Machtmissbrauch in der Musikwelt war ein großes Medienthema, nachdem die ersten Vorwürfe gegen Till Lindemann öffentlich wurden. Vom »Machtgefälle zwischen Lindemann und Fans« berichtete nicht nur der Deutschlandfunk. Wie wichtig die Auseinandersetzung mit Macht und ihrem Umgang ist, zeigt ein Blick in die Arbeitswelt.
Viele Unternehmen organisieren eine Spaltung der Belegschaft – etwa eine reduzierte Stammbelegschaft aus hochqualifizierten Experten, also IT-Spezialisten oder qualifizierten Facharbeitern, die ordentlich durch Tarifvertrag bezahlt werden, und Beschäftigte als Randbelegschaft, die unsichere Arbeitsverhältnisse in Leiharbeit oder durch Befristung haben.
Die neuesten Ideen des Managements gehen schon weiter: Crowdworking-Plattformen wie »Clickworker« sind die Vorboten einer neuen Arbeitsorganisation und eng verknüpft mit dem Ziel, die Arbeiterschaft zu spalten. Arbeit soll über Internetportale bei einer »Crowd« weltweit eingekauft werden. Bei den Internetmarktplätzen ist die Macht klar auf Seiten der Auftraggeber. Ohne Arbeitsvertrag. Bezahlt wird oft nur, wer zuerst eine Lösung einreicht, die den Anforderungen des Auftraggebers entspricht. Bei Amazon Mechanical Turk, einer der ersten und bekanntesten Crowdsourcing-Plattformen, lag der durchschnittliche Stundenlohn zeitweise bei 1,25 Dollar.
Auch die Weigerung, Tarifverträge abzuschließen, ist ein Element der Machtausübung zur Spaltung – das Unternehmen will über die Lohnhöhe allein entscheiden. »Knapp die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland waren 2022 in einem tarifgebundenen Betrieb beschäftigt«, meldet das Statistische Bundesamt (www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/06/PD23_214_62.html). Es bestehen deutliche Unterschiede zwischen den Branchen. »Mit 48 % Tarifbindung rangiert Deutschland bei diesem Ranking auf Platz 18 und liegt damit deutlich unter der vom Europäischen Parlament anvisierten Zielmarke von 80 %«, vermelden die Statistiker trocken die Bestrebungen der Kapitaleigner, Löhne niedrig zu halten. Noch heute gibt es Tarifverträge, in denen nach Ost- und West-Tarif unterschieden wird.
Unternehmen haben verschiedene Formen der Lohndrückerei entwickelt. Eine Variante ist, im Arbeitsvertrag die Formulierung aufzunehmen: »Überstunden sind mit dem Gehalt abgegolten«. Wer denkt, dies würde wohl nur für hochqualifizierte IT-Experten, Ingenieure oder Teamleiter gelten, wird in der betrieblichen Praxis eines Besseren belehrt. Auch für Geringverdiener kann eine Überstundenregelung wirksam sein, so das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (vom 14.09.2021 – 2 Sa 26/21).
Beim Mitarbeiter einer Finanzbuchhaltung mit einem eher geringen Lohn von 1.800 € für eine 40-Stundenwoche umfasste der Arbeitsvertrag die zusätzliche Regelung, dass damit monatlich zehn Stunden Mehrarbeit als bezahlt gelten. Der Beschäftigte empfand diese Klausel im Laufe der Zeit als ungerecht und klagte auf zusätzliche Vergütung für Überstunden – das Gericht weist die Forderung zurück. Die im Arbeitsvertrag vereinbarte Pauschalvergütung verstößt nicht gegen die Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches, die bei von Unternehmen formulierten Arbeitsverträgen anwendbar sind. Warum hat der Betroffene diesen Vertrag unterschrieben? Machtgefälle, wie oft, wenn Menschen die »eigne Haut zu Markte« tragen, wie Karl Marx formulierte.
Wissensmanagement ist zur wichtigen Aufgabe in der technisierten Welt geworden. So übernehmen hochqualifizierte Beschäftigte Projekt über Projekt. Per Zielvereinbarung oder agiler Steuerung laden die Unternehmen immer mehr Verantwortung bei Angestellten ab, eine »dünne Personaldecke« sichert die Gewinne.
Ein Ergebnis: In den 1990er Jahren sind die Fehlzeiten aufgrund psychischer Leiden um 80 Prozent gestiegen und bleiben seitdem auf hohem Niveau. Bei dem einen führt das zu Schlafstörungen, bei anderen zu Rückenproblemen, zu einem Rauschen im Ohr, zu Magenschmerzen. Am Ende stehen Depression und Burn-out. Solche Erkrankungen nehmen zu, wie Statistiken der Krankenkassen zeigen – und zwar rapide.
Damit noch nicht genug an Machtausübung: In Pandemiezeiten wurde gerade diese Beschäftigtengruppe aufgefordert, zuhause Arbeitsplätze einzurichten. »Mobile Arbeit« im eigenen Wohnzimmer, Arbeitstisch oder Stuhl, selbst Heizkosten wurden privatisiert, Unternehmen von Kosten entlastet. Die betrieblichen Kräfteverhältnisse sorgen dafür, dass Menschen mit Hochschulabschluss das mit sich machen lassen. Kein Ton davon in den Zeitungen der Medienkonzerne, Homeoffice wurde als Wunsch aller Arbeitenden schöngeschrieben. »Homeoffice wirkt sich positiv auf Produktivität aus«, meldet das Handelsblatt.
»Diese neue Generation der KI wird die Plackerei der Arbeit beseitigen und Kreativität freisetzen. KI-gestützte Tools bieten eine enorme Chance, digitale Schulden abzubauen, KI-Fähigkeiten zu entwickeln und Mitarbeiter zu stärken«, behauptet Microsoft-CEO Satya Nadella – und zeigt, wie politische Verhältnisse verschleiert werden: Statt von Gewinnsteigerung wird vom »Nutzen für alle« gesprochen, den ein arbeitsloser Werbetexter bei KI nicht erkennen wird.
Sich gegen Macht zur Wehr zu setzen, setzt ein Verständnis voraus, was geplant ist und welche Rechte bestehen. In vielen Betrieben arbeiten Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammen. Diese Vielfalt betrifft auch die Sprachen, die im Betrieb gesprochen werden. Ein Betriebsrat wollte deshalb anstehende Betriebsversammlungen gut vorbereiten. Er forderte das Unternehmen daher auf, die Kosten für Simultanübersetzungen und technische Ausrüstung zu übernehmen – was dieses ablehnte. Helfen sollte dabei das Arbeitsgericht Leipzig, das die Anträge des Betriebsrates allerdings zurückwies (Arbeitsgericht Leipzig, AZ 8 BV 56/22). Mangelnde Sensibilität der Richter für das Machtgefälle bei fehlenden Sprachverständnis kritisiert die Gewerkschaft Ver.di. Die Gewerkschaft bedauert, dass »das Thema vom Bundesarbeitsgericht noch nicht entschieden wurde, obwohl eingewanderte Beschäftigte seit Jahrzehnten eine wesentliche Rolle in den Betrieben spielen«.
Das Streikrecht wird von Unternehmen zunehmend unter Druck gesetzt. Nach dem dritten ergebnislosen Tarifgespräch mit der Deutschen Bahn wollte die Gewerkschaft EVG Mitte Mai einen 50stündigen Warnstreik durchsetzen. Das Unternehmen beantragte einen Stopp beim Arbeitsgericht. Kurzerhand setzte die Gewerkschaft den Ausstand aus, da das Arbeitsgericht Frankfurt weitgehend im Sinne des Bahn-Vorstandes argumentierte. Die Machtverteilung wurde auch hier schnell deutlich.
»Wie Rockstars ihre Macht missbrauchen«, schreibt die FAZ. Wie Macht gegen die Beschäftigten genutzt wird, ist der Redaktion keine Schlagzeile wert.