Bert Rürup: Unermüdlich – Werter Herr Rürup, seit mehr als 20 Jahren sorgen Sie sich in den unterschiedlichsten Funktionen – das Handelsblatt führte Sie zuletzt als »Chefökonom« des Hauses – mit unvermindertem Engagement um unsere Absicherung im Alter. Das ist aller Ehren wert. Sie können für sich in Anspruch nehmen, als »Vater« der Riester-Rente zu gelten, womit Sie das aufgrund demografischer Entwicklung angeblich notleidende gesetzliche Rentensystem durch eine staatlich geförderte private Vorsorge vorgeblich zu stützen versucht haben – sehr zur Freude der Finanzindustrie, die mit den von Ihnen erdachten, aus Steuergeldern mitfinanzierten neuen Produkten kurzerhand Milliardenumsätze machte; die Renten hingegen sind dadurch nicht sicherer geworden.
Immerhin 16 Millionen Menschen haben sich seit 2001 Ihre Warnungen vor einem Kollaps des umlagefinanzierten Rentensystems zu Herzen genommen und in Riester-Verträgen »gespart«, um die absehbare und unter Ihrer maßgeblichen Beratung vom Gesetzgeber beschlossene sukzessive Absenkung des Niveaus der gesetzlichen Rente auszugleichen. Verzeihen Sie, verehrter Herr Professor, aber als Ratgeber taugen Sie offenkundig nicht viel, wie Sie mittlerweile selbst einräumen und Ihr eigenes Projekt für gescheitert (Handelsblatt 5.11.2020) erklären. Das hindert Sie allerdings nicht daran, flugs den nächsten Ratschlag zu erteilen und der »Politik« ins Aufgabenheft zu schreiben, dass es höchste Zeit sei, »das Heft in die Hand« zu nehmen.
Anstatt nun aber die gesetzliche Rentenversicherung und das alles in allem sehr erfolgreiche solidarische Umlagesystem zu rehabilitieren und zu seiner Stärkung aufzurufen, empfehlen Sie allen Ernstes einen »Neustart« der kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge durch die Anlage in Risikokapitel, sprich: Aktien, das von staatsfernen Kapitalsammelstellen, sprich: Versicherungskonzernen, Banken und Fonds, verwaltet wird. Die Dreistigkeit, einen gerade eingeräumten Fehler mit dem nächsten Ratschlag erneut zu begehen und das Solidarprinzip, ohne das ein friedliches gesellschaftliches Miteinander gar nicht möglich wäre, vollends abzuräumen, ist Atem-raubend – wird aber zweifellos, sollte die Politik das Heft in Ihrem Sinne in die Hand nehmen, den Finanzkonzernen abermals viel Geld in die Kassen spülen, vermutlich ohne eine einzige Rente zu »sichern«. Chapeau!