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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Angriff auf die Versammlungsfreiheit

Es ist ein bewölk­ter Som­mer­mor­gen Anfang Juli 2017, als sich über­all in Ham­burg Men­schen auf die Bei­ne machen. Anläss­lich des begin­nen­den G20-Gip­fels wol­len sie ihre Kri­tik an der Poli­tik der zwan­zig mäch­tig­sten Staats­chefs auf die Stra­ßen tra­gen. Zahl­rei­che Mög­lich­kei­ten wer­den dafür genutzt. Eine davon ist »Block G20«. Die Initia­ti­ve ruft öffent­lich dazu auf, sich an unter­schied­li­chen Orten der Stadt zu sam­meln und in ver­schie­den­far­bi­gen Grup­pen – auch »Fin­ger« genannt – auf den Tagungs­ort des Gip­fels zuzu­strö­men, um sei­nen Ablauf zu stören.

Damit mög­lichst vie­le Men­schen dar­an teil­neh­men, haben zahl­rei­che lin­ke Grup­pen und Strö­mun­gen schon Mona­te zuvor ver­bind­li­che Ver­ab­re­dun­gen getrof­fen, um für alle Teilnehmer/​innen trans­pa­rent dar­zu­stel­len, was sie erwar­ten wird. Mit unge­hor­sa­men Mas­sen­blocka­den wol­le man die »Selbst­in­sze­nie­rung der Macht« stö­ren und Bil­der eines krea­ti­ven und bun­ten Wider­stands ent­ge­gen­set­zen, heißt es in der Vereinbarung.

Tat­säch­lich drin­gen tau­sen­de Demon­stran­tin­nen und Demon­stran­ten in die Zone ein, in der ein gene­rel­les Ver­samm­lungs­ver­bot ver­hängt wur­de. Meh­re­re staat­li­che Dele­ga­tio­nen müs­sen vor Blocka­den umdre­hen und ande­re Wege neh­men. Eine Ver­an­stal­tung von Finanz­mi­ni­ster Schäub­le wird abge­sagt und Mela­nia Trump kommt nicht aus ihrer Unter­kunft. Der Gip­fel kann nur mit Ver­zö­ge­rung beginnen.

Aber nicht alle Pro­te­stie­ren­de errei­chen ihr Ziel. Ein über­wie­gend dun­kel und schwarz geklei­de­ter Demon­stra­ti­ons­zug wird schon nach etwa 20 Minu­ten Fuß­weg im Gewer­be­ge­biet Ron­den­barg von der Poli­zei bru­tal gestoppt. 14 Demoteilnehmer/​innen wer­den dabei so schwer ver­letzt, dass sie mit Ret­tungs­wa­gen in Kran­ken­häu­ser gebracht wer­den müs­sen und zum Teil blei­ben­de Schä­den davon­ge­tra­gen haben. Die ver­blie­be­nen knapp 60 Per­so­nen wer­den in eine Gefan­ge­nen­sam­mel­stel­le gebracht. Um den Poli­zei­ein­satz und den »Mas­sen­an­fall von Ver­letz­ten«, wie die Ham­bur­ger Feu­er­wehr es nennt, zu recht­fer­ti­gen wer­den dann Straf­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet und Ankla­gen wegen schwe­ren Land­frie­dens­bruchs erho­ben. Bau­zaun­ele­men­te sei­en auf die Stra­ße gezo­gen, Gegen­stän­de in Rich­tung Poli­zei geflo­gen – jedoch aus so gro­ßer Ent­fer­nung, dass sie kei­ne Poli­zei­be­am­te tref­fen konnten.

Wäh­rend die Poli­zi­sten straf­frei blei­ben, läuft nun seit Janu­ar 2024 vor dem Ham­bur­ger Land­ge­richt ein Pro­zess gegen zwei Betei­lig­te die­ser Demo, dar­un­ter ein Mit­glied des dama­li­gen Bon­ner Jugend­vor­stands von ver.di. Sie wer­den kei­ner eige­nen straf­ba­ren Hand­lung beschul­digt, und gro­ße Tei­le der Ankla­ge sind inzwi­schen aus­ge­räumt. Den­noch zieht das Gericht eine Ver­ur­tei­lung wegen Bei­hil­fe zu Straf­ta­ten in Betracht. Allein schon die blo­ße Anwe­sen­heit auf der Ver­samm­lung am Ron­den­barg kön­ne wegen »Teil­nah­me an Land­frie­dens­bruch« eine Ver­ur­tei­lung zur Fol­ge haben, erklär­te das Gericht Mit­te Juli vor sei­ner Sommerpause.

Der Repu­bli­ka­ni­sche Anwäl­tin­nen- und Anwäl­te­ver­ein hat jedoch schon zu Pro­zess­be­ginn erklärt, dass seit der Libe­ra­li­sie­rung des Land­frie­dens­bruch-Para­gra­fen 125 StGB in den 1970er Jah­ren klar sei, »dass die blo­ße Teil­nah­me an einer Ver­samm­lung selbst dann, wenn die­se einen gewalt­sa­men Ver­lauf nimmt, nicht der Straf­bar­keit des § 125 StGB unter­fällt. Nur die­je­ni­gen, die selbst als Täter*in oder Teil­neh­men­de aktiv gewalt­tä­tig – etwa gegen Polizeibeamt*innen – agie­ren, kön­nen sich nach der ent­schärf­ten Fas­sung straf­bar machen«. Eine Ver­ur­tei­lung im Ham­bur­ger »Ron­den­barg-Pro­zess« wäre also eine neue Recht­spre­chung, die fort­an die Ver­samm­lungs­frei­heit erheb­lich ein­schrän­ken würde.

Es gibt zudem meh­re­re Bele­ge, dass zivi­le Poli­zei­be­am­te und soge­nann­te V-Per­so­nen der Ver­fas­sungs­schutz­äm­ter ver­deckt an den G20-Pro­te­sten betei­ligt waren. Da des­halb eine kon­kre­te staat­li­che Betei­li­gung an der Demon­stra­ti­on nicht aus­ge­schlos­sen wer­den kann, liegt eine rechts­staats­wid­ri­ge Tat­pro­vo­ka­ti­on vor, wie es juri­stisch heißt. Die­se stellt nach euro­päi­scher und bun­des­deut­scher Recht­spre­chung (BGH-Urteil vom 16.12.2021, 1 StR 197/​21, Rn 17) ein Ver­fah­rens­hin­der­nis dar, das eine Ver­ur­tei­lung aus­schließt. Aber auch die­ses Argu­ment lässt das Gericht kalt.

Rich­te­rin­nen und Rich­ter haben wenig Kennt­nis dar­über, wie sozia­le Bewe­gun­gen funk­tio­nie­ren. Sie selbst arbei­ten in hier­ar­chi­schen Struk­tu­ren, ihnen geht es um Ord­nung und Rechts­pfle­ge. Den weit­ge­hend hier­ar­chie­frei­en Bewe­gun­gen dage­gen geht es um Ver­än­de­rung, sie sind von Dyna­mik geprägt, von Wider­sprü­chen und stän­di­gen Aus­hand­lungs­pro­zes­sen. Folg­lich unter­schei­det sich das Den­ken und Han­deln in der Justiz und auch in der Poli­zei grund­le­gend von dem in Bewe­gun­gen. So ist es für Rich­te­rin­nen und Rich­ter schwer bis unmög­lich, sich in Men­schen hin­ein­zu­den­ken, die für eine ande­re und bes­se­re Welt kämp­fen und die­se schon im Hier und Jetzt ansatz­wei­se ver­su­chen zu leben.

Auch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin der für Ver­kehrs­straf­sa­chen zustän­di­gen Kam­mer des Ham­bur­ger Land­ge­richts, Son­ja Bod­din, deu­te­te schon am ersten Pro­zess­tag an, nicht alles zu ver­ste­hen. Sie lud des­halb einen Pro­test­for­scher als Zeu­gen. Als es dann so weit war, inter­es­sier­te sie sich haupt­säch­lich für den »Schwar­zen Block«. Mehr als 30 Minu­ten – und damit über die Hälf­te ihrer gesam­ten Fra­ge­zeit – wid­me­te sie sich die­ses The­mas. Dabei ging es in der vor­lie­gen­den Sache am Ron­den­barg, so der Pro­test­for­scher, gar nicht um den »Schwar­zen Block«. Die­ser sei Teil gro­ßer Demon­stra­tio­nen – zusam­men mit ande­ren Demo-Blöcken, wie dem Gewerk­schafts­block, dem Eltern-Kin­der-Block oder ande­ren the­ma­ti­schen Blöcken. So war es auch auf der Abschluss­de­mon­stra­ti­on »Gren­zen­lo­se Soli­da­ri­tät statt G20« am 8. Juli 2017 in Ham­burg zu erle­ben, wo etwa 80.000 Pro­te­stie­ren­de in ihrer bun­ten Viel­falt noch ein­mal zusam­men­ka­men – ein­schließ­lich eines dun­kel geklei­de­ten Blocks.

Auch die Ver­tei­di­gung stell­te wie­der­holt her­aus, dass sich das Fin­ger­kon­zept von »BlockG20« maß­geb­lich von der Idee des »Schwar­zen Block« unter­schei­det: Von meh­re­ren Orten star­te­ten ver­schie­den­far­bi­ge Demon­stra­ti­ons­zü­ge, die sich wie die Fin­ger einer sich öff­nen­den Hand auf­fä­chern, um bei Poli­zei­kon­takt an den Ord­nungs­hü­tern »vor­bei­zu­flie­ßen«, um sich so wei­ter fort­be­we­gen zu kön­nen. Denn erklär­tes Ziel von BlockG20 war nicht die Kon­fron­ta­ti­on mit der Poli­zei, son­dern die Innen­stadt, wo mit Blocka­den auf den Zufahrts­stra­ßen zu den Tagungs­hal­len des Gip­fels die Staats­chefs auf­ge­hal­ten wer­den soll­ten. Mit die­sem Fort­be­we­gungs­kon­zept soll­te das wäh­rend des Gip­fel­tref­fens gel­ten­de umfas­sen­de Demon­stra­ti­ons­ver­bot unter­lau­fen werden.

Aber die rich­ter­li­che Befra­gung ziel­te dar­auf, das Nar­ra­tiv der Bedro­hung und Eska­la­ti­on zu bedie­nen, das sich in der staats­an­walt­schaft­li­chen Ankla­ge­schrift und auch in den poli­zei­li­chen Aus­sa­gen wie­der­fin­det. Nach Aus­kunft der Poli­zei­zeu­gen sei ihnen schon am Vor­tag klar gewe­sen, dass der schwar­ze Demon­stra­ti­ons­zug der »unfried­li­che« sei. Die­se Pro­phe­zei­ung erfüll­te sich durch das mas­si­ve poli­zei­li­che Auf­tre­ten. Zwar bemerkt das Gericht, der Poli­zei­ein­satz im Ron­den­barg sei unver­hält­nis­mä­ßig gewe­sen, aber gleich­zei­tig sei er für das lau­fen­de Gerichts­ver­fah­ren nicht rele­vant. Die­ser Ver­such, den Poli­zei­ein­satz vom Demon­stra­ti­ons­ge­sche­hen zu tren­nen, ist nicht rea­li­täts­ge­recht. Viel­mehr kaschiert er die poli­zei­li­che Bru­ta­li­tät und die Kno­chen­brü­che der Protestierenden.

Dass Ange­klag­te und sym­pa­thi­sie­ren­de Prozessbeobachter/​innen offen­sicht­lich noch immer als gefähr­lich gel­ten, zeigt sich an der Tat­sa­che, dass wei­ter­hin stren­ge Ein­lass­kon­trol­len durch­ge­führt wer­den und in einem Hoch­si­cher­heits­saal ver­han­delt wird – mit einer fast decken­ho­hen Ple­xi­glas­schei­be, die die Besu­che­rin­nen und Besu­cher vom rest­li­chen Pro­zess­ge­sche­hen räum­lich trennt. Auf­grund der mise­ra­blen Aku­stik im Zuschau­er­be­reich des Ver­hand­lungs­saals 288 beschwe­ren sich immer wie­der Zuhö­re­rin­nen und Zuhö­rer, weil sie nicht alles ver­ste­hen. Seit­dem die Rich­te­rin kund­tat, »da auch nichts machen« zu kön­nen, fin­den sich vie­le damit ab, kom­men aber trotz­dem wei­ter zu den Ver­hand­lungs­ta­gen, um ihre Soli­da­ri­tät zu zeigen.

Das Gericht ist bestrebt, den Pro­zess Anfang Sep­tem­ber mit einem Urteil zu been­den. Zunächst aber wird die Ver­tei­di­gung der Ange­klag­ten noch die Mög­lich­keit für Stel­lung­nah­men und Anträ­ge haben.

Für den 24. August ruft das Soli­da­ri­täts­bünd­nis »Gemein­schaft­li­cher Wider­stand« zu Demon­stra­tio­nen in Ham­burg und Karls­ru­he unter dem Mot­to »Ver­samm­lungs­frei­heit ver­tei­di­gen! Frei­spruch für die Ange­klag­ten im G20-Ron­den­barg-Pro­zess!« auf. Das Bünd­nis hat den Pro­zess beglei­tet und sämt­li­che Pro­zess­ta­ge auf sei­ner Web­sei­te aus­führ­lich pro­to­kol­liert (https://gemeinschaftlich.noblogs.org).