Bun­des­be­hör­den in den frü­hen Jah­ren der BRD nazi­stisch bela­ste­te Mit­ar­bei­ter tätig waren, fin­det seit mehr als einem Jahr­zehnt statt. Begon­nen hat­te es mit dem Aus­wär­ti­gen Amt, spä­ter folg­ten unter ande­rem das Bun­des­ju­stiz­mi­ni­ste­ri­um und die Gene­ral­bun­des­an­walt­schaft. So war es nahe­lie­gend, dass auch die »NS-Kon­ti­nui­tä­ten im BND« unter­sucht wur­den. Die Ver­öf­fent­li­chung von Ger­hard Säl­ter, Mit­glied der dazu gebil­de­ten Unab­hän­gi­gen Histo­ri­ker­kom­mis­si­on, lie­fert ein erschrecken­des Bild.

Das hängt vor allem mit den Ein­stel­lungs­mo­da­li­tä­ten der Vor­gän­ger­ein­rich­tung des BND, der Orga­ni­sa­ti­on Geh­len, zusam­men. Rein­hard Geh­len hat­te sei­ne Über­zeu­gun­gen und Vor­stel­lun­gen, die sich nicht wesent­lich von jenen unter­schie­den, die er in sei­ner frü­he­ren Funk­ti­on als Gene­ral im Dien­ste Hit­lers und Lei­ter der Abtei­lung Frem­de Hee­re Ost hat­te. So wun­dert nicht, dass sei­ne bereits 1947 ent­stan­de­ne Orga­ni­sa­ti­on »aus Resten der Front­auf­klä­rung« und ande­ren ehe­ma­li­gen Nazi-Offi­zie­ren ent­stand. Ihm ging es um die »Wei­ter­füh­rung« des Kamp­fes, und die Stoß­rich­tung war wei­ter­hin der Osten, der Kom­mu­nis­mus. Er und sei­ne Mit­strei­ter fühl­ten sich den alten Eli­ten der Nazis ver­bun­den und lehn­ten eine Demo­kra­ti­sie­rung ab. Wie selbst­ver­ständ­lich wur­den Mit­ar­bei­ter aus dem frü­he­ren Reichs­si­cher­heits­haupt­amt, ehe­ma­li­ge hoch­ran­gi­ge HJ-Füh­rer oder Gesta­po-Beam­te beschäf­tigt. Selbst Himm­lers Toch­ter Gud­run arbei­te­te unter fal­schem Namen als Schreib­kraft von 1959 bis 1963 beim BND, der im Jahr 1956 aus der Orga­ni­sa­ti­on Geh­len her­aus ent­stan­den war. Die Himm­ler-Toch­ter war eine unver­bes­ser­li­che Natio­nal­so­zia­li­stin und dar­um bemüht, ihren Vater in einem »bes­se­ren« Licht erschei­nen zu las­sen. Die Bewer­tung von NS- Bio­gra­fien beim Über­gang zum BND erfolg­te gera­de­zu groß­zü­gig, und Nach­kriegs­le­gen­den stie­ßen bei der Ver­be­am­tung von frü­he­rem Gesta­po-Per­so­nal auf viel »Ver­ständ­nis«. Ehe­ma­li­ge Ange­hö­ri­ge der Ein­satz­grup­pen in Polen und der Sowjet­uni­on waren eben­so will­kom­men wie Betei­lig­te an der »End­lö­sung« in der Slo­wa­kei. All das ging ein­her damit, die juri­sti­sche Auf­ar­bei­tung von Nazi-Unrecht zu behin­dern und ins Visier gera­te­ne Per­so­nen, wie Hans-Maria Glob­ke, zu schüt­zen oder Ein­fluss auf die Ver­tei­di­gung von Eich­mann in dem gegen ihn 1961/​62 in Isra­el geführ­ten Pro­zess zu neh­men. Selbst Gedan­ken, wie Alo­is Brun­ner als »Ent­la­stungs­zeu­gen« in einem NS-Ver­fah­ren in Frank­furt am Main auf­tre­ten zu las­sen und Mate­ri­al gegen Haupt­zeu­gen der Ankla­ge zu sam­meln, um damit deren Unglaub­wür­dig­keit behaup­ten zu kön­nen, kamen auf. Man unter­hielt Netz­wer­ke ins Aus­land, die eben­falls zu alten Nazis führ­ten, wie Walt­her Rauff in Syri­en. Geh­len wur­de nach der Bil­dung des Bun­des­nach­rich­ten­dien­stes im Jahr 1956 sein Prä­si­dent und blieb es bis 1968! Auch inso­weit herrsch­te per­so­nel­le Kon­ti­nui­tät. Zum Zeit­punkt sei­nes Amts­an­tritts hat­te er bereits meh­re­re tau­send Mit­ar­bei­ter rekru­tiert, die mit ihm nun­mehr den »Dienst« bildeten.

Die Histo­ri­ker­kom­mis­si­on und Ger­hard Säl­ter kom­men zu der Ein­schät­zung, dass vor allem in den ersten Jahr­zehn­ten bei den Mit­ar­bei­tern von Geh­len und dem spä­te­ren BND über­haupt kein Bewusst­sein vom ver­bre­che­ri­schen Cha­rak­ter der Nazi­dik­ta­tur vor­han­den war und die Kon­troll­funk­ti­on des Bun­des­kanz­ler­am­tes nur nach­läs­sig aus­ge­übt wurde.

Ihr Fazit: Die Demo­kra­ti­sie­rung der Bun­des­re­pu­blik und die Ent­ste­hung eines demo­kra­ti­schen Rechts­staa­tes ist nicht dem BND und des­sen Mit­ar­bei­tern zu ver­dan­ken. Das sagt letzt­lich alles.

Ger­hard Säl­ter: »NS-Kon­ti­nui­tä­ten im BND – Rekru­tie­rung, Dis­kur­se, Ver­net­zun­gen«, Ch. Links Ver­lag, Ber­lin 2022, 832 S., 65 €.