Der Kapitalismus kennt keine Werte, nur Preise. Das hat nun auch der »Unternehmer« René Benko erfahren. Nach einigem Hin und Her musste die Signa-Holding beim Handelsgericht Wien, in der Marxengasse 1 A im 3. Stadtbezirk, den Insolvenzantrag stellten. Überraschend kam dieser Schritt nicht. Benko hatte seine Immobilien-Firmen in einem verschachtelten Firmenkonstrukt von mehr als 1.000 Einzelgesellschaften geordnet. Angefangen hatte Benko mit dem Kfz-Händler Karl Kovarik, der eine Starthilfe von 26 Millionen Euro gab, um die die Firma Immofina Holding zu gründen. Im Jahr 2004 erwarb die Immofina das Kaufhaus Tirol, das im Jahr 2010 neu erbaut wurde, der Architekt war David Chipperfield. Dort Tirol befindet sich das Innsbrucker Büro der Signa Holding. Ab Oktober 2004 warb Benko um Anleger für den ersten geschlossenen Immobilienfond »Signa:01 Property Fund«.
Nun, knapp 20 Jahre später, ist Schluss. Am 29. November 2023 haben einige Tochterfirmen der Signa-Gruppe, so die Real Estate Management Germany gemeinsam mit der Signa Sport United GmbH, Insolvenz angemeldet. Einen Tag darauf folgte die Insolvenz von Sportscheck mit seinen 34 Filialen beim Amtsgericht München. Eine angekündigte Übernahme durch den britischen Modehändler Frasers Group wird erst einmal nicht vollzogen.
Trotz intensiver Bemühungen gelingt es Benko nicht, neue Kreditgeber und Investoren zu finden. So ruhen die Bauarbeiten auch beim wichtigsten Prestigeobjekt der Signa-Tochter Prime, dem Elbtower in der Hansestadt Hamburg. Ausgesucht hatte die Immobilienfirma der damalige 1. Bürgermeister, heute Bundeskanzler der Ampelregierung aus SPD, Bündnis Grün und FDP, Olaf Scholz. Ins Mikrofon der TV-Sendung Hamburg Journal sagte er am 8. März 2017: »Ich möchte, dass die Hamburger sagen, wenn es fertig ist, das hat Olaf Scholz gut gemacht.«
Für den Prestigebau von Signa hatte sich Hamburg auf die Angaben der Landesbank von Hessen-Thüringen »Helaba« verlassen. Es ist nicht bekannt, dass ein bundesdeutsches Kreditinstitut tiefer im Signa-Sumpf steckt als die Helaba. Auflage Hamburgs für den Verkauf des spektakulären Grundstücks am Rand der HafenCity für das Hochhaus war, dass es für einen Teil der Fläche bereits sichere Mieter gibt. Es war wohl die Helaba, die als sogenannter »tauglicher Finanzierer« die von Hamburg geforderte Vorvermietungsquote bestätigte. Erst danach verkaufte die Hansestadt Hamburg das Grundstück.
Noch im Sommer 2022 hatte die Helaba geplant, ihr Kreditengagement gegenüber der Signa-Gruppe um weitere 150 Millionen Euro zu erhöhen. Helaba wollte als sogenannter »Lead Arranger« für das Elbtower-Projekt ein Bankenkonsortium zusammenstellen, das 750 Millionen Euro an Krediten aufbringen sollte. Als Eigenkapital brachte die Signa-Gruppe 150 Millionen Euro ein, weitere 50 Millionen Euro stellte die Fondsgesellschaft der Commerzbank, die Commerz Real, für die Projektgesellschaft Elbtower-Immobilien GmbH & Co KG zur Verfügung. In einer Stellungnahme des Senats an die Bürgerschaft steht, »dass alle weiteren Planungs- und Baukosten durchfinanziert sind«. Doch als Kreditarrangeur hatte die Helaba keinen Erfolg und musste im ersten Quartal 2023 einräumen, dass sie das Bankenkonsortium mit dem avisierten Finanzierungsvolumen von 750 Millionen Euro nicht zustande bringt. Die Helaba kommt wohl unbeschadet aus dieser Sache heraus, weil noch kein Kreditvertrag vorlag. Auch Signa hängte die fehlende Bankenfinanzierung – aus nachvollziehbaren Gründen – nicht an die große Glocke. Sollten die Kreditverträge in der Tat nicht, wie gefordert, geschlossen gewesen sein, wäre der Grundstückkauf unter falschen Vorzeichen abgewickelt worden. Deswegen rumort es in der Hamburger Politik gewaltig. Als Ankermieter wurde die Hamburger Commercial Bank (HCOB) präsentiert, besser bekannt als HSH Nordbank – und diese war bereits Benko-Kunde.
Wie verquickt alles ist, zeigt die Hamburg Commercial Bank mit ihrem Firmensitz am Gerhart-Hauptmann-Platz, der an Signa zu einem sehr hohen Preis von 220 Millionen Euro verkauft wurde. Durch den Verkauf konnte die Hamburg Commercial Bank eine Spitzenmiete für 13.000 Quadratmeter Bürofläche im Elbtower zusagen. Frage ist, ob dieser Klüngel oder die Sonderabfrage der Europäischen Bankenaufsicht der EZB bei allen Signa-Gläubigerbanken Anfang 2023 bedeutete, dass Helaba misstrauisch wurde.
Bei dem Elbtower geht es ab jetzt nicht mehr ohne Geld weiter. In den 245 Meter hohen Bau, das dritthöchste Gebäude der Bundesrepublik, wurden Schätzungen zufolge bisher 400 Millionen Euro investiert, vor allem wegen der aufwendigen Gründung des Haues in dem sandigen Baugrund. Aufgrund einer offenen Forderung von 37 Millionen Euro wurde vom hessischen Rohbauunternehmen Lupp der Weiterbau erst einmal gestoppt. Der noch nicht vollendete Bau hat bereits einen Spitznamen »Kurzer Olaf«.
Der Verkauf von 49,9 Prozent der Signa-Anteile an dem Berliner Kaufhaus KaDeWe an die thailändische Central Group im März 2023 war ein erstes Alarmsignal, Signa gab die Anteile rund 50 Prozent unter Buchwert ab. Auf der Internetseite der Central Group in Bangkok wird neben dem KaDeWe auch das Alsterhaus in Hamburg präsentiert. Die Schulden belaufen sich bei den Benko Firmen nach Angaben von österreichischen Gläubigerschutzverbänden auf rund fünf Milliarden Euro. Davon sind 42 Firmen und 273 Gläubiger betroffen. Dabei sind die wichtigsten Immobilientöchter Signa Prime Selection AG, Signa Development AG und die Handelssparte Signa Retail von dem Insolvenzantrag der Holding noch gar nicht erfasst. Der Schuldenberg beträgt ein Mehrfaches der Schulden der Holding. Nach Informationen der österreichischen Tageszeitung Der Standard gehören zu den Gläubigern der Gebühren-Inkasso-Service des ORF, die Helicopter Air Transport, der österreichische Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) und seine Firma Gusenbauer Projektentwicklung und Beteiligung. Auf der Liste steht auch der österreichische Ex-Kanzler Sebastian Kurz, den eine lange Freundschaft mit Benko verbindet.
Bekannt wurde, dass zu den Benko-Gläubigern auch die Schweizer Bank Julius Bär in Zürich gehört. Diese Privatbank verwaltet für Kunden in aller Welt ein Vermögen von 435 Milliarden Franken. Ende November vermeldete Julius Bär, dass man 606 Millionen Franken an »verschiedene Einheiten eines europäischen Konglomerats« vergeben habe. Dabei handelt es sich dem sicheren Vernehmen nach um drei Kredite an die Signa-Gruppe. Das, so betont die Privatbank, sei durch »mehrere Sicherheiten in Verbindung mit Gewerbeimmobilien und Luxuseinheiten« abgesichert. Für die Aktionäre der Julius Bär Bank ist das mehr als eine böse Überraschung, der Kurs der Aktie fiel um ein Fünftel seines Wertes.
Die Signa-Holding schuldet ihren Gläubigern 5,3 Milliarden Euro. Allein in diesem Jahr ist diese Verschuldung offenbar weiter gestiegen. Im Gegenzug sind die Vermögenswerte – die Beteiligungen an den verschiedenen Immobilien und Handelsfirmen der Signa-Gruppe – dramatisch geschrumpft und haben nur noch einen Buchwert von 2,8 Milliarden Euro. Bei dieser starken Überschuldung ist es mehr als fraglich, ob der Plan der Signa-Holding, sich in Eigenverwaltung zu sanieren, überhaupt aufgehen kann.
Der Insolvenzverwalter Christoph Statz steht vor einer Herkulesaufgabe. Die Finanzstruktur des Konzerns mit seinen zahlreichen Insichgeschäften ist sehr verschachtelt. Damit eine Sanierung in Eigenverantwortung beginnen kann, muss alles aussortiert werden, was nicht benötigt wird. Bekannt wurden auch die Auswüchse der Reisekosten bei Signa. Für die 40 Angestellten wurden 2022 etwa 4,9 Millionen Euro allein an Reisekosten ausgegeben, dazu 2,2 Millionen für Privatflugzeuge und 430 000 Euro für Hubschrauberflüge. Für die nächsten Monate hat die Signa Holding in der bei Gericht eingereichten Insolvenzanmeldung festgeschrieben, dass die Reisekosten ab sofort auf monatlich 23.000 Euro gedeckelt werden.
Inzwischen sind bei Signa alle Bauarbeiten eingestellt. Es hat kein Jahr gedauert, bis aus dem österreichischen »Wunderwuzzi« ein gescheiterter Immobilienunternehmer geworden ist. Was aus den Kaufhäusern Karstadt/Kaufhof und den Mitarbeitern wird, das interessiert Benko nicht, ebenso wenig, was aus den Innenstädten wird, wenn die großen Kaufhäuser schließen.
Am 11. Dezember folgte der nächste Paukenschlag: Timo Herzberg, verantwortlich für das Immobiliengeschäft der Signa-Gruppe wurde vom Aufsichtsrat fristlos entlassen. Grund für die Entlassung: »Ein dringender Verdacht auf grobe Verletzung seiner Pflichten«, so die Signa-Mitteilung. »Leider mussten wir diese Entscheidung treffen und diesen harten Schnitt setzen«, erklärte der ehemalige österreichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ). »Die Verdachtslage war eindeutig und ließ den Aufsichtsträten keine Wahl.«
Die Gründe sind, dass Herzberg neben seiner Funktion auch 60 Prozent an einer Gesellschaft mit Namen Havit, einem Anbieter von Spa- und Fitnessstudio-Dienstleistungen hält. Havit hat Flächen in den Signa-Gebäuden offenbar zu marktunüblichen günstigen Preisen angemietet. Noch vor wenigen Monaten schwärmte Herzberg im »Businessnetzwerk Linkedin« von Havit im Bürokomplex »Beam« in Berlin-Mitte, einem Signa-Projekt. Die Sparte, aus der Herzberg entlassen wurde, ist im Gegensatz zur Konzernmutter Signa Holding noch nicht insolvent. Das könnte aber bald bevorstehen – und sich noch stärker auswirken als die Pleite der Holding, die mit fünf Milliarden Euro Verbindlichkeiten bereits die größte Insolvenz der österreichischen Wirtschaftsgeschichte darstellt. Die Schulden, so Insider, sind bei den bis vor kurzem von Herzberg geleiteten Unternehmen »Prime« und »Development« nochmals rund doppelt so hoch.