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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Amerikaner in Paris

In den 60er Jah­ren gab es ein Chan­son von Jac­ques Brel, jenem Lie­der­ma­cher, der in sei­nen Tex­ten oft die uner­wi­der­te Lie­be zu einer Frau zum The­ma hat­te: »Made­lai­ne«. Die Ange­be­te­te, die nie zu dem erwar­te­ten Ren­dez­vous erscheint, wird schwär­me­risch ange­him­melt, und im Refrain heißt es dann: »Made­lai­ne c’est mon éspoir, c’est mon Amé­ri­que à moi.« (Made­lai­ne ist mei­ne Hoff­nung, sie ist mein Ame­ri­ka.) Bis in die 80er Jah­re war »Mon Amé­ri­que à moi« ein Syn­onym für das Beste, was einem pas­sie­ren kann, die Erfül­lung eines gro­ßen Traumes.

Frank­reich hat den USA viel zu ver­dan­ken. Gleich zwei Mal lei­ste­te Ame­ri­ka dem Land im ver­gan­ge­nen Jahr­hun­dert die ent­schei­den­de mili­tä­ri­sche Hil­fe gegen den deut­schen Aggres­sor. Zwi­schen den bei­den Krie­gen gab es einen regen Kul­tur­aus­tausch, Paris wur­de zum bevor­zug­ten Flucht­punkt für ame­ri­ka­ni­sche Intel­lek­tu­el­le, die ihrem prü­den, bigot­ten Land zumin­dest zeit­wei­se den Rücken kehr­ten. Hen­ry Mil­ler war einer ihrer bekann­te­sten Ver­tre­ter. Schwar­ze Musi­ker und Künst­ler genos­sen die Frei­hei­ten der fran­zö­si­schen Haupt­stadt, wel­che ihnen im ras­si­sti­schen Ame­ri­ka nicht ver­gönnt waren, und brach­ten im Gepäck den Jazz nach Euro­pa, wo sie ein begei­ster­tes wei­ßes Publi­kum vor­fan­den. Eini­ge wie die Sän­ge­rin und Tän­ze­rin Jose­phi­ne Bak­er blie­ben in der neu­en Hei­mat. Mit dem Ein­tritt der USA in die Anti-Hit­ler-Koali­ti­on nach der deut­schen Kriegs­er­klä­rung Ende 1941 änder­te sich das Kräf­te­ver­hält­nis auf dem euro­päi­schen Kon­ti­nent. Durch eine bei­spiel­lo­se Stei­ge­rung der Rüstungs­pro­duk­ti­on konn­te das Land bald nicht nur an der Pazi­fik­front, son­dern auch in Euro­pa eine immer stär­ke­re Rol­le spie­len. 1943 ahn­te die fran­zö­si­sche Phi­lo­so­phin Simo­ne Weil in ihrem Lon­do­ner Exil kurz vor ihrem Tod, dass sich nach dem Sieg über die Hit­ler­dik­ta­tur eine Ame­ri­ka­ni­sie­rung Euro­pas abzeich­ne­te, auf die eine Ame­ri­ka­ni­sie­rung der gesam­ten Welt fol­gen wür­de. In die­sem Fall wür­de die Mensch­heit ihre Ver­gan­gen­heit ver­lie­ren. Prä­si­dent Roo­se­velt miss­trau­te Gene­ral de Gaul­le und des­sen Frei­em Frank­reich, und als sei­ne fran­zö­si­schen Sol­da­ten Paris befrei­ten, kamen sie auf ame­ri­ka­ni­schen Pan­zern. Die ersten zwölf Jah­re nach dem Krieg waren vom Kal­ten Krieg und kolo­nia­len Rück­zugs­ge­fech­ten bestimmt, Frank­reich beher­berg­te in Roc­quen­court west­lich von Paris das NATO-Haupt­quar­tier, ame­ri­ka­ni­sche Sol­da­ten waren auf fran­zö­si­schem Boden sta­tio­niert. Das änder­te sich 1959, ein Jahr nach­dem de Gaul­le sei­ne neue Prä­si­di­al­de­mo­kra­tie instal­liert hat­te. Zunächst zog Frank­reich sei­ne Flot­ten­ver­bän­de aus dem NATO-Bünd­nis. 1960 erfolg­te der erste fran­zö­si­sche Atom­waf­fen­test in der alge­ri­schen Wüste, das Land gehör­te somit zu den Atommächten.

1966 ver­lang­te Gene­ral de Gaul­le die Unter­stel­lung der in Frank­reich sta­tio­nier­ten ame­ri­ka­ni­schen und kana­di­schen Ver­bän­de unter fran­zö­si­sches Kom­man­do. Da die USA das ablehn­ten, zog sich Frank­reich nun ganz aus dem mili­tä­ri­schen Ver­band der NATO zurück, 30.000 Sol­da­ten muss­ten Frank­reich ver­las­sen, das Haupt­quar­tier des Nord­at­lan­tik­pak­tes wur­de nach Bel­gi­en ver­legt. Die Fran­zö­si­sche Repu­blik war nun das ein­zi­ge Land West­eu­ro­pas, wel­ches sich dem direk­ten Ein­fluss der USA ent­zo­gen hat­te. Die neue Stra­te­gie »tout azi­mut« beinhal­te­te die Ver­tei­di­gungs­fä­hig­keit in alle Him­mels­rich­tun­gen, nicht nur gegen den NATO-Haupt­geg­ner Sowjet­uni­on. Schon 1964 errich­te­te Frank­reich in dem damals noch weit­ge­hend iso­lier­ten Chi­na eine Bot­schaft, 1968 ver­häng­te Frank­reich ein Waf­fen­em­bar­go über Isra­el wegen des Ein­mar­sches israe­li­scher Trup­pen in den Liba­non. Spek­ta­ku­lär war die 1966 von de Gaul­le ver­an­lass­te Rück­ho­lung der fran­zö­si­schen Gold­re­ser­ven aus dem ame­ri­ka­ni­schen Fort Knox. Die Nach­fol­ger de Gaulles auf dem Prä­si­den­ten­stuhl änder­ten ihre Poli­tik gegen­über den Ver­ei­nig­ten Staa­ten zunächst nicht. Erst Jac­ques Chi­rac wag­te eine zumin­dest kul­tu­rel­le Annä­he­rung, als er 1987 gegen erheb­li­che Wider­stän­de die Errich­tung von Dis­ney­land öst­lich von Paris geneh­mig­te. Erst 2007, als der erklär­te Ame­ri­ka-Freund Nico­las Sar­ko­zy in den Ély­sée-Palast ein­zog, wur­de Frank­reich wie­der Voll­mit­glied der NATO. Der aktu­el­le Prä­si­dent ist hin­ge­gen aus nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den von der west­li­chen Füh­rungs­macht ent­täuscht und plä­diert erst mal wie sei­ner­zeit de Gaul­le für ein sou­ve­rä­ne­res Europa.

Frank­reich hat bis heu­te dem kul­tu­rel­len Ein­fluss der west­li­chen Hege­mo­ni­al­macht bes­ser wider­stan­den als Rest­eu­ro­pa. Selbst­ver­ständ­lich legt auch Emma­nu­el Macron bis­wei­len beim Abspie­len der Natio­nal­hym­ne die Hand aufs Herz, und der klei­ne Dro­gen­dea­ler spricht sei­nen Rich­ter mit »vot­re Hon­neur« (Euer Ehren) an, weil er das aus den auch in Frank­reich ver­brei­te­ten US-Fil­men so kennt. Aber die fran­zö­si­sche Film- und Musik­pro­duk­ti­on hat sich gut behaup­tet, und dass sich die Angli­zis­men hier im Gegen­satz zu Deutsch­land sehr in Gren­zen hal­ten, liegt nicht nur an einer selbst­be­wuss­ten Kul­tur­po­li­tik, die schnell mit fran­zö­si­schen Wort­schöp­fun­gen reagiert, wenn sich ein Walk­man (bala­deur) oder Com­pu­ter (ordi­na­teur) ein­schlei­chen will. Was sich dage­gen hart­näckig hält, ist das »bon weekend« für »schö­nes Wochen­en­de« oder das »foo­ting« für »jog­ging«. Auch die Wer­bung benutzt kaum eng­li­sche Begrif­fe, denn schon wegen der in Frank­reich so belieb­ten Wort­spie­le ver­bie­tet sich eine sol­che Rekla­me. Frank­reichs berühm­te­ster Rock­sän­ger Jean-Phil­ip­pe Smet, bes­ser bekannt unter dem Namen John­ny Hal­ly­day, griff das The­ma »Mein Ame­ri­ka« 1982 noch ein­mal auf. In dem Lied »Mon Amé­ri­que à moi« klingt trotz schwär­me­ri­scher Erin­ne­run­gen auch schon Kri­tik an: »Mein Ame­ri­ka, das sind nicht die Wol­ken­krat­zer, nicht die Poli­zi­sten, nicht die Waf­fen, nicht die Dro­gen, nicht das Blut.« Auf die Idee, die Gelieb­te als »mon Amé­ri­que« zu bezeich­nen, käme heu­te nie­mand mehr.