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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Auch ohne Rammstein

Macht­miss­brauch in der Musik­welt war ein gro­ßes Medi­en­the­ma, nach­dem die ersten Vor­wür­fe gegen Till Lin­de­mann öffent­lich wur­den. Vom »Macht­ge­fäl­le zwi­schen Lin­de­mann und Fans« berich­te­te nicht nur der Deutsch­land­funk. Wie wich­tig die Aus­ein­an­der­set­zung mit Macht und ihrem Umgang ist, zeigt ein Blick in die Arbeitswelt.

Vie­le Unter­neh­men orga­ni­sie­ren eine Spal­tung der Beleg­schaft – etwa eine redu­zier­te Stamm­be­leg­schaft aus hoch­qua­li­fi­zier­ten Exper­ten, also IT-Spe­zia­li­sten oder qua­li­fi­zier­ten Fach­ar­bei­tern, die ordent­lich durch Tarif­ver­trag bezahlt wer­den, und Beschäf­tig­te als Rand­be­leg­schaft, die unsi­che­re Arbeits­ver­hält­nis­se in Leih­ar­beit oder durch Befri­stung haben.

Die neue­sten Ideen des Manage­ments gehen schon wei­ter: Crowd­wor­king-Platt­for­men wie »Click­wor­ker« sind die Vor­bo­ten einer neu­en Arbeits­or­ga­ni­sa­ti­on und eng ver­knüpft mit dem Ziel, die Arbei­ter­schaft zu spal­ten. Arbeit soll über Inter­net­por­ta­le bei einer »Crowd« welt­weit ein­ge­kauft wer­den. Bei den Inter­net­markt­plät­zen ist die Macht klar auf Sei­ten der Auf­trag­ge­ber. Ohne Arbeits­ver­trag. Bezahlt wird oft nur, wer zuerst eine Lösung ein­reicht, die den Anfor­de­run­gen des Auf­trag­ge­bers ent­spricht. Bei Ama­zon Mecha­ni­cal Turk, einer der ersten und bekann­te­sten Crowd­sour­cing-Platt­for­men, lag der durch­schnitt­li­che Stun­den­lohn zeit­wei­se bei 1,25 Dollar.

Auch die Wei­ge­rung, Tarif­ver­trä­ge abzu­schlie­ßen, ist ein Ele­ment der Macht­aus­übung zur Spal­tung – das Unter­neh­men will über die Lohn­hö­he allein ent­schei­den. »Knapp die Hälf­te der Beschäf­tig­ten in Deutsch­land waren 2022 in einem tarif­ge­bun­de­nen Betrieb beschäf­tigt«, mel­det das Sta­ti­sti­sche Bun­des­amt (www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/06/PD23_214_62.html). Es bestehen deut­li­che Unter­schie­de zwi­schen den Bran­chen. »Mit 48 % Tarif­bin­dung ran­giert Deutsch­land bei die­sem Ran­king auf Platz 18 und liegt damit deut­lich unter der vom Euro­päi­schen Par­la­ment anvi­sier­ten Ziel­mar­ke von 80 %«, ver­mel­den die Sta­ti­sti­ker trocken die Bestre­bun­gen der Kapi­tal­eig­ner, Löh­ne nied­rig zu hal­ten. Noch heu­te gibt es Tarif­ver­trä­ge, in denen nach Ost- und West-Tarif unter­schie­den wird.

Unter­neh­men haben ver­schie­de­ne For­men der Lohn­drücke­rei ent­wickelt. Eine Vari­an­te ist, im Arbeits­ver­trag die For­mu­lie­rung auf­zu­neh­men: »Über­stun­den sind mit dem Gehalt abge­gol­ten«. Wer denkt, dies wür­de wohl nur für hoch­qua­li­fi­zier­te IT-Exper­ten, Inge­nieu­re oder Team­lei­ter gel­ten, wird in der betrieb­li­chen Pra­xis eines Bes­se­ren belehrt. Auch für Gering­ver­die­ner kann eine Über­stun­den­re­ge­lung wirk­sam sein, so das Lan­des­ar­beits­ge­richt Meck­len­burg-Vor­pom­mern (vom 14.09.2021 – 2 Sa 26/​21).

Beim Mit­ar­bei­ter einer Finanz­buch­hal­tung mit einem eher gerin­gen Lohn von 1.800 € für eine 40-Stun­den­wo­che umfass­te der Arbeits­ver­trag die zusätz­li­che Rege­lung, dass damit monat­lich zehn Stun­den Mehr­ar­beit als bezahlt gel­ten. Der Beschäf­tig­te emp­fand die­se Klau­sel im Lau­fe der Zeit als unge­recht und klag­te auf zusätz­li­che Ver­gü­tung für Über­stun­den – das Gericht weist die For­de­rung zurück. Die im Arbeits­ver­trag ver­ein­bar­te Pau­schal­ver­gü­tung ver­stößt nicht gegen die Regeln des Bür­ger­li­chen Gesetz­bu­ches, die bei von Unter­neh­men for­mu­lier­ten Arbeits­ver­trä­gen anwend­bar sind. War­um hat der Betrof­fe­ne die­sen Ver­trag unter­schrie­ben? Macht­ge­fäl­le, wie oft, wenn Men­schen die »eig­ne Haut zu Mark­te« tra­gen, wie Karl Marx formulierte.

Wis­sens­ma­nage­ment ist zur wich­ti­gen Auf­ga­be in der tech­ni­sier­ten Welt gewor­den. So über­neh­men hoch­qua­li­fi­zier­te Beschäf­tig­te Pro­jekt über Pro­jekt. Per Ziel­ver­ein­ba­rung oder agi­ler Steue­rung laden die Unter­neh­men immer mehr Ver­ant­wor­tung bei Ange­stell­ten ab, eine »dün­ne Per­so­nal­decke« sichert die Gewinne.

Ein Ergeb­nis: In den 1990er Jah­ren sind die Fehl­zei­ten auf­grund psy­chi­scher Lei­den um 80 Pro­zent gestie­gen und blei­ben seit­dem auf hohem Niveau. Bei dem einen führt das zu Schlaf­stö­run­gen, bei ande­ren zu Rücken­pro­ble­men, zu einem Rau­schen im Ohr, zu Magen­schmer­zen. Am Ende ste­hen Depres­si­on und Burn-out. Sol­che Erkran­kun­gen neh­men zu, wie Sta­ti­sti­ken der Kran­ken­kas­sen zei­gen – und zwar rapide.

Damit noch nicht genug an Macht­aus­übung: In Pan­de­mie­zei­ten wur­de gera­de die­se Beschäf­tig­ten­grup­pe auf­ge­for­dert, zuhau­se Arbeits­plät­ze ein­zu­rich­ten. »Mobi­le Arbeit« im eige­nen Wohn­zim­mer, Arbeits­tisch oder Stuhl, selbst Heiz­ko­sten wur­den pri­va­ti­siert, Unter­neh­men von Kosten ent­la­stet. Die betrieb­li­chen Kräf­te­ver­hält­nis­se sor­gen dafür, dass Men­schen mit Hoch­schul­ab­schluss das mit sich machen las­sen. Kein Ton davon in den Zei­tun­gen der Medi­en­kon­zer­ne, Home­of­fice wur­de als Wunsch aller Arbei­ten­den schön­ge­schrie­ben. »Home­of­fice wirkt sich posi­tiv auf Pro­duk­ti­vi­tät aus«, mel­det das Han­dels­blatt.

»Die­se neue Gene­ra­ti­on der KI wird die Placke­rei der Arbeit besei­ti­gen und Krea­ti­vi­tät frei­set­zen. KI-gestütz­te Tools bie­ten eine enor­me Chan­ce, digi­ta­le Schul­den abzu­bau­en, KI-Fähig­kei­ten zu ent­wickeln und Mit­ar­bei­ter zu stär­ken«, behaup­tet Micro­soft-CEO Satya Nadel­la – und zeigt, wie poli­ti­sche Ver­hält­nis­se ver­schlei­ert wer­den: Statt von Gewinn­stei­ge­rung wird vom »Nut­zen für alle« gespro­chen, den ein arbeits­lo­ser Wer­be­tex­ter bei KI nicht erken­nen wird.

Sich gegen Macht zur Wehr zu set­zen, setzt ein Ver­ständ­nis vor­aus, was geplant ist und wel­che Rech­te bestehen. In vie­len Betrie­ben arbei­ten Men­schen unter­schied­lich­ster Her­kunft zusam­men. Die­se Viel­falt betrifft auch die Spra­chen, die im Betrieb gespro­chen wer­den. Ein Betriebs­rat woll­te des­halb anste­hen­de Betriebs­ver­samm­lun­gen gut vor­be­rei­ten. Er for­der­te das Unter­neh­men daher auf, die Kosten für Simul­tan­über­set­zun­gen und tech­ni­sche Aus­rü­stung zu über­neh­men – was die­ses ablehn­te. Hel­fen soll­te dabei das Arbeits­ge­richt Leip­zig, das die Anträ­ge des Betriebs­ra­tes aller­dings zurück­wies (Arbeits­ge­richt Leip­zig, AZBV 56/​22). Man­geln­de Sen­si­bi­li­tät der Rich­ter für das Macht­ge­fäl­le bei feh­len­den Sprach­ver­ständ­nis kri­ti­siert die Gewerk­schaft Ver.di. Die Gewerk­schaft bedau­ert, dass »das The­ma vom Bun­des­ar­beits­ge­richt noch nicht ent­schie­den wur­de, obwohl ein­ge­wan­der­te Beschäf­tig­te seit Jahr­zehn­ten eine wesent­li­che Rol­le in den Betrie­ben spielen«.

Das Streik­recht wird von Unter­neh­men zuneh­mend unter Druck gesetzt. Nach dem drit­ten ergeb­nis­lo­sen Tarif­ge­spräch mit der Deut­schen Bahn woll­te die Gewerk­schaft EVG Mit­te Mai einen 50stündigen Warn­streik durch­set­zen. Das Unter­neh­men bean­trag­te einen Stopp beim Arbeits­ge­richt. Kur­zer­hand setz­te die Gewerk­schaft den Aus­stand aus, da das Arbeits­ge­richt Frank­furt weit­ge­hend im Sin­ne des Bahn-Vor­stan­des argu­men­tier­te. Die Macht­ver­tei­lung wur­de auch hier schnell deutlich.

»Wie Rock­stars ihre Macht miss­brau­chen«, schreibt die FAZ. Wie Macht gegen die Beschäf­tig­ten genutzt wird, ist der Redak­ti­on kei­ne Schlag­zei­le wert.