Die Auseinandersetzungen um Frieden und Antifaschismus werden zunehmend von Diffamierung, Herabwürdigung und Einseitigkeit begleitet. Die Friedensbewegung wird dabei vermehrt als 5. Kolonne Moskaus und als rechtsoffen diffamiert. Dieser Vorwurf kommt oft von Kräften, die Waffenlieferungen an die Ukraine befürworten, wozu bekanntlich auch die »alternative« taz gehört.
Antifaschistische Kräfte in der Friedensbewegung beziehen ihre Arbeit auf den Schwur von Buchenwald. Sie verbinden die Forderung »Nie wieder Faschismus!« mit der Forderung »Nie wieder Krieg«. Die Verbindung des Antifaschismus mit Friedensengagement erinnert an ein Gedicht von Erich Fried: »Ein Faschist, der nichts ist als ein Faschist, ist ein Faschist. Ein Antifaschist, der nichts ist als ein Antifaschist, ist kein Antifaschist.« Von ihm stammt auch der Text »Wer will, dass die Erde so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt.« In der Tat braucht die Menschheit zum Überleben eine globale Kooperation für die Bewältigung der Zukunftsgefährdungen, wohingegen die Mächte der Militärs mit der Strategie der Abschreckung und der Eindämmung von Gegnern zur Aufrechterhaltung eigener Macht dieses Erfordernis im Keim ersticken.
Der von den Überlebenden des KZ Buchenwald Ende April 1945 vereinbarte Schwur weist hierzu laut der Website der Gedenkstätte zwei Textvarianten auf, die beide für uns wichtig sind: Die eine stellt das Anliegen der Verfolgung der Täter in den Vordergrund: »Wir werden den Kampf erst aufgeben, wenn der letzte Schuldige vom Gericht aller Nationen verurteilt ist.« – Tage danach, fast auf den Tag genau vor 78 Jahren präzisierten Häftlinge diese Zielsetzung; die seitdem zumeist zitierte Formulierung zielt auf »die endgültige Vernichtung des Faschismus mit seinen Wurzeln«.
Der VVN-Bundeskongress 1975 erinnerte an die in diesem Zusammenhang zentralen Schritte, die das Potsdamer Abkommen einforderte, nämlich die Entflechtung der Kartelle, Syndikate und Trusts, die den Faschismus gefördert und von seiner Kriegspolitik eine Weile profitiert hatten. Es enthielt die 4 D’s: Demilitarisierung, Denazifizierung, Dezentralisierung und Demokratisierung. Dies zog das Ende der Wehrmacht sowie der Rüstungsindustrie nach sich, und es führte zur Entfernung vieler, die an der Macht im faschistischen Staatsapparat Anteil hatten, aus dem Amt.
Zugleich eröffneten die USA während der Potsdamer Konferenz den Kalten Krieg: Anfang August 2012 erklärte der Enkel des damaligen US-Präsidenten Truman während des Hiroshima-Gedenkens in Japan, der »Abwurf der Atombomben auf die Zivilbevölkerung der beiden japanischen Großstädte hat seinerzeit vor allem dem Zweck gedient, die Sowjetunion abzuschrecken«. Diese Aussagen finden ihre Bestätigung in Trumans Memoiren, in denen er von seinem Bestreben berichtet, die Sowjetunion mit der Verkürzung des Krieges um und in Japan mit Hilfe der Atombombe davon abzuhalten, sich ein größeres »Stück von Kuchen« anzueignen. Das Gerede der Verteidiger dieses Kriegsverbrechens, es hätte noch mehr Leid abgewendet, ist insofern beweisbar ein Manöver zur Täuschung der Öffentlichkeit.
Aktuell geht es angesichts des weltweiten und nationalen Kräfteverhältnisses prioritär nicht mehr um die Überwindung aller Wurzeln des Faschismus. Ein Teil der Wurzeln ist der Zusammenhang zwischen der auf Profit- und Konkurrenz orientierten wirtschaftlichen Basis des Kapitalismus mit autoritären Entwicklungen in Staat und Gesellschaft. Das sehen viele Antifaschisten in der Folge des Schwurs von Buchenwald so, wie es auch der französische Sozialist Jean Jaures mit seinem berühmten Ausspruch tut, dass der Kapitalismus den Krieg in sich trägt wie die Wolke den Regen.
Durch diese Position geraten Antifaschisten und damit auch die VVN ins Visier der Repression sogenannter Ordnungshüter im Staatsapparat. Die brutalste Form der Repression ist der Faschismus selbst, den Georgi Dimitrow »die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals« nannte. Der Faschismus kennt allerdings viele Vorstufen und fließende Übergänge. So erklärt es sich, dass Max Reimann als KPD-Vertreter im Parlamentarischen Rat während der Beschlussfassung über das Grundgesetz erklärte, er werde die Freiheiten und Rechte bald schon gegen die verteidigen, die sie angenommen haben.
Das Erstarken rechter Parteien mit Neonazis wie die AfD macht deutlich, wie wichtig antifaschistische Organisationen wie die VVN als Erben des Widerstandes gegen Faschismus und Krieg und für eine Friedenspolitik mit diplomatischen Lösungen sind.
Die Friedensbewegung verfolgt mit den Antifaschisten das Ziel einer Welt ohne Nationalismus, ohne Militarismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, darunter Antisemitismus, ohne Ausgrenzung, Nazismus und ohne Krieg. Die russische Invasion in die Ukraine ist nicht nur wegen des menschlichen Leids zu verurteilen, sondern auch wegen der allen Seiten bekannten Gefahr einer Havarie in einem der AKWs in der Ukraine, die bei Westwind auch das europäische Kernland Russlands mit seinen ca. 100 Millionen Bewohnern zu verstrahlen droht.
Heute kommt zur Bewahrung der Grundlagen der Demokratie und der Menschenrechte die Bewahrung und Pflege unserer Lebensgrundlagen hinzu. Die Bündnispolitik ist durch das Erfordernis eines breiten Bündnisses aus Antifaschist:innen, Friedensengagierten, ökologisch interessierten Bewegungen und weiteren Demokrat:innen eine herausfordernde Arbeit, zu der auch eine immer wieder neue Orientierung über das Selbstverständnis Beteiligter zu zählen ist. Dies zum einen, da wir nur mit Kräften erfolgreich arbeiten können, die unsere Visionen und Ziele teilen, und dies zum anderen, um keinen Gegenkräften Raum zu gewähren, uns unter Verweis auf Bündnisse mit demokratiefeindlichen Kräften zu delegitimieren.
Bei der Frage nach Gegenkräften einerseits und Bündnispartnern mit von uns abweichenden ideologischen Ansichten andererseits sind die Antworten diffizil. Ich verdeutliche das an einer Broschüre, die der Marxistische Studentenbund Spartakus Mitte der 1970er Jahre in der Ruhr-Universität geschrieben hatte. Er koalierte damals in der Studierendenvertretung AStA mit Spontis. Die Broschüre über das Spektrum der Spontaneisten zitierte diese Gruppe mit ihrer Kritik an der Grundgesetz-Politik der DKP: »›Es zeigt sich, von welcher Machart die Politik der DKP ist, die (…) das Grundgesetz verteidigt und die sich damit aktiv auf die Seite derer stellt, die Gegner und Kritiker der freiheitlich demokratischen Grundordnung durch Entzug der demokratischen Rechte, die im Grundgesetz enthalten sind, verfolgen.‹ Wir Bündnispartner der Spontis beantworteten diese Kritik an uns wie folgt: ›Die Frage ist doch, wer stellt sich hier auf die Seite der Reaktion, wenn er auf die Verteidigung der im Grundgesetz verankerten Rechte verzichtet.‹« In der Bündnisarbeit gilt die rote Linie, dass es keinesfalls zu einer Zusammenarbeit mit Faschisten kommt.
Das ist aktuell ein Problem etwa im Umfeld von basisdemokratischen Gruppen. Die Essener Montagsspaziergänger beispielsweise haben auf ihrer Website eine Werbung für eine sogenannte Galerie-Aktion am 15.4.2023 in Düsseldorf, bei der sie sich unter anderem gegen Krieg wenden, aber auch gegen sogenannte »Über(!)fremdung« (…) sowie gegen eine von ihnen so bezeichnete »Klima-Wandel-Propaganda«. Die Essener Basisdemokratische Partei unterstützt auf ihrer Facebook-Seite die sich so nennenden Montagsspaziergänger und erweist sich damit als Unterstützer von Kräften, die sich für undemokratische Ziele einsetzen, die einer antifaschistisch-friedensökologischen Arbeit entgegenstehen.
So unhaltbar, wie die Querfront-Vorwürfe gegen die Friedensbewegung sind, so beweisbar falsch ist der Vorwurf der Russland-Nähe. Wer den Bruch völkerrechtlicher Verträge in der Vorgeschichte des Ukraine-Krieges wahrnimmt, nimmt mit dieser Analyse keine Partei für Russland. Der Bruch der in mehreren internationalen Verträgen vereinbarten Friedensordnung gegenseitiger Sicherheit, den die Nato-Ostexpansion darstellt, gehört zwar zwingend zur Vorgeschichte des Krieges in Osteuropa, aber damit ist kein Krieg zu legitimieren. Der Verweis auf diesen Zusammenhang durchkreuzt allerdings die Propaganda der Nato, wenn sie von einem unprovozierten Angriffskrieg Russlands spricht. Die Täuschung geht bis auf die Des-Information zurück, die Krim-Krise sei der erste Rechtsbruch gewesen, der das Sicherheitsumfeld aus den Angeln gehoben habe. Der erste Rechtsbruch in diesem Zusammenhang war der Regierungsaustausch in Kiew Wochen zuvor, der mit der Verfassung und damit mit dem Recht brach. Die einseitige Abwälzung der Verantwortung für die Lage auf Russland hält den Fakten nicht stand.
Besonders aggressiv tritt der in Teilen des Antifa-Spektrums einflussreiche Internetblog die Ruhrbarone gegen die Friedensbewegung auf, wenn er sie nicht nur rechtsoffen, sondern auch als direkt von Moskau bezahlt darstellt – Zitat: »Um Frieden ging es der Friedensbewegung noch nie. Bis zum Zusammenbruch des Ostblocks wurde sie maßgeblich aus der DDR und der Sowjetunion finanziert.« Über den zurückliegenden Ostermarsch in Duisburg schrieben sie unter dem Titel »Putins treue Truppe«: Es kam zu leiser »Kritik am russischen Angriffskrieg – um in einem Atemzug später der Nato und dem bösen Westen für den russischen Überfall auf die Ukraine verantwortlich zu machen. Das Event hätte in dieser Form auch, straffrei, heute auf dem Roten Platz in Moskau stattfinden können.«
Die Manipulation wird angesichts des realen Wortlauts einer auf demselben Ostermarsch gehaltenen Rede deutlich: »Wir verurteilen nicht nur die Invasion Russlands in die Ukraine, sondern auch den durch die Nato-Osterweiterung vollzogenen Bruch völkerrechtlicher Texte im Sinne einer Friedensordnung der gemeinsamen, weil gegenseitigen Sicherheit in Europa. Und wir verlangen eine solche Weltfriedensordnung der Kooperation zur Lösung der Menschheitsfragen. Die völkerrechtswidrigen Kriege, die die Spannungen nicht nur in Osteuropa, sondern weltweit steigern, untergraben die Aussicht auf eine Zukunft für die Zivilisation, die mit Abschreckung, nuklearer Drohung, Gewalt und Vormachtstreben unvereinbar ist – die Weltfriedensordnung, die eine unverzichtbare Bedingung für die Bewältigung der ökologischen, sozialen und militärischen Zukunftsgefährdungen ist.«
Die Brisanz der Lage der Menschheit wird auch an der Warnung kritischer Nuklearwissenschaftlern deutlich, nach der wir uns auf der Eskalationsleiter bei eineinhalb Minuten vor Zwölf befinden. Die Wissenschaftler sehen uns heute in der gefährlichsten Zeit seit Hiroshima und Nagasaki.
Die Priorität der Bewahrung des Lebensraums Erde in einer Zeit, in der immer mehr Regionen infolge von lang anhaltender und extremer Hitze oder auch von massiven Überflutungsgefahren in den Bereich der Unbewohnbarkeit zu gelangen drohen, übergehen die Militärstrategen der Abschreckung, und sie eskalieren die Spannungen aktuell auch noch gegenüber China, dem die Weltgemeinschaft in den 1970er Jahren, als der Vietnamkrieg zum Debakel für die USA wurde, die Ein-China-Politik vertraglich zusicherte, was sie aktuell mit einer Propaganda für die Souveränität Taiwans vergessen macht.
Abrüstung statt Aufrüstung ist ein Überlebenserfordernis, ebenso wie Kooperation und Diplomatie, statt Eskalation mit Abschreckung. Es geht um eine Überwindung des Nationalismus, um die Gleichbehandlung aller Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Glauben, ihren Vorlieben und weiteren Gruppenzugehörigkeiten, um einen Ausbau der Demokratie in allen gesellschaftlichen Bereichen. Damit allein kann auch dem Faschismus der Boden entzogen werden. Das ist die Aufgabe des Antifaschismus, der Friedensbewegung, der Gewerkschaften und aller weiteren Kräfte, die sich für eine überlebensfähige Gesellschaft einsetzen.