Die Gefahr eines Atomkriegs abzuwenden, muss oberste Priorität aller Politik sein. Ein nukleares Inferno kann das Ende der Menschheit bedeuten. Dieses Risiko gehen jedoch viele Seiten im Krieg in Osteuropa – und auch im Israel-Palästina-Krieg sowie im Konflikt der USA mit China – ein.
Vor Monaten berichteten mehrere Medien wie der Mitteldeutsche Rundfunk (29.2.2024): »Russlands Präsident Wladimir Putin droht einmal mehr mit dem Atomkrieg.« Das ZDF (13.03.24) formulierte ähnlich: »Er hat es wieder getan – Russlands Präsident Wladimir Putin spricht von der Atombombe.« Was er gesagt hatte, war: »Sie müssen doch wissen, dass wir auch Waffen haben, die Ziele auf ihrem Territorium treffen können«, sagte Putin gerichtet an Frankreichs Präsident Macron, der eigene Bodentruppen in der Ukraine nicht ausschloss. Was Wladimir Putin gesagt hatte, war die Warnung, dass eine Eskalation infolge eines Einsatzes von Atomwaffen zur »Auslöschung der Zivilisation« führen könnte. Es handele sich nicht um einen »Trickfilm« (FR, 29.2.2024).
Nun äußerte Präsident Selenskyj beim EU-Gipfel, »Entweder wird die Ukraine Atomwaffen haben oder wir müssen in der Allianz sein« – mit »Allianz« ist die Nato gemeint. Inzwischen rudert Selenskyj wieder etwas zurück: Der Deutschlandfunk berichtete am 19.10.: »Selenskyj stellt klar: ›Streben keine nukleare Bewaffnung an‹.« Diese Nachricht verbinden viele Medien mit Angriffen gegen Russland: Sie ordnen Selenskyjs Worte in diesen Kontext ein: Putin habe mit der Invasion in die Ukraine ein »russisches Versprechen aus dem Jahr 1994 gebrochen« (WAZ, 19.10.2024). Gemeint ist hier das Budapester Memorandum, in dem die Ukraine, damals die drittgrößte Atommacht der Erde, ihre nuklearen Arsenale aufgegeben und an Russland zurückgegeben hatte. Diese Aufgabe der ukrainischen Atommacht erfolgte in Verbindung mit der Garantie gegenüber der Ukraine, ihr nach dem Budapester Memorandum von 1994 Sicherheit innerhalb ihrer staatlichen Grenzen zu garantieren. Damit habe, so die Westpresse, Russland bereits mit der Annexion der Krim am 18. März 2014 gebrochen.
Diese Darstellung ignoriert, dass diesem Rechtsbruch der russischen Seite der durch die USA gestützte Rechtsbruch in Kiew im Februar 2014 der – wie u. a. das Telefonat von Frau Nuland mit dem US-Botschafter in Kiew im Februar 2014 zeigte – von der westlichen Seite gestützte Putsch gegen die rechtmäßige und neutralitäts-orientierte Janukowitsch-Regierung vorausging.
Die daraufhin erfolgte West- und Nato-Orientierung der sogenannten Übergangsregierung Jazenjuk bricht mit dem Budapester Memorandum: Es schreibt eine Friedensordnung der gemeinsamen, weil gegenseitigen Sicherheit vor, wie sie Olof Palme und Michail Gorbatschow anstrebten, also auch ohne die Androhung von Gewalt. Die Nato-Ostexpansion in Kombination mit der Strategie der Abschreckung und der Stationierung offensiver Waffen, die auch die Sicherheit Russlands gefährden können, sind das genaue Gegenteil.
Im Budapester Memorandum von 1994 verpflichteten sich die Russische Föderation, das Vereinigte Königreich Großbritannien mit Nordirland und den Vereinigten Staaten von Amerika, »im Einklang mit den Grundsätzen der KSZE-Schlussakte die Unabhängigkeit und Souveränität sowie die bestehenden Grenzen der Ukraine zu achten«.
Wichtig sind hier die Grundsätze der KSZE-Schlussakte als Rahmen und Grundlage der Vereinbarung: Sie sehen im Einzelnen vor, dass die Staaten ihr Ziel bekräftigen, »bessere Beziehungen untereinander zu fördern und Bedingungen zu schaffen, unter denen ihre Völker in (…) dauerhaftem Frieden leben können, der frei ist von jeder Bedrohung oder von jedem Versuch, ihre Sicherheit zu gefährden;
in der Überzeugung, dass Anstrengungen zu unternehmen sind, um die Entspannung sowohl zu einem kontinuierlichen als auch zu einem immer tragfähigeren und umfassenderen Prozess von universeller Tragweite zu machen,
in der Erwägung, dass die Solidarität zwischen den Völkern sowie die gemeinsame Absicht der Teilnehmerstaaten, die von der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa festgelegten Ziele zu erreichen, zur Entwicklung besserer und engerer Beziehungen zwischen ihnen
und damit zur Überwindung der aus dem Charakter ihrer früheren (…) Konfrontation sowie zu einem besseren gegenseitigen Verständnis führen sollten« (Übersetzung: B.T. mit Hilfe von DeepL.com).
Wenn die Ukraine nun wieder nach den Verletzungen dieser verbindlichen Prinzipien nach Atomwaffen greift, sollte ihr der Mitgliedschaft der Nato nicht ermöglicht werden.
Die Neutralität der Ukraine ist auch das Gebot selbst der Nato-Russland-Grundakte, die statt der militärischen Konfrontation durch einen Block wie die Nato auf die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa »als einziger gesamteuropäischer Sicherheitsorganisation« setzt, um die Spaltung des Kalten Krieges nicht wieder neu entstehen zu lassen: »… ausgehend von dem Grundsatz, dass die Sicherheit aller Staaten in der euro-atlantischen Gemeinschaft unteilbar ist, werden die Nato und Russland zusammenarbeiten, um einen Beitrag dazu zu leisten, dass in Europa gemeinsame und umfassende Sicherheit auf der Grundlage des Bekenntnisses zu gemeinsamen Werten, Verpflichtungen und Verhaltensnormen im Interesse aller Staaten geschaffen wird.
Die Nato und Russland werden zur Stärkung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) beitragen, darunter auch zur Weiterentwicklung ihrer Rolle als eines der Hauptinstrumente für präventive Diplomatie, Konfliktverhütung, Krisenbewältigung, Normalisierungsmaßnahmen nach einem Konflikt und regionale Sicherheitszusammenarbeit, und die Verbesserung ihrer operationellen Fähigkeiten zur Durchführung dieser Aufgaben unterstützen.«
In diesen Zusammenhang ist es einzuordnen, dass Wladimir Putin im Jahr 2000 laut FAZ vom 25.2.2021die Frage der Mitgliedschaft Russlands in der Nato an US-Präsident Clinton herangetragen haben soll.
Nun, ein knappes Vierteljahrhundert später taumeln die Militärexperten und ihre Lobby in die Richtung, vor der US-Präsident Kennedy nach der Kuba-Krise warnte, als die USA mit dem Atomkrieg gedroht hatten, wenn die Sowjetunion nicht ihre nuklearen Arsenale von Kuba, also unweit der USA, abzieht. Kennedy zog aus der Gefahr, die damals vor der Menschheit stand, in seiner Friedensrede vom 10. Juni 1963 diese Schlussfolgerung, die seine Nachfolger vergessen machen: »Vor allem müssen Atommächte (…) solche Konfrontationen vermeiden, die einem Gegner nur die Wahl eines demütigenden Rückzugs oder eines Atomkriegs lassen. Wenn man im Atomzeitalter den letzteren Kurs einschlagen wollte, dann wäre dies (…) der Bankrott unserer Politik.«
Die Aufgabe, genau diesen Abgrund zu verhindern, steht jetzt vor den Kräften, die sich für Frieden einsetzen.