Hoch lebe alles Gewachsene! Deshalb lobe man es über alle Maßen! Ist es doch das Symbol für das neoliberale Super-Ideal des ewigen Wachstums! Der globale Markt für Grünkram und Saftprodukte boomt. Der Zeitgeist ächzt vor geiler Lust auf die Abenteuer vitaminöser Fressorgien. Gesunde Lebensweise ist bis in die krankhafte Übersteigerung einer fruchtigen Diät up to date. Strahlend weiße Zahnreihen beißen sich durchs Obst-und-Gemüse-Angebot der Sonderklasse.
Da kann die Satire nicht seitab im Dickicht bloßer Frotzeleien verharren. Sie muss zur Tat schreiten. Blasphemie ist angesagt. Bertolt Brecht hat mit Arturo Uis Anspielungen auf das reaktionäre Karfiol-Kartell die Richtung vorgegeben. Die Zeitschrift Titanic gab voller Hohn das Signal und wurde damit Wendegewinnerin: Die Banane, verewigt als Lockmittel für Verbraucherwünsche, hat mit der »Zonengabi« den Gipfel bundesdeutscher Topsatire markiert. Das Regelmaß der Gurke stand dann für den Gründungsmythos der Europäischen Union. Und erst als Tomaten das Antlitz einer Politgröße vom Schlage der »Birne« Helmut Kohl trafen, wurde der Kanzler der Einheit vollends zum Inbegriff der Wiedervereinigung von Vaterland und Muttersprache.
Ehrbare Früchte genießen unser Wohlgefallen. Glanzvoll prangen sie strotzend vor blankem Wohlbefinden. Faule Früchtchen werden aufgespürt. Sie sind es, die uns begreiflich machen: Die Suche nach marktfähiger Güte fördert halt neben knackig-saftig gesundem Obst auch Angegangenes und Angefaultes zutage. Da sind unsere Sinne alarmiert. Das politisch Missliebige stinkt allen Gerächten und allem zu Rächenden in die gerümpften Nasen. Aussortiert gehört es. Denn die Augen folgen markierten Sichtschneisen. Die Hände greifen dahin – und dorthin nicht. Sie verwirklichen das Grundprinzip der heiligen Demokratie: Wählen.
Da ist das große Vergleichen ausgebrochen. »Das ist wie …« wird zu einem Kernsatz der Bewertung. Es muss die faule Ernte der aufeinanderfolgenden Systeme verglichen werden. »Systemrelevant« wird zum vielbenutzten Kosewort der Political Correctness. Da ist das Schwadronieren von den zwei Diktaturen ausgebrochen. Faschismus und Antifaschismus, alles eine Soße. Wer in beiden hintereinander standhalten konnte, ist trotzdem ein für alle Mal geschädigt. Ob Äpfel oder Birnen, das macht bitteschön überhaupt keinen Unterschied. Vollreif im Riesenformat auf den Kopf gedonnert gibt das dieselbe Beule.
Das übrige Obst hat es ebenfalls in sich. Jewgeni Jewtuschenko schrieb für uns Heutige ergebnislos »Beerenreiche Gegenden«. Wir dürfen darin nur noch die verrottete Ödnis des verordneten Sowjetparadieses erblicken. Die Trauben des Erfolges, die im letzten System zu ungreifbar hoch für uns hingen, prasselten im Sturmwind einer schnell beschleunigten Wende mit Wucht und Fülle auf uns nieder. Ein Hohngelächter: »Haha, sie treten sie mit Füßen!« Herrschaften standen vor der Tür, die versprachen frugale Festmähler ungeahnter Pracht. Doch sie boten im Prinzip nichts weiter als simple Kirschen zur Krönung an. Und polkten sie wie die Rosinen aus dem Kuchen des Einheitsfestes. Sie lachten uns aus, als uns der Spruch »Es ist nicht gut Kirschen essen mit manchen Herren« einfiel. Und spuckten uns ungeniert mampfend die Kerne ins Gesicht.
Unsere Antwort schwankte zwischen Gurren und Murren. Was die einen vergötterten, konnten die anderen nur bespötteln. »Guten Appetit«-Rufe wurden mit »Uns ist der Appetit vergangen« beantwortet. Ja, da riss sogar das Anpflaumen ein. Da konnte es passieren, dass der Ausruf »Na, du Pflaume« deftige Ossi-Wessi-Witze begleitete. Das nach dem Muster der DDR-Witze Gebackene erwies sich für Fitness-erprobte Mägen jedoch als unverdaulich. So bleiben am Ende nur noch Backpflaumen übrig, um manches Unbekömmliche beschleunigt in den Orkus zu expedieren.