Zurzeit finden wieder Prozesse zum zivilen Ungehorsam am Atomwaffenstützpunkt Büchel vor dem Amtsgericht Cochem und dem Landgericht Koblenz statt. Hintergrund ist ein erneutes Eindringen in den Atomwaffenstützpunkt Büchel am 8. Mai 2023 (Tag der Befreiung vom Krieg) durch eine siebenköpfige Gruppe. Sie spazierten damals gemeinsam durch das offene Baustellentor, einige ließen sich hinter dem Zaun auf der Zufahrtsstraße nieder, zwei Aktivisten gelangten bis zur Baustelle, verteilten Informationsblätter und diskutierten bis zu ihrer Verhaftung mit den dort Beschäftigten. Gegenwärtig wird nämlich der Atomwaffenstützpunkt Büchel in der Eifel zu einem »modernen« Hochsicherheitsbereich ausgebaut, die Landebahn wegen der neu anzuschaffenden F 16 deutlich verlängert und die Bunker, in denen demnächst die neuen moderneren Atomwaffen lagern werden, von Grund auf erneuert. Die deutsche Regierung ist also aktiv an der gegenwärtigen atomaren Aufrüstung beteiligt. Dafür werden Milliarden Euro ausgegeben, die für Lösungen dringender gesellschaftlicher Probleme nun fehlen. Die AktivistInnen rechtfertigen ihr Vorgehen mit dem fortgesetzten Völkerrechtsbruch und der Grundgesetzwidrigkeit der atomaren Teilhabe Deutschlands.
Das Völkerrecht verbietet den Einsatz und die Drohung mit dem Einsatz dieses gefährlichen Massentötungsmittels ohne Wenn und Aber. Das wurde schon 1996 vom Internationalen Gerichtshof (IGH) in einem Rechtsgutachten klar bestätigt. Das Üben eines Atomwaffeneinsatzes, wie es jeden Tag deutsche Soldaten praktizieren, stellt eine solche Drohung dar. Denn es wäre widersinnig, diesen Einsatz mit hohen Kosten für Material, menschlichen Ressourcen und zum Schaden für Umwelt und Natur zu üben, ohne sie jemals einsetzen zu wollen.
Im Rahmen der atomaren Teilhabe ist geplant, dass deutsche Soldaten nach Freigabe durch den amerikanischen Präsidenten diese Atomwaffen annehmen und darüber zu verfügen. Im NPT-Vertrag von 1968 hat sich allerdings Deutschland als erklärter Nicht-Atomwaffenstaat verpflichtet Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper weder herzustellen noch sonst wie zu erwerben und keine Unterstützung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern zu suchen oder anzunehmen. Im Einigungsvertrag wurde diese Verpflichtung noch einmal vertraglich bekräftigt.
Mit der einseitigen Zulassung, neue weitaus gefährlichere und für die andere Seite weniger einschätzbare Atomwaffen auf deutschen Boden zu stationieren, unterläuft die Bundesregierung auch den Artikel 6 des NPT-Vertrages, in dem sich alle Atomwaffenstaaten und ihre Vasallen verpflichtet haben, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle zu sorgen.
Die Bundesregierung und das Militär rechtfertigen ihre Atomwaffenpolitik mit der Wirksamkeit und Sicherheit einer atomaren Abschreckung. Es ist mittlerweile propagierte unumstößliche »Staatsräson«, dass unsere militärische Sicherheit auf den amerikanischen atomaren Schutzschirm beruhen soll. Wir seien sogar im Rahmen des Nato-Vertrages geradezu gezwungen, »unseren« Beitrag zu diesem »Schutz« zu leisten. Wie brüchig diese Rechtfertigung ist, zeigt sich schon daran, dass die atomare Abschreckung in recht stabilen politischen Verhältnissen kaum funktioniert und wir mehrmals in Europa am Abgrund eines Atomwaffeneinsatzes mit all seinen katastrophalen humanitären Folgen gestanden haben. Heute, in immer unübersichtlichen Krisen- und zunehmenden Spannungsverhältnissen, mit einem Stellvertreterkrieg zwischen den wichtigsten Atommächten in Europa (z. B. Ukrainekrieg), mit der fortschreitenden Technologie wie Hyperschallwaffen, geringeren Vorwarnzeiten und einer zunehmend benutzten KI-Technologie wird diese Abschreckungsideologie endgültig zu einer Sicherheits-Schimäre. Einige politische Kräfte, wie neulich wieder die SPD und Grünen-Spitzenpolitiker zu den Europawahlen, fordern deshalb sogar eine eigene EU-Atombombe. Dass diese Diskussion gefährlich, bei ihrer Umsetzung den NPT-Vertrag und das Völkerrecht endgültig zunichtemachen und die praktische Realisierung uns Milliarden kosten würden, dämmert auch langsam der bisher zustimmenden Parteibasis.
Völlig aus der Diskussion ausgeblendet wird der seit 3 Jahren bestehende UN-Atomwaffenverbotsvertrag, der als ernstzunehmende Alternative zur gegenwärtigen atomaren Teilhabepolitik gewertet und den Weg zu mehr Sicherheit und einer »atomwaffenfreien Welt« ermöglichen würde. Nur der Beitritt zu diesem Vertrag, den schon 3 Nato-Länder vollzogen haben, ohne dass deren Nato-Mitgliedschaft tangiert wurde, würde mit dem Friedensgebot des Grundgesetzes in Übereinstimmung stehen. Denn neben dem Völkerrecht bricht die deutsche Atomwaffenpolitik mit ihrer atomaren Teilhabe den Artikel 25 GG, der besagt, dass die Einhaltung des Völkerrechts Pflicht eines jeden Bürgers der Bundesrepublik Deutschland ist und jedem erlassenen nationalen Gesetz einer Bundesregierung vorangehen muss. Weitere Artikel wie die Grundrechte auf Würde (Artikel 1 GG), das Leben (Artikel 2 GG) und die Gesundheit (Artikel 6 GG), die für alle Menschen gelten (auch für die des militärischen Gegners) werden durch die gegenwärtige Atomwaffenaufrüstungspolitik berührt. Ganz zu schweigen, dass wie in der Klimapolitik das Nachhaltigkeitsprinzip nach Artikel 20a des Grundgesetzes gebrochen wird. Was für die Klimapolitik gilt, lässt sich auch für die Atomwaffenpolitik nachweisen.
Auf die gefährliche, uns alle gegenwärtig bedrohende Atomwaffenpolitik der Bundesregierung berufen sich die AktivistInnen in ihren aufgezwungenen Prozessen. Sie drängen in ihren Prozessen die sie verurteilenden Richter/innen dazu, sich endlich mit diesen Völkerrechtsnormen auseinanderzusetzen und zumindest die Verantwortung für eine Eingabe an das Bundesverfassungsgericht zu übernehmen, statt immer wieder in Fließbandurteilen zunehmend höhere Geldstrafen zu verhängen. Bisher haben über 100 Personen Prozesse mit dem Slogan: Atomwaffen auf der Klagebank wegen ihres zivilen Ungehorsams geführt und sind mit empfindlichen Geldstrafen wegen ihres gewaltfreien Widerstandes belegt worden. Einige setzen ihren Protest auch als »Mahnwache hinter Gittern« fort. Zurzeit sitzt die Amerikanerin aus Kalifornien Susan Crane für 229 Tage, die Niederländerin Susan van der Hijden für 110 Tage in der JVA Rohrbach, Gerd Büntzly aus Herford wird ihnen für 90 Tage ins Gefängnis folgen. Zum Haftantritt der beiden Susans fand vom 30.5.-4.6.24 ein Pilgerweg von Büchel zum Gefängnis Rohrbach (bei Mainz) statt. Mahnwachen, selbstständige Aktionen und auch individuelle Briefe sind gute Unterstützungsmaßnahmen und drücken die Solidarität mit zivilem Ungehorsam gegen das atomare Unrecht aus.
Nähere Informationen über Ernst-Ludwig Iskenius: iskenius@ippnw.de.