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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Atomdrohungen

Die Gefahr eines Atom­kriegs abzu­wen­den, muss ober­ste Prio­ri­tät aller Poli­tik sein. Ein nuklea­res Infer­no kann das Ende der Mensch­heit bedeu­ten. Die­ses Risi­ko gehen jedoch vie­le Sei­ten im Krieg in Ost­eu­ro­pa – und auch im Isra­el-Palä­sti­na-Krieg sowie im Kon­flikt der USA mit Chi­na – ein.

Vor Mona­ten berich­te­ten meh­re­re Medi­en wie der Mit­tel­deut­sche Rund­funk (29.2.2024): »Russ­lands Prä­si­dent Wla­di­mir Putin droht ein­mal mehr mit dem Atom­krieg.« Das ZDF (13.03.24) for­mu­lier­te ähn­lich: »Er hat es wie­der getan – Russ­lands Prä­si­dent Wla­di­mir Putin spricht von der Atom­bom­be.« Was er gesagt hat­te, war: »Sie müs­sen doch wis­sen, dass wir auch Waf­fen haben, die Zie­le auf ihrem Ter­ri­to­ri­um tref­fen kön­nen«, sag­te Putin gerich­tet an Frank­reichs Prä­si­dent Macron, der eige­ne Boden­trup­pen in der Ukrai­ne nicht aus­schloss. Was Wla­di­mir Putin gesagt hat­te, war die War­nung, dass eine Eska­la­ti­on infol­ge eines Ein­sat­zes von Atom­waf­fen zur »Aus­lö­schung der Zivi­li­sa­ti­on« füh­ren könn­te. Es han­de­le sich nicht um einen »Trick­film« (FR, 29.2.2024).

Nun äußer­te Prä­si­dent Selen­skyj beim EU-Gip­fel, »Ent­we­der wird die Ukrai­ne Atom­waf­fen haben oder wir müs­sen in der Alli­anz sein« – mit »Alli­anz« ist die Nato gemeint. Inzwi­schen rudert Selen­skyj wie­der etwas zurück: Der Deutsch­land­funk berich­te­te am 19.10.: »Selen­skyj stellt klar: ›Stre­ben kei­ne nuklea­re Bewaff­nung an‹.« Die­se Nach­richt ver­bin­den vie­le Medi­en mit Angrif­fen gegen Russ­land: Sie ord­nen Selen­sky­js Wor­te in die­sen Kon­text ein: Putin habe mit der Inva­si­on in die Ukrai­ne ein »rus­si­sches Ver­spre­chen aus dem Jahr 1994 gebro­chen« (WAZ, 19.10.2024). Gemeint ist hier das Buda­pe­ster Memo­ran­dum, in dem die Ukrai­ne, damals die dritt­größ­te Atom­macht der Erde, ihre nuklea­ren Arse­na­le auf­ge­ge­ben und an Russ­land zurück­ge­ge­ben hat­te. Die­se Auf­ga­be der ukrai­ni­schen Atom­macht erfolg­te in Ver­bin­dung mit der Garan­tie gegen­über der Ukrai­ne, ihr nach dem Buda­pe­ster Memo­ran­dum von 1994 Sicher­heit inner­halb ihrer staat­li­chen Gren­zen zu garan­tie­ren. Damit habe, so die West­pres­se, Russ­land bereits mit der Anne­xi­on der Krim am 18. März 2014 gebrochen.

Die­se Dar­stel­lung igno­riert, dass die­sem Rechts­bruch der rus­si­schen Sei­te der durch die USA gestütz­te Rechts­bruch in Kiew im Febru­ar 2014 der – wie u. a. das Tele­fo­nat von Frau Nuland mit dem US-Bot­schaf­ter in Kiew im Febru­ar 2014 zeig­te – von der west­li­chen Sei­te gestütz­te Putsch gegen die recht­mä­ßi­ge und neu­tra­li­täts-ori­en­tier­te Janu­ko­witsch-Regie­rung vorausging.

Die dar­auf­hin erfolg­te West- und Nato-Ori­en­tie­rung der soge­nann­ten Über­gangs­re­gie­rung Jazen­juk bricht mit dem Buda­pe­ster Memo­ran­dum: Es schreibt eine Frie­dens­ord­nung der gemein­sa­men, weil gegen­sei­ti­gen Sicher­heit vor, wie sie Olof Pal­me und Michail Gor­bat­schow anstreb­ten, also auch ohne die Andro­hung von Gewalt. Die Nato-Ost­ex­pan­si­on in Kom­bi­na­ti­on mit der Stra­te­gie der Abschreckung und der Sta­tio­nie­rung offen­si­ver Waf­fen, die auch die Sicher­heit Russ­lands gefähr­den kön­nen, sind das genaue Gegenteil.

Im Buda­pe­ster Memo­ran­dum von 1994 ver­pflich­te­ten sich die Rus­si­sche Föde­ra­ti­on, das Ver­ei­nig­te König­reich Groß­bri­tan­ni­en mit Nord­ir­land und den Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka, »im Ein­klang mit den Grund­sät­zen der KSZE-Schluss­ak­te die Unab­hän­gig­keit und Sou­ve­rä­ni­tät sowie die bestehen­den Gren­zen der Ukrai­ne zu achten«.

Wich­tig sind hier die Grund­sät­ze der KSZE-Schluss­ak­te als Rah­men und Grund­la­ge der Ver­ein­ba­rung: Sie sehen im Ein­zel­nen vor, dass die Staa­ten ihr Ziel bekräf­ti­gen, »bes­se­re Bezie­hun­gen unter­ein­an­der zu för­dern und Bedin­gun­gen zu schaf­fen, unter denen ihre Völ­ker in (…) dau­er­haf­tem Frie­den leben kön­nen, der frei ist von jeder Bedro­hung oder von jedem Ver­such, ihre Sicher­heit zu gefährden;

in der Über­zeu­gung, dass Anstren­gun­gen zu unter­neh­men sind, um die Ent­span­nung sowohl zu einem kon­ti­nu­ier­li­chen als auch zu einem immer trag­fä­hi­ge­ren und umfas­sen­de­ren Pro­zess von uni­ver­sel­ler Trag­wei­te zu machen,

in der Erwä­gung, dass die Soli­da­ri­tät zwi­schen den Völ­kern sowie die gemein­sa­me Absicht der Teil­neh­mer­staa­ten, die von der Kon­fe­renz über Sicher­heit und Zusam­men­ar­beit in Euro­pa fest­ge­leg­ten Zie­le zu errei­chen, zur Ent­wick­lung bes­se­rer und enge­rer Bezie­hun­gen zwi­schen ihnen

und damit zur Über­win­dung der aus dem Cha­rak­ter ihrer frü­he­ren (…) Kon­fron­ta­ti­on sowie zu einem bes­se­ren gegen­sei­ti­gen Ver­ständ­nis füh­ren soll­ten« (Über­set­zung: B.T. mit Hil­fe von DeepL.com).

Wenn die Ukrai­ne nun wie­der nach den Ver­let­zun­gen die­ser ver­bind­li­chen Prin­zi­pi­en nach Atom­waf­fen greift, soll­te ihr der Mit­glied­schaft der Nato nicht ermög­licht werden.

Die Neu­tra­li­tät der Ukrai­ne ist auch das Gebot selbst der Nato-Russ­land-Grund­ak­te, die statt der mili­tä­ri­schen Kon­fron­ta­ti­on durch einen Block wie die Nato auf die Orga­ni­sa­ti­on für Sicher­heit und Zusam­men­ar­beit in Euro­pa »als ein­zi­ger gesamt­eu­ro­päi­scher Sicher­heits­or­ga­ni­sa­ti­on« setzt, um die Spal­tung des Kal­ten Krie­ges nicht wie­der neu ent­ste­hen zu las­sen: »… aus­ge­hend von dem Grund­satz, dass die Sicher­heit aller Staa­ten in der euro-atlan­ti­schen Gemein­schaft unteil­bar ist, wer­den die Nato und Russ­land zusam­men­ar­bei­ten, um einen Bei­trag dazu zu lei­sten, dass in Euro­pa gemein­sa­me und umfas­sen­de Sicher­heit auf der Grund­la­ge des Bekennt­nis­ses zu gemein­sa­men Wer­ten, Ver­pflich­tun­gen und Ver­hal­tens­nor­men im Inter­es­se aller Staa­ten geschaf­fen wird.

Die Nato und Russ­land wer­den zur Stär­kung der Orga­ni­sa­ti­on für Sicher­heit und Zusam­men­ar­beit in Euro­pa (OSZE) bei­tra­gen, dar­un­ter auch zur Wei­ter­ent­wick­lung ihrer Rol­le als eines der Haupt­in­stru­men­te für prä­ven­ti­ve Diplo­ma­tie, Kon­flikt­ver­hü­tung, Kri­sen­be­wäl­ti­gung, Nor­ma­li­sie­rungs­maß­nah­men nach einem Kon­flikt und regio­na­le Sicher­heits­zu­sam­men­ar­beit, und die Ver­bes­se­rung ihrer ope­ra­tio­nel­len Fähig­kei­ten zur Durch­füh­rung die­ser Auf­ga­ben unterstützen.«

In die­sen Zusam­men­hang ist es ein­zu­ord­nen, dass Wla­di­mir Putin im Jahr 2000 laut FAZ vom 25.2.2021die Fra­ge der Mit­glied­schaft Russ­lands in der Nato an US-Prä­si­dent Clin­ton her­an­ge­tra­gen haben soll.

Nun, ein knap­pes Vier­tel­jahr­hun­dert spä­ter tau­meln die Mili­tär­ex­per­ten und ihre Lob­by in die Rich­tung, vor der US-Prä­si­dent Ken­ne­dy nach der Kuba-Kri­se warn­te, als die USA mit dem Atom­krieg gedroht hat­ten, wenn die Sowjet­uni­on nicht ihre nuklea­ren Arse­na­le von Kuba, also unweit der USA, abzieht. Ken­ne­dy zog aus der Gefahr, die damals vor der Mensch­heit stand, in sei­ner Frie­dens­re­de vom 10. Juni 1963 die­se Schluss­fol­ge­rung, die sei­ne Nach­fol­ger ver­ges­sen machen: »Vor allem müs­sen Atom­mäch­te (…) sol­che Kon­fron­ta­tio­nen ver­mei­den, die einem Geg­ner nur die Wahl eines demü­ti­gen­den Rück­zugs oder eines Atom­kriegs las­sen. Wenn man im Atom­zeit­al­ter den letz­te­ren Kurs ein­schla­gen woll­te, dann wäre dies (…) der Bank­rott unse­rer Politik.«

Die Auf­ga­be, genau die­sen Abgrund zu ver­hin­dern, steht jetzt vor den Kräf­ten, die sich für Frie­den einsetzen.