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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Atombomber? Nein Danke!

Ein The­ma hat es trotz der vom Coro­na­vi­rus bestimm­ten öffent­li­chen Debat­te über­ra­schen­der­wei­se mehr­fach in die Medi­en geschafft: die nuklea­re Teil­ha­be der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. So brach­te das ARD-Polit-Maga­zin Moni­tor am 28. Mai einen län­ge­ren Bei­trag »Nuklea­re Auf­rü­stung: Deutsch­lands ›Teil­ha­be‹ bei Atom­krie­gen«. Zu der wich­ti­gen bun­des­wei­ten Dis­kus­si­on haben sicher­lich erste Pro­te­ste bei­getra­gen, die sich gegen die Plä­ne von »Verteidigungs«ministerin Anne­gret Kramp-Kar­ren­bau­er rich­ten, über die Hälf­te der geal­ter­ten deut­schen Luft­waf­fe durch neue Kampf­flug­zeu­ge zu ersetzen.

Für 7,5 Mil­li­ar­den Euro, die allein die 30 Kampf­jets vom Typ F-18 kosten sol­len, könn­te Deutsch­land laut einem aktu­el­len Bericht der Inter­na­tio­na­len Ärz­te zur Ver­hü­tung des Atom­krie­ges (IPPNW) 100.000 Bet­ten auf Inten­siv­sta­tio­nen, 30.000 Beatmungs­ge­rä­te und das Jah­res­ge­halt für 25.000 Ärz­te und 60.000 Kran­ken­schwe­stern zahlen.

Die NATO ver­fügt der­zeit nach Recher­chen des NATO-nahen Inter­na­tio­nal Insti­tu­te for Stra­te­gic Stu­dies über 6227 Kampf­flug­zeu­ge (davon allein 2346 in Euro­pa); ihr Gegen­über, die von Russ­land geführ­te Orga­ni­sa­ti­on des Ver­trags über Kol­lek­ti­ve Sicher­heit (OVKS), über gera­de 1638. Auch unter die­sem Aspekt ist die Auf­rü­stung mit neu­en Atom­bom­bern über­flüs­sig und ein­deu­tig abzu­leh­nen. Die Span­nun­gen in Euro­pa gegen­über Russ­land dro­hen sich damit in unver­ant­wort­li­cher Wei­se zu ver­schär­fen. Ab 2024 sol­len außer­dem die im rhein­land-pfäl­zi­schen Büchel zur­zeit lagern­den 20 Fall­bom­ben so rund­erneu­ert sein, dass sie prä­zi­se ins Ziel gelenkt und gegen unter­ir­di­sche Ver­bun­ke­run­gen ein­ge­setzt wer­den kön­nen. Die­ses aggres­si­ve NATO-Kon­zept erhöht die Gefahr eines Atom­krie­ges in Euro­pa immens.

Im Auf­trag des Bre­mer Frie­dens­fo­rums, der IALANA Bre­men, der IPPNW Bre­men, der DFG-VK Bre­men und für #auf­ste­hen Bre­men hat der Bre­mer Anwalt Vol­kert Ohm am 3. Mai einen Offe­nen Brief an die bre­mi­schen Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Doris Achel­wilm (Die Lin­ke), Sarah Ryglew­ski (SPD), Uwe Schmidt (SPD), Eli­sa­beth Mot­sch­mann (CDU), Kir­sten Kap­pert-Gon­ther (Bündnis90/​Die Grü­nen) und Frank Magnitz (AfD) geschickt: »Wider­set­zen Sie sich dem Kauf von F-18-Jets!« Die Bre­mer Orga­ni­sa­tio­nen sehen ihren Brief als Unter­stüt­zung für die bereits von der Inter­na­tio­na­len Kam­pa­gne zur Abschaf­fung von Atom­waf­fen (ICAN; Frie­dens­no­bel­preis 2017) ein­ge­lei­te­ten Akti­vi­tä­ten gegen die geplan­te Bom­ber­be­schaf­fung, sie­he auch: https://weact.campact.de/petitions/atombomber-nein-danke.

In dem Schrei­ben wer­den die Abge­ord­ne­ten gebe­ten, sich dem Kauf im Rah­men künf­ti­ger Haus­halts­be­ra­tun­gen zu wider­set­zen, im Bun­des­tag erneut auf eine Umset­zung des Beschlus­ses vom 23. März 2010 zum Abzug der US-Atom­waf­fen von deut­schem Boden zu drän­gen und sich in ihrer Frak­ti­on und auch inter­frak­tio­nell für einen Bei­tritt Deutsch­lands zum UN-Atom­waf­fen­ver­bots­ver­trag ein­zu­set­zen. Der Ver­trag über das Ver­bot von Atom­waf­fen wur­de 2017 bei den Ver­ein­ten Natio­nen von 122 Staa­ten ver­ab­schie­det und ver­bie­tet den Ein­satz, den Besitz, die Sta­tio­nie­rung und den Trans­fer von Atom­waf­fen auf­grund der kata­stro­pha­len huma­ni­tä­ren Gefah­ren und des aner­kann­ten Risi­kos ihres Ein­sat­zes, ob absicht­lich oder ver­se­hent­lich. Sobald 50 Län­der das Abkom­men rati­fi­ziert haben, wird es inter­na­tio­na­les Recht. Bis­her haben es 37 Staa­ten rati­fi­ziert, der Pro­zess läuft, und Ende des Jah­res soll­te der Ver­trag in Kraft tre­ten kön­nen. Fünf­und­acht­zig deut­sche Städ­te, dar­un­ter 15 von 16 Lan­des­haupt­städ­ten, for­dern die Bun­des­re­gie­rung auf, dem Atom­waf­fen­ver­bot beizutreten.

Vor zehn Jah­ren dis­ku­tier­te der Bun­des­tag bereits über die »nuklea­re Teil­ha­be Deutsch­lands« und for­der­te in einem inter­frak­tio­nel­len Beschluss die Bun­des­re­gie­rung auf, sich mit Nach­druck für den Abzug der US-Atom­bom­ben aus Büchel ein­zu­set­zen. Die­se sol­len von deut­schen Pilo­ten im Kriegs­fall mit Tor­na­do­flug­zeu­gen auf Zie­le in Ost­eu­ro­pa abge­wor­fen wer­den, jeweils mit einer Spreng­kraft grö­ßer als der in Hiro­shi­ma und Naga­sa­ki ver­wen­de­ten Bom­ben. Gegen sol­che Art Betei­li­gung an einem nuklea­ren Infer­no, 1958 von der CDU unter Kon­rad Ade­nau­er durch­ge­setzt, gab es von Anfang an hef­ti­gen Widerstand.

Eine kla­re Mehr­heit der deut­schen Bevöl­ke­rung will kei­nen Krieg und kei­ne Atom­waf­fen, son­dern Abrü­stung die­ser ver­hee­ren­den Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen, die die Welt seit Jahr­zehn­ten bedro­hen. In einer aktu­el­len reprä­sen­ta­ti­ven Umfra­ge von You­Gov vom April leh­nen 61 Pro­zent der Befrag­ten den Kauf neu­er atom­waf­fen­fä­hi­ger Kampf­jets ab, nur 18 Pro­zent befür­wor­ten die Aus­ga­ben, 21 Pro­zent haben kei­ne Mei­nung. Bei den Wäh­lern aller Bun­des­tags­frak­tio­nen gibt es eine Mehr­heit gegen die Atom­bom­ber, am höch­sten ist die Ableh­nung bei den Lin­ken und den Grü­nen (jeweils 82 Prozent).

Die voll­stän­di­ge Abrü­stung aller Nukle­ar­waf­fen ist auch ver­trag­li­che Pflicht aller Staa­ten, die den Atom­waf­fen­sperr­ver­trag unter­zeich­net haben. Deutsch­land hat dar­in auf jeg­li­che Ver­fü­gungs­ge­walt über Atom­waf­fen ver­zich­tet und hat die­sen Ver­zicht mit dem 2+4-Vertrag bekräf­tigt. Der Atom­waf­fen-Ein­satz mit Hil­fe deut­scher Tor­na­dos ist damit illegal.

Die Bre­mer Frie­dens­grup­pen pro­te­stie­ren dage­gen, dass Euro­pa in den stra­te­gi­schen Pla­nun­gen der USA zum ato­ma­ren Schlacht­feld gemacht wird. »Wir for­dern nuklea­re Abrü­stung und kol­lek­ti­ve Sicher­heit unter Ein­schluss aller euro­päi­schen Staa­ten. Wir for­dern eine Been­di­gung der nuklea­ren Teil­ha­be und den Abzug der US-Atom­bom­ben aus Büchel, und wir for­dern im Ein­klang mit der Mehr­heit der deut­schen Bevöl­ke­rung, dass Deutsch­land dem Atom­waf­fen­ver­bots­ver­trag bei­tritt«, heißt es in dem Brief an die bre­mi­schen Bundestagsabgeordneten.

Erste Reak­tio­nen von Sarah Ryglew­ski, Uwe Schmidt und Doris Achel­wilm sind auf der Web­site des Bre­mer Frie­dens­fo­rums doku­men­tiert (https://www.bremerfriedensforum.de). Es ist sehr begrü­ßens­wert, dass der SPD-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de im Deut­schen Bun­des­tag, Rolf Müt­zenich, und Tei­le der SPD-Füh­rung sich gegen die Fort­set­zung der tech­nisch-nuklea­ren Teil­ha­be aus­ge­spro­chen haben. Sie haben in die­ser Fra­ge unse­re Soli­da­ri­tät ver­dient. Aller­dings las­sen die Ant­wor­ten der bre­mi­schen SPD-Abge­ord­ne­ten kei­ne gro­ßen Hoff­nun­gen auf­kom­men: So bezieht Uwe Schmidt kei­ne ein­deu­ti­ge Posi­ti­on, weder gegen eine Anschaf­fung der F18 noch gegen eine wei­te­re nuklea­re Teil­ha­be. Er ver­mel­det aber: »In der Koali­ti­on sind wir uns einig, dass es einen Nach­fol­ger für den Tor­na­do geben muss.«

Die Frie­dens­be­we­gung kommt – auch im Hin­blick auf die Bun­des­tags­wahl – nicht umhin, sich immer wie­der neu mit der Ideo­lo­gie der Kal­ten Krie­ger zu befas­sen und von den Par­tei­en einen grund­le­gen­den Wan­del in der deut­schen und euro­päi­schen Außen- und Auf­rü­stungs­po­li­tik zu for­dern, zum Bei­spiel durch Dis­kurs und Koope­ra­ti­on im Rah­men der OECD, Ende der Sank­tio­nen gegen Russ­land oder Ende der Ein­mi­schung in des­sen inne­re Angelegenheiten.