Eigentlich kennen wir sie anders – aus dem, was sie in der DDR an Werken schuf. Doch nun haben wir die Chance, eine bisher kaum bekannte Seite ihres Schaffens zu entdecken.
Jüdische Kinder aus verschiedenen Ländern kamen während des Zweiten Weltkrieges nach Palästina, das unter britischer Verwaltung stand. Der Naziterror hatte sie zur Flucht gezwungen. Nun galt es für sie, die hebräische Sprache zu erlernen. Dafür wurden Bücher gebraucht. Lea Grundig, 1939 aus Deutschland entkommen, kam nach langer Flucht in das britische Internierungslager Atlit und später zu ihrer Schwester nach Haifa. Für die Kinder einer Freundin malte sie dort ein buntes Bilderbuch; dabei entdeckte sie ihre lyrische Begabung. In ihrem Bändchen »Lea Grundig. Kunst für die Menschen« in der Reihe »Jüdische Miniaturen« zitiert Maria Heiner Lea Grundig: »Das erste Buch waren gute Gedichte für Kinder, es war echte Poesie, und ich machte mit großer Sorgfalt dazu Zeichnungen. Niemals hätte ich gedacht, dass ich zu dieser Arbeit befähigt wäre, aber es erwies sich, dass ich es konnte und selbst Freude daran hatte.« Mit farbigen Zeichnungen versah sie dann Leah Goldbergs Buch »Der zerstreute Mann vom Dorf Azar«. Es folgten Illustrationen zu Erzählungen aus dem Polnischen, die der Kinderarzt und Pädagoge Janusz Korczak für Kinder geschrieben hatte, mit denen er im August 1942 in Treblinka ins Gas gegangen war. Aus dem Russischen gab es Texte von Kornej Tschukowski. In dessen Erzählung »Die gestohlene Sonne« verschluckt ein Krokodil die Sonne. Den Tieren gelingt es gemeinsam, dass die Sonne wieder ausgespuckt wird. Lea Grundig hielt sich eng an den Text und brachte es bald zur Meisterschaft beim Illustrieren. Auch das Grimm’sche Märchen von Hänsel und Gretel versah sie mit eindrucksvollen farbigen Zeichnungen. Mit großer Phantasie gestaltete sie ihre Reihe »Sprechende Bäume«. Das Apfelbäumchen ist ein fröhliches tanzendes Mädchen; »Vier Palmen« erscheinen geisterhaft im Mondlicht. Bis 1948 schuf Lea Grundig etwa 350 Buch-illustrationen. Die originalen Druckvorlagen sind verschollen. Maria Heiner gelang es, in israelischen Antiquariaten zwanzig Kinder- und Jugendbücher mit Illustrationen von Lea Grundig zu erwerben. Ihr ist es zu verdanken, dass wir diese Werke heute bewundern können. Schon vor der Gründung des Staates Israel waren diese Kinderbücher von großem Wert; sie gehören zu den Wegbereitern einer jüdisch-israelischen Kultur. Damals herrschte ein großer Bedarf an diesen Werken, die auch zu Schulbüchern wurden. Diese Arbeit Lea Grundigs wurde bisher kaum gewürdigt.
Lea Grundig, 1906 als Leah Langer in Dresden geboren, war ein Mädchen mit starkem Willen. Sie besuchte die Kunstgewerbeakademie ihrer Heimatstadt und wurde später in der Akademie der Bildenden Künste Dresden Meisterschülerin bei Otto Gussmann. Schon damals war sie vor allem bekannt durch klare graphische Schwarzweißarbeiten, die aktuell Terror, Flucht, Verfolgung und Widerstand der Nazizeit darstellten. Sie erhielt Berufsverbot und floh nach Palästina. 1949 kehrte sie in die gerade gegründete DDR zurück zu ihrem Mann Hans Grundig und wurde Professorin an der Dresdner Kunsthochschule. Im Nach»wende«deutschland diffamiert man sie heute noch als »DDR-Chefideologin«.
Die Ärztin Maria Heiner, seit 1963 mit Lea Grundig befreundet, bewahrt ihre Werke und sorgt dafür, dass die Künstlerin nicht vergessen wird. In der Ladengalerie der jungen Welt eröffnete sie am 28. Februar eine Ausstellung mit Reproduktionen der Arbeiten Lea Grundigs unter dem Titel »Karneval der Tiere«. Farbenprächtige, lustige Illustrationen und ein hebräisches Alphabet »Buchstaben erzählen« sind zu bestaunen. Doch es gibt auch Illustrationen zur Geschichte geflüchteter Kinder zu sehen, die sehr betroffen machen, unter anderem für Levin Kipnis Buch »Kinder im Untergrund«. Die Ausstellung zeigt zahlreiche unbekannte Werke. Lea Grundig hatte einmal gesagt: »Ein Kunstwerk, das nie ein Mensch gesehen hat, ist wie ein toter Gegenstand.« Ein Besuch bringt nicht nur Erkenntnisse, sondern auch ästhetischen Gewinn.
»Der Karneval der Tiere, Kinder- und Jugendbuchillustrationen Lea Grundigs aus ihrem Exil 1942 – 1948«, bis 25. April in der Ladengalerie der jungen Welt, Torstraße 6, 10119 Berlin, Mo. – Do. 11 – 18 Uhr, Fr. 10 – 14 Uhr, Eintritt frei