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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Arbeitsunrecht im Madsack-Konzern

Die Bilanz­buch­hal­te­rin Bea­te S. arbei­tet wie­der. Nach 18 Mona­ten juri­sti­scher Aus­ein­an­der­set­zun­gen ist sie am 5. Juli wie­der an ihren Arbeits­platz zurück­ge­kehrt. Der drei­ste Ver­such des han­no­ver­schen Medi­en­kon­zerns Mad­sack, die lang­jäh­ri­ge Betriebs­rä­tin und zeit­wei­li­ge Betriebs­rats­vor­sit­zen­de der zum Kon­zern gehö­ren­den Medi­en­dienst­lei­stungs­ge­sell­schaft mbH (MDG) frist­los zu feu­ern, ist kra­chend geschei­tert. Alle drei gericht­li­chen Instan­zen, das Arbeits­ge­richt Han­no­ver, das Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen und das Bun­des­ar­beits­ge­richt, das das Ver­fah­ren erst gar nicht annahm, haben den Ver­such des Arbeit­ge­bers zurück­ge­wie­sen, die unbe­que­me Betriebs­rä­tin wegen einer Lap­pa­lie auf die Stra­ße zu setzen.

Das Kün­di­gungs­be­geh­ren der MDG-Geschäfts­füh­rung hat­te Bea­te S. zum Jah­res­be­ginn 2018 wie ein Blitz aus hei­te­rem Him­mel getrof­fen. Die MDG warf ihr vor, im Rah­men der zuvor abge­hal­te­nen Betriebs­rats­wahl »Wahl­wer­bung auf Kosten des Arbeit­ge­bers« betrie­ben zu haben. Sie habe sich Brief­mar­ken im Wert von 3,60 Euro erschli­chen, als sie Wer­be­ma­te­ri­al ihrer Wahl­li­ste in die Haus­post gab, in der Annah­me, der Kurier­dienst der Fir­ma wür­de die Unter­la­gen zu den Beschäf­tig­ten in der MDG-Außen­stel­le in Pots­dam trans­por­tie­ren. Dass die Brie­fe dann bei der kon­zern­ei­ge­nen Citi­post lan­de­ten und dort fran­kiert und ver­sen­det wur­den, damit hat­te sie nicht gerech­net. Ihr Ange­bot, zusam­men mit den ande­ren Betriebs­rats-Kan­di­da­tin­nen ihrer von der Gewerk­schaft ver.di unter­stütz­ten Wahl­li­ste der MDG den ent­stan­de­nen Scha­den zu erset­zen, wur­de ignoriert.

Der finan­zi­el­le Scha­den für den Mad­sack-Kon­zern ist nun ungleich höher. Denn die Arbeits­ge­rich­te urteil­ten, eine frist­lo­se Kün­di­gung von arbeits­recht­lich beson­ders geschütz­ten Betriebs­rä­ten – im Arbeit­ge­ber-Jar­gon »Unkünd­ba­re« genannt – sei zwar grund­sätz­lich auch wegen Baga­tell­de­lik­ten mög­lich. Sie ver­wie­sen auf den Fall der Ten­gel­mann-Kas­sie­re­rin Bar­ba­ra Emme (»Emme­ly-Fall«): Die Ber­li­ne­rin hat­te zwei Pfand­fla­schen-Bons im Wert von 1,30 Euro, die nicht ihr gehör­ten, ein­ge­löst und war frist­los gekün­digt worden.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt aber hat­te bei »Emme­ly« im Juni 2010 sei­ne bis dato in sol­chen Fäl­len arbeit­neh­mer­feind­li­che Hal­tung kor­ri­giert und die Kün­di­gung für unver­hält­nis­mä­ßig und unwirk­sam erklärt. Bei Baga­tell­vor­wür­fen müs­se eine Inter­es­sen­ab­wä­gung erfol­gen, die unter­schla­ge­nen Bons recht­fer­tig­ten kei­nen Raus­wurf nach 31 Jah­ren Beschäftigung.

So urteil­ten die Arbeits­rich­ter auch im Fall von Bea­te S.: Der ihr gemach­te Vor­wurf sei nicht schwer­wie­gend genug, um die Bilanz­buch­hal­te­rin nach fast 30 Jah­ren im Betrieb frist­los zu kün­di­gen. Im Übri­gen habe Bea­te S. nicht für sich pri­vat gehan­delt, son­dern als Mit­glied im Wahl­vor­stand für ihre Betriebsratsliste.

Die Gewerk­schaft ver.di, die ihrem Mit­glied Bea­te S. mit Rechts­schutz bei­steht, ver­mu­tet als eigent­li­chen Grund für die Attacke des Arbeit­ge­bers lang­jäh­ri­ge Aus­ein­an­der­set­zun­gen um die Betriebs­rats­tä­tig­keit von Bea­te S. und um deren Tätig­keit in der Prü­fungs­kom­mis­si­on der Indu­strie- und Han­dels­kam­mer. Für die­se Prü­fungs­kom­mis­si­on muss der Arbeit­ge­ber die Bilanz­buch­hal­te­rin an cir­ca acht Tagen im Jahr von der Arbeit in der MDG frei­stel­len – und zwar unter Fort­zah­lung ihrer Bezü­ge. Denn für Bea­te S. gel­ten – anders als für die mei­sten ande­ren MDG-Beschäf­tig­ten – die Tarif­ver­trä­ge des Zei­tungs­ver­lags­ge­wer­bes und der Druck­in­du­strie. Sie hat­te vor rund 25 Jah­ren, als die Geschäfts­füh­rung des Mad­sack-Kon­zerns die Buch­hal­tung aus der Mut­ter­fir­ma des Kon­zerns in die tarif­lo­se MDG aus­ge­la­ger­te, ihren Tarif­schutz nach § 613 a BGB arbeits­recht­lich mit­ge­nom­men und bekommt des­halb heu­te als tarif­ge­bun­de­ne »Alt­be­schäf­tig­te« in der MDG im Monats­schnitt rund 1000 Euro mehr Lohn als ihre Kol­le­gIn­nen, die die glei­che Arbeit tarif­los bil­li­ger ver­rich­ten und die zudem 40 lan­ge Wochen­stun­den schuf­ten müs­sen, wäh­rend für Bea­te S. gemäß des Man­tel­ta­rif­ver­trags für die Ange­stell­ten der Druck­in­du­strie die 35-Stun­den-Woche gilt. Zudem ste­hen ihr wei­ter­hin nach § 613 a BGB im Gegen­satz zu den nach dem Betriebs­über­gang ein­ge­stell­ten Mit­ar­bei­te­rIn­nen die im Jahr 2000 für Neu­be­schäf­tig­te gestri­che­nen Alters­ver­sor­gungs­an­sprü­che der Mut­ter­fir­ma des Mad­sack-Kon­zerns wei­ter­hin zu.

Da kann es wohl nicht ver­wun­dern, wenn eine Geschäfts­füh­rung, die ange­hal­ten ist, Höchst­pro­fi­te für die Kon­zern­bi­lanz zu erwirt­schaf­ten, auf Mit­tel und Wege sinnt, um ihre Kosten für die Ware Arbeits­kraft zu drücken.

Die MDG-Geschäfts­füh­rung hat denn auch nach ihrem gericht­li­chen Desa­ster den Ver­such nicht auf­ge­ge­ben, die tarif- und nach § 613 a BGB geschütz­te Buch­hal­te­rin los­zu­wer­den: Kurz bevor die­se Anfang Mai ihre Stel­le in der MDG wie­der antre­ten woll­te, wur­de Bea­te S. an einem spä­ten Frei­tag­nach­mit­tag zu Hau­se von einem Anruf aus der MDG-Geschäfts­füh­rung über­rascht, die mit ihr – unter rechts­wid­ri­ger Umge­hung ihres Anwalts – über einen Auf­he­bungs­ver­trag und über eine Abfin­dung reden woll­te. Für eine Ver­trags­auf­lö­sung zum Ende die­ses Jah­res bot die MDG 100.000 Euro brut­to an.

Doch Bea­te S. hat sich nicht locken las­sen. Sowohl die Agen­tur für Arbeit als auch ihr Anwalt Wal­ter Lüb­king rie­ten ihr von dem Deal ab: »Mei­ne Man­dan­tin hät­te eine Sper­re beim Arbeits­lo­sen­geld bekom­men, hät­te Steu­ern und Kran­ken­geld nach­zah­len müs­sen und wäre das Risi­ko ein­ge­gan­gen, sich mit 57 Jah­ren einen neu­en Arbeits­platz suchen [zu] müs­sen; ihre Chan­cen auf dem Arbeits­markt auf einen neu­en unbe­fri­ste­ten und tarif­ge­schütz­ten Arbeits­platz sei[en] auch nach Auf­fas­sung der Bun­des­an­stalt für Arbeit gleich Null«, erläu­tert Lübking.

Er hat mit die­sem eigent­lich abge­schlos­se­nen Fall wei­ter viel zu tun: Um einen Auf­lö­sungs­ver­trag zu ver­han­deln, hat die MDG-Geschäfts­füh­rung zwei­mal hin­ter­ein­an­der ver­fügt, dass Bea­te S. ihre Arbeit nicht wie­der auf­neh­men durf­te, son­dern davon »frei­ge­stellt« wurde.

Ein »recht­wid­ri­ges Ver­hal­ten«, wie Lüb­king der MDG unter Ver­weis auf die ein­schlä­gi­ge BAG-Recht­spre­chung vor­hielt. Es sei »heu­te unstrei­ti­ge Rechts­auf­fas­sung, dass der Arbeit­ge­ber im Rah­men des bestehen­den Arbeits­ver­tra­ges ver­pflich­tet ist, den Arbeit­neh­mer ver­trags­ge­mäß zu beschäf­ti­gen«, schrieb er dem Madsack-Anwalt.

Ver­mut­lich geht der Fall dem­nächst erneut vor Gericht, denn die MDG hat die Frei­stel­lun­gen von Bea­te S. auch unter rechts­wid­ri­ger Anrech­nung von Urlaubs­ta­gen ver­fügt. Wegen die­ser Ver­let­zung von Per­sön­lich­keits­rech­ten sei­ner Man­dan­tin und der Ver­let­zung der Beschäf­ti­gungs- und Für­sor­ge­pflicht durch den Arbeit­ge­ber hat Lüb­king gegen­über der MDG inzwi­schen Scha­den­er­satz- und Schmer­zens­geld­an­sprü­che für Bea­te S. gel­tend gemacht.

Skan­dal im Skan­dal: Der amtie­ren­de Betriebs­rat der MDG hat sich anläss­lich des Kün­di­gungs­be­geh­rens der MDG nicht vor Bea­te S. gestellt, son­dern dem Begeh­ren zuge­stimmt, und er hat weder damals noch seit der Rechts­kraft des BAG-Beschlus­ses im März 2019, noch seit ihrer Rück­kehr in den Betrieb das Gespräch mit ihr gesucht bezie­hungs­wei­se sie als erstes Ersatz­mit­glied des Betriebs­ra­tes wie­der zu einer Sit­zung des BR eingeladen.