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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Allerhand Sprachdummheiten

So kann man einen hef­ti­gen Wort­wech­sel auch umschrei­ben: Mit Bezug auf den Angriff auf einen Stu­den­ten »erklär­te die Ber­li­ner Staats­an­walt­schaft, der Attacke sei eine kur­ze ver­ba­le Inter­ak­ti­on vor­aus­ge­gan­gen«. Da woll­te ein Staats­an­walt sein hohes Bil­dungs­ni­veau bewei­sen. Denn zu sei­nem Wort­schatz gehört die »Inter­ak­ti­on«, die ver­ba­le – die gele­gent­lich und schlimm­sten­falls in eine phy­si­sche aus­ar­tet. Es gibt fast nichts, was man nicht ein biss­chen ver­quast aus­drücken kann, sei es das Nega­tiv­wachs­tum für Schrump­fung oder die Sicher­heits­zo­ne für ein Gebiet, das man schleu­nigst ver­las­sen sollte.

Die Kla­gen über Bläh­wör­ter im Behör­den­deutsch und sprach­li­che Schlu­de­rei bei Medi­en sind frei­lich schon alt. Über Aller­hand Sprach­dumm­hei­ten erschien 1891 ein unter­halt­sa­mes Buch mit die­sem Titel, aus der Feder des Sprach­pfle­gers Gustav Wust­mann stam­mend. Das gut les­ba­re Werk erleb­te vier Auf­la­gen; ein Exem­plar dien­te in mei­ner Fami­lie schon meh­re­ren Gene­ra­tio­nen als Hilfs­buch für Zwei­fels­fäl­le. Der Leip­zi­ger Alt­phi­lo­lo­ge Wust­mann nann­te sein Werk »eine klei­ne Gram­ma­tik des Zwei­fel­haf­ten, des Fal­schen und des Häß­li­chen«. Auch heu­te wür­de er wie­der fündig.

Ein Fall zum Stich­wort »zwei­fel­haft«: das belieb­te Wort nach­voll­zieh­bar anstel­le von ver­ständ­lich und ein­leuch­tend. Nach­voll­zie­hen kann man rich­ti­ger­wei­se den Lösungs­weg einer Mathe­auf­ga­be. Viel­leicht auch eine Urlaubs­rei­se mit dem Fin­ger auf der Land­kar­te. Aber was heißt dei­ne Ent­schul­di­gung ist nicht nach­voll­zieh­bar? – Falsch, also sprach­wid­rig ist es, wenn Jour­na­li­sten mas­sen­haft schrei­ben: NN stell­te eine Straf­an­zei­ge. Da pur­zeln stel­len und erstat­ten mun­ter durch­ein­an­der. Denn die Anzei­ge wird nicht »gestellt« oder erstellt oder auf­ge­stellt, sie wird erstat­tet. Gestellt wird allen­falls ein Straf­an­trag, was bei Juri­sten etwas ande­res ist.

Falsch ist auch ist der neu­zeit­li­che Gebrauch von gern. »Sie kön­nen uns gern wie­der besu­chen.« Gemeint ist damit: »Bit­te, wir hät­ten es gern, dass Sie uns wie­der besu­chen«; ob ich das gern mache, wis­sen sie nicht. Doch inzwi­schen ist der Bedeu­tungs­wan­del von gern vor­an­ge­schrit­ten, es nimmt die Stel­le von bit­te ein. »Stel­le frei! Gern im Geschäft mel­den.« Oder ein Satz aus der War­te­schlei­fe: »Blei­ben Sie gern in der Lei­tung!« … gar nicht ger­ne, im Gegenteil!

Was bedeu­tet denn nicht wirk­lich, eine Phra­se, die so nach­denk­lich klingt? In Roma­nen (aus dem Eng­li­schen wört­lich über­setzt) und in münd­li­cher Rede begeg­net sie uns, und sie bedeu­tet »eigent­lich nicht«. Eine Lehn­über­set­zung, die kei­nen Sinn macht. Wie bei der Nach­fra­ge »Gut geschla­fen? – Nicht wirklich!«

Eine ein­fa­che Grund­re­gel des Deutsch­leh­rers besag­te: Die Appo­si­ti­on (dt. Bei­fü­gung, Erklä­rungs­zu­satz) steht im sel­ben Kasus wie das Bezugs­wort. Dar­um heißt es: Herrn Mül­ler, mei­nem geschätz­ten Leh­rer … Dativ ver­langt Dativ. Das scheint manch­mal schwer zu fal­len, wes­halb eini­ge den Dativ stän­dig benut­zen. Der Duden nennt dies den inkon­gru­en­ten, nicht erwünsch­ten Dativ. »In die Zeit des Völ­ker­mords von Der­sim, einem Mas­sa­ker der tür­ki­schen Armee …« statt: eines Mas­sa­kers.

Was wur­de nicht schon alles instru­men­ta­li­siert. Im Streit um die öffent­li­che Sicher­heit »bestehe die Gefahr, dass Frau­en und deren Angst instru­men­ta­li­siert wer­den«, schreibt ein Jour­na­list. Nach kur­zem oder län­ge­rem Nach­den­ken kommt der Leser dar­auf, was er meint: … als Vor­wand benutzt wer­den. War­um nicht gleich so? Hier fällt mir der Satz ein: Miss­traue Fremd­wör­tern, vor allem auch sol­chen mit über vier Sil­ben (Mobi­li­sie­rungs­po­ten­zi­al und kom­ple­men­tie­ren!).

Ein sol­ches ist auch iden­ti­fi­zie­ren. Näm­lich im Sin­ne von fest­stel­len, aus­ma­chen, erken­nen. »Ich habe Tho­mas als wah­ren Freund iden­ti­fi­ziert.« Das Wort passt höch­stens bei ech­ten Recher­chen: »Sey­mour Hersh hat die US-Regie­rung als Pipe­line-Spren­ger iden­ti­fi­ziert.« Oder das Fremd­wort sozia­li­sie­ren – es hat sich in vie­len Bio­gra­fien ein­ge­ni­stet. Da, wo du auf­wuch­sest, wur­dest du nicht geprägt, beein­flusst, erzo­gen oder geformt (von Fami­lie und Milieu), nein du wur­dest sozia­li­siert. Klingt anspruchs­vol­ler. Ganz so wie das sich aus­brei­ten­de Mode­wort gene­rie­ren. Dies wur­de aus irgend­ei­ner Teil­wis­sen­schaft ent­lehnt, wahr­schein­lich aus der Lin­gu­istik: »Die Regeln der gene­ra­ti­ven Gram­ma­tik sol­len kor­rek­te Sät­ze gene­rie­ren.« Und es fand begei­ster­te Auf­nah­me bei der Zunft der Zei­tungs­schrei­ber. Plötz­lich waren die Wör­ter erzeu­gen, bil­den, fer­ti­gen, her­vor­brin­gen ent­behr­lich. So kann man jetzt for­mu­lie­ren: Mein Ven­ti­la­tor gene­riert einen küh­len Luftstrom.

Genug der Fremd­wör­ter. Die Her­aus­for­de­rung ist schon seit län­ge­rem in Mode. »Im Zusam­men­hang mit finan­zi­el­len Her­aus­for­de­run­gen …«, das ver­hüllt, was wirk­lich Sache ist. »Die­se men­ta­le Her­aus­for­de­rung kann ich bewäl­ti­gen«, sagt jemand. Wahr­schein­lich geht’s um die Lösung eines Kreuz­wort­rät­sels. Ein Lehr­ling (Aus­zu­bil­den­der) soll aus dem Lager etwas holen und bekommt zu hören: »Ich habe für Sie eine Her­aus­for­de­rung. Holen Sie mal bit­te …« Echt hoch­tra­bend. Eine Her­aus­for­de­rung wäre es, wenn er den Auf­trag in 90 Sekun­den erle­di­gen soll­te; oder wenn ein 100-m-Läu­fer die bis­he­ri­ge Best­zeit unter­bie­ten soll­te. Aber fast immer bedeu­tet Her­aus­for­de­rung, wahl­wei­se auch gro­ße, nichts als eine schlich­te Auf­ga­be; besten­falls ist eine har­te Nuss zu knacken. Mit der deut­schen Eisen­bahn zu rei­sen und kei­ne Sati­re zu schrei­ben, ist eine Herausforderung.

Manch­mal dro­hen Ver­wechs­lun­gen. Loh­nend und loh­nens­wert: gar nicht das­sel­be, aber oft durch­ein­an­der­ge­bracht. »Moni­kas vier­wö­chi­ge Diät war loh­nens­wert«, so wird behaup­tet, obwohl hier eine Ver­gü­tung für sie nicht im Spiel war. Rich­tig heißt es: Wegen der herr­li­chen Aus­sicht war der Auf­stieg zum Berg­gip­fel loh­nend. (Er lohn­te sich.) Aber Andre­as’ Eifer bei der Gar­ten­ar­beit war loh­nens­wert. (Ver­dien­te Beloh­nung.) Denn falls ich eine Bezah­lung erwar­ten kann, ist mein Tun des Loh­nes wert. Trägt eine Tat jedoch ihren Lohn in sich selbst, ist sie lohnend.

Wie­der­holt erle­ben wir die Ver­wechs­lung von Mensch­heit und Mensch­lich­keit. Das Reden von Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit (so lei­der auch bei den Autoren Georg Ram­mer und Seb. Schee­rer in Ossietzky 22/​2024 zu lesen) beruht auf einer Fehl­über­set­zung, gegen die Han­nah Are­ndt, Her­mann Grem­li­za und ande­re jahr­zehn­te­lang ver­geb­lich wet­ter­ten. Wohl schwer­lich kann man ein Kapi­tal­ver­bre­chen gegen eine mora­li­sche Hal­tung (Mit­mensch­lich­keit) bege­hen. Genau­so wenig wie gegen Mit­leid, Ver­nunft und Freund­lich­keit. Das, was die Väter des Nürn­ber­ger Tri­bu­nals im Sin­ne hat­ten, waren Ver­bre­chen an der Mensch­heit, Fre­vel­ta­ten an Zivi­li­sten. Erklä­ren lässt sich die stän­di­ge Ver­wechs­lung frei­lich damit, dass das eng­li­sche Wort huma­ni­ty (ana­log auch das fran­zö­si­sche l’humanité) dop­pel­deu­tig ist – je nach Kon­text bedeu­tet es das eine oder ande­re. Eine Pro­test­no­te der Tri­ple Entente an die osma­ni­sche Regie­rung wegen des Mas­sen­mords an den Arme­ni­ern for­mu­lier­te schon am 24. Mai 1915: nach Kriegs­en­de wür­den »die­se Ver­bre­chen gegen die Mensch­heit und gegen die Zivi­li­sa­ti­on« geahn­det werden.

Was Han­nah Are­ndt in »Eich­mann in Jeru­sa­lem« dazu 1963 schrieb, sei am Schluss zitiert: »Das den Nürn­ber­ger Pro­zes­sen zugrun­de­lie­gen­de Lon­do­ner Sta­tut hat die ›Ver­bre­chen gegen die Mensch­heit‹ als ›unmensch­li­che Hand­lun­gen‹ defi­niert, wor­aus dann in der deut­schen Über­set­zung die bekann­ten ›Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit‹ gewor­den sind; als hät­ten es die Nazis ledig­lich an ›Mensch­lich­keit‹ feh­len las­sen, als sie Mil­lio­nen in die Gas­kam­mern schick­ten, wahr­haf­tig das Under­state­ment des Jahrhunderts.«