Reiner Becker, Leiter des Demokratiezentrums an der Universität Marburg und Experte für Rechtsterrorismus. – »Wir haben es mit einer ganz neuen Dimension der Enthemmung zu tun«, haben Sie mit Blick auf die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und die jüngsten Morddrohungen gegen etliche weitere Kommunalpolitiker, darunter die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, diagnostiziert. Selbstverständlich gibt es allen Grund, über diese Entwicklung alarmiert zu sein. Aber warum herrscht ein so dröhnendes Schweigen, wenn weniger prominente Mitmenschen bedroht werden – beispielsweise die Bewohner der Kölner Keupstraße? Zwei Tage vor den Gedenkfeierlichkeiten zum 15. Jahrestag des NSU-Nagelbombenanschlags auf ihre Straße erhielten Anwohner mit Hakenkreuzen garnierte Drohbriefe von einer »Atomwaffendivision Deutschland«. Darin hieß es: »Moslems in Deutschland! […] Ihr seid das willfährige Werkzeug der Juden, um Deutschland und Europa zu zerstören. Deshalb ist jeder einzelne von Euch ein legitimes Ziel.« Keine neue Dimension? Kein Thema für die Abendnachrichten? Für Experten schon Alltag?
Joachim Gauck, Toleranzerweiterer. – Sie fordern »erweiterte Toleranz in Richtung rechts« und von der CDU, für einen »bestimmten Typus des Konservativen« – »Menschen, für die Sicherheit und gesellschaftliche Konformität wichtiger sind als Freiheit, Offenheit und Pluralität« – wieder zu einer Heimat zu werden wie zu Zeiten von Franz Josef Strauß und Alfred Dregger. Schau an! Dass Sie sich einmal für Liebhaber gesellschaftlicher Konformität einsetzen würden, war vor dreißig Jahren nicht abzusehen. Auf die Richtung kommt es eben an.
Leander Sukov, Vizepräsident des deutschen PEN-Zentrums. – Nach der Behauptung der US-Regierung, Iran habe zwei Öltanker im Golf von Oman angegriffen, stellten Sie fest: »Tonkin liegt jetzt im Mittleren Osten.« Sie erinnerten damit an den sogenannten Tonkin-Zwischenfall: Anfang August 1964 behauptete die US-Regierung wider besseres Wissen, nordvietnamesische Schnellboote hätten ohne Anlass zwei amerikanische Kriegsschiffe im Golf von Tonkin mit Torpedos beschossen. Diese Lüge – der angebliche Beschuss war von den USA selbst inszeniert worden – diente als Vorwand für das Eingreifen der US Army in den Kolonialkrieg Frankreichs gegen die Völker Indochinas, insbesondere gegen Vietnam, und als Rechtfertigung aller Kriegshandlungen, mit denen in den darauf folgenden Jahren versucht wurde, Vietnam »in die Steinzeit zurückzubomben« (so der US-Luftwaffengeneral Curtis LeMay). Es ist nur eine von zahlreichen Lügen am Tor zum Krieg. Es ist gut, daran zu erinnern. Donald Trump sollte auch nicht vergessen, dass die US-Truppen 1975 mit Schimpf und Schande aus Vietnam verjagt wurden.
Günter Amendt (1939 – 2011), führender 68er und Autor von »Sexfront« und »Das Sex-Buch«. – Sie bekamen viel Ärger mit Ihren Schriften; sie wurden wegen Pornographie vorübergehend beschlagnahmt. Nun hat der Evangelische Kirchentag in Dortmund Ihre teilweise Rehabilitierung gebracht. Es stand im offiziellen Programm das Angebot »Vulven malen«. Rund 30 Frauen machten mit. Männer twitterten: Und wann findet der Workshop im Phallusmalen statt? Amendt hatte zu einem Bild von einem Mädchen und einem Jungen deren Dialog zitiert: »Mach kein Getöse, zeig deine Möse.« Und »Mach keinen Tanz, zeig deinen Schwanz.« Letzteres wird dann wohl auf dem nächsten Kirchentag stattfinden. Ganz ökumenisch mit Bischöfen aus beiden Kirchen als Modelle?