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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Asse II: Persilschein für Atomwissenschaftler

In den letz­ten Wochen wur­de in der Atom­müll-Schacht­an­la­ge Asse II ein deut­lich erhöh­ter Lau­gen­zu­fluss fest­ge­stellt, mel­de­te Mit­te Janu­ar die Bun­des­ge­sell­schaft für End­la­ge­rung (BGE), seit April 2017 Betrei­be­rin der Anla­ge (https://t1p.de/asselauge2019). Täg­lich wer­den etwa 14 statt vor­her zwölf Kubik­me­ter gesät­tig­te Salz­lö­sung auf­ge­fan­gen und müs­sen regel­mä­ßig abtrans­por­tiert werden.

So weit, so miss­lich: Mit Was­ser in einem Salz­berg­werk ist nicht zu spa­ßen, erst recht nicht, wenn 50.000 Kubik­me­ter Atom­müll ein­ge­la­gert sind. Doch die Lau­gen­zu­flüs­se in Asse II haben eine län­ge­re Geschich­te als bis­her ange­nom­men, und auch der Umgang der BGE mit die­ser alten Geschich­te ist wenig vorbildhaft.

Bis­lang war man davon aus­ge­gan­gen, dass erst seit dem Jahr 1988 Salz­lau­ge in die Schacht­an­la­ge Asse II hin­ein­läuft, also erst seit zehn Jah­ren nach dem Ende der Ein­la­ge­rung von Atom­müll. »Hät­te man nicht so etwas ahnen müs­sen?«, wur­de viel­fach gefragt – und die­se Fra­ge mit einem Ach­sel­zucken beant­wor­tet: Wer konn­te das schon im Vor­aus wissen?

Wie ein kürz­lich von Bür­ger­initia­ti­ven gründ­lich ana­ly­sier­tes Pro­to­koll vom 3. März 1964 (https://t1p.de/asse2-1964) offen­bart, wuss­ten sowohl das west­deut­sche For­schungs­mi­ni­ste­ri­um als auch die Kern­for­schungs­ge­sell­schaft Karls­ru­he nach einer Befah­rung der Schacht­an­la­ge am 29. Janu­ar 1964 durch­aus von einer erheb­li­chen Was­ser­pro­ble­ma­tik! Mehr als drei Jah­re bevor 1967 das erste Atom­müll­fass Hun­der­te von Metern in den Unter­grund gebracht wur­de, war bereits fest­ge­hal­ten wor­den: Täg­lich drin­gen drei Kubik­me­ter Was­ser ein.

Der Vor­gang im Detail: Am 29. Janu­ar 1964 hat­ten Wis­sen­schaft­ler (die männ­li­che Form ist hier 100 Pro­zent kor­rekt) des For­schungs­mi­ni­ste­ri­ums, der Gesell­schaft für Kern­for­schung Karls­ru­he (GfK) und eini­ge Her­ren des dama­li­gen Eigen­tü­mers, der Win­ters­hall AG, die Schacht­an­la­ge Asse II besich­tigt. Sie woll­ten fest­stel­len, ob das aus­ge­beu­te­te Kali- und Stein­salz­berg­werk für die Depo­nie­rung von Atom­müll geeig­net sei.

Notiert wur­de, dass pro Minu­te cir­ca zwei Liter Was­ser durch den Schacht hin­ein­lau­fen. Umge­rech­net sind das etwa drei Kubik­me­ter pro Tag. Doch kön­ne man den Was­ser­zu­lauf per Zemen­tie­rung ein­däm­men, wur­de fest­ge­hal­ten – wei­ter sorg­te man sich nicht um den Ver­bleib die­ses Was­sers. Ob man wohl hoff­te, es wür­de ent­ge­gen der Schwer­kraft wie­der nach oben flie­ßen, wenn ihm das Ein­drin­gen in den Schacht an die­ser Stel­le ver­wehrt würde?

Auch wei­te­re For­mu­lie­run­gen las­sen nur den Schluss zu, dass nicht eine wis­sen­schaft­lich fun­dier­te Beur­tei­lung der Eig­nung des Salz­berg­werks Asse II zum Zweck der Atom­müll-End­la­ge­rung ange­strebt war, son­dern dass es bei der Besich­ti­gung allein dar­um ging, die kosten­gün­sti­ge Ein­la­ge­rung von Atom­müll zu recht­fer­ti­gen. »Posi­tiv zu wer­ten ist vor allem der Preis, der … auf 600.000,-- DM bezif­fert wur­de.« Jedoch: »Auch da scheint noch Ver­hand­lungs­spiel­raum gegeben.«

Im For­schungs­mi­ni­ste­ri­um hät­ten ange­sichts die­ses Befah­rungs­pro­to­kolls schon im Früh­jahr 1964 alle Alarm­glocken schril­len müs­sen. Doch es kam anders: Man ließ die Schacht­an­la­ge für die Ein­la­ge­rung umrü­sten und vom 4. April 1967 bis zum Sil­ve­ster­tag 1978 durch die Münch­ner Gesell­schaft für Strah­len­for­schung (GSF) ins­ge­samt 50.000 Kubik­me­ter Atom­müll ein­la­gern. Ver­mut­lich immer mit der Angst im Nacken, noch wäh­rend des Ein­la­ge­rungs­be­trie­bes könn­te sich die Was­ser­men­ge den Weg in das Berg­werk hin­ein suchen. Tau­send Kubik­me­ter Was­ser pro Jahr muss­ten ja irgend­wo bleiben.

Die GSF, spä­ter umbe­nannt in Helm­holtz Zen­trum Mün­chen für Gesund­heit und Umwelt (HMGU), war im Geschäfts­be­reich des For­schungs­mi­ni­ste­ri­ums für Asse II von 1965 bis 2008 ver­ant­wort­lich, danach von 2009 bis April 2017 das Bun­des­amt für Strah­len­schutz (BfS) im Geschäfts­be­reich des Umweltministeriums.

Das, wovor schon 1979 der Was­ser­bau­in­ge­nieur Hans-Hel­ge Jür­gens gewarnt hat­te, geschah schließ­lich 1988: Neue Weg­sam­kei­ten im Berg öff­ne­ten sich, und es begann Lau­ge in das ehe­ma­li­ge Salz­berg­werk ein­zu­tre­ten. Zunächst bei etwa 550 Metern Tie­fe im Umfang von drei Kubik­me­tern pro Tag: die glei­che Men­ge wie bis 1964 bei 137 Metern Teu­fe. Ein Zufall?

Wenn man anneh­men muss, dass bei 137 Metern über eini­ge Jah­re rela­tiv gleich­mä­ßig gro­ße Lösungs­men­gen ein­ge­tre­ten sind, dann scheint eine den Zufluss begren­zen­de Eng­stel­le ober­halb von 137 Metern Teu­fe zu lie­gen. Die nach 1968/​69 nicht mehr hier ein­tre­ten­den Wäs­ser müs­sen irgend­wo geblie­ben sein. 20 Jah­re spä­ter gibt es etwa 400 Meter wei­ter unten einen Lösungs­zu­tritt, der Anfang der 1990er Jah­re in Höhe von eben­falls etwa drei Kubik­me­tern pro Tag auf­ge­fan­gen wird. Da liegt die Ver­mu­tung nahe, dass die glei­che Eng­stel­le, die den Zufluss bei 137 Metern begrenzt hat­te, auch für die vor­läu­fi­ge Begren­zung des spä­te­ren Zuflus­ses ab 1988 ver­ant­wort­lich war.

Die­se Hypo­the­se wäre für eine seriö­se Bewer­tung mög­li­cher Zusam­men­hän­ge zu über­prü­fen. Doch als Ende Janu­ar 2019 Bür­ger­initia­ti­ven das Befah­rungs-Pro­to­koll über den 29. Janu­ar 1964 und sei­ne Ana­ly­se öffent­lich mach­ten (www.asse-watch.de/#190129), gestan­den Behör­den und Mini­ste­ri­en nicht etwa dama­li­ge Feh­ler ein.

Statt­des­sen ver­öf­fent­lich­te die BGE eine Stel­lung­nah­me, in der sie eine gewag­te Behaup­tung über die dama­li­gen Lau­gen­flüs­se auf­stellt: »Ein Zusam­men­hang mit den Zutritts­wäs­sern in der Schacht­an­la­ge Asse II besteht nicht.« (https://t1p.de/bge-zu-1964) Argu­men­te für die Behaup­tung führt sie dabei nicht an. Sie defi­niert den Zutritt von 1964 bei 137 Metern Teu­fe schlicht als »betrieb­li­che Lösung«. Doch die­se Defi­ni­ti­on passt nicht ein­mal zur Klas­si­fi­zie­rung der wäss­ri­gen Lösung als »Deck­ge­birgs­lö­sung«, die der ehe­ma­li­ge Betrei­ber, die GSF, vor­ge­nom­men hat­te, der die jah­re­lan­ge Ver­tu­schung betrieb. Die GSF hat­te im Jahr 2003 eine »Bewer­tung der vor 1988 im Gru­ben­ge­bäu­de … auf­ge­tre­te­nen Salz­lö­sun­gen und Gase« vor­ge­legt (https://t1p.de/gsf-vor-1988). Beim Zutritt bei 137 Metern Teu­fe, so die GSF, »han­delt es sich bei den zutre­ten­den Lösun­gen um Süß­wäs­ser, die aus rela­tiv ober­flä­chen­na­hen … Hori­zon­ten (evtl. ver­stürz­ter Unte­rer Bunt­sand­stein) gespeist wur­den. Anhand der in Kap. 1 for­mu­lier­ten Defi­ni­tio­nen han­delt es sich bei die­sen Zutrit­ten um Deckgebirgslösungen.«

Zur Unter­schei­dung von Deck­ge­birgs­lö­sun­gen und Betriebs­lö­sun­gen hat­te die GSF for­mu­liert: »Deck­ge­birgs­lö­sun­gen ent­stam­men einem offe­nem System und haben Ver­bin­dung mit den Grund­was­ser­lei­tern des Deck­ge­bir­ges. Die Zufluss­ra­ten wer­den zum einen durch das Grund­was­serd­ar­ge­bot und zum ande­ren durch ggf. zufluss­be­gren­zen­de Eng­stel­len im Zufluss­sy­stem kon­trol­liert. Auf­grund ihres Rest­lö­se­ver­mö­gens gegen­über Salz­ge­stei­nen sind Deck­ge­birgs­lö­sun­gen sowohl für die Betriebs­si­cher­heit als auch für den Nach­weis der Lang­zeit­si­cher­heit kri­tisch zu bewerten.«

Die »Betriebs­lö­sun­gen« defi­nier­te die GSF hin­ge­gen fol­gen­der­ma­ßen: »Bei den Betriebs­lö­sun­gen han­delt es sich um MgCl2-füh­ren­de Lösun­gen, die im Rah­men der betrieb­li­chen Maß­nah­men im Berg­werk ent­ste­hen. Die Her­kunft die­ser Lösun­gen ist anthro­po­gen und stets bekannt. … Betriebs­lö­sun­gen sind unkri­tisch für die Betriebssicherheit.«

Es gibt kei­nen sach­li­chen Grund, aus­ge­rech­net heu­te die Zuflüs­se von Anfang der 1960er Jah­re als ver­meint­lich harm­lo­se »betrieb­li­che Lösun­gen« zu bezeich­nen. Weder ist ihre Her­kunft bekannt, noch sind sie bei betrieb­li­chen Maß­nah­men im Berg­werk ent­stan­den, und sie kön­nen auch nicht wie betrieb­li­che Lösun­gen »auf­ge­fan­gen, abge­pumpt, ver­wer­tet oder ent­sorgt« werden.

Da es kei­nen sach­li­chen Grund für die­se Umeti­ket­tie­rung gibt, darf man wohl poli­ti­sche Grün­de ver­mu­ten. Offen­sicht­lich soll das Ein­ge­ständ­nis ver­mie­den wer­den, dass die ver­ant­wort­li­chen Mini­ste­ri­en schon weit vor der Umrü­stung der Schacht­an­la­ge von einer erheb­li­chen und lang­fri­stig nicht abzu­stel­len­den Lau­gen­fluss-Pro­ble­ma­tik bei Asse II wuss­ten – und dass ihnen hät­te bewusst sein müs­sen, dass dies kri­tisch für Lang­zeit-Sicher­heit wer­den wür­de. Eine Pro­ble­ma­tik, die sie ver­leug­ne­ten, um im öst­li­chen Nie­der­sach­sen bil­lig und weit weg von Mün­chen und Karls­ru­he den Atom­müll tief unter der Erd­ober­flä­che zu deponieren.

Und noch 55 Jah­re nach der fahr­läs­si­gen Eig­nungs­er­klä­rung der Schacht­an­la­ge Asse II zur Atom­müll-Ein­la­ge­rung stellt der heu­ti­ge Betrei­ber den dama­li­gen Ver­ant­wort­li­chen der Gesell­schaft für Kern­for­schung Karls­ru­he und des Bun­des­for­schungs­mi­ni­ste­ri­ums einen Per­sil­schein aus? Si tacui­s­ses, BGE!