So kann man einen heftigen Wortwechsel auch umschreiben: Mit Bezug auf den Angriff auf einen Studenten »erklärte die Berliner Staatsanwaltschaft, der Attacke sei eine kurze verbale Interaktion vorausgegangen«. Da wollte ein Staatsanwalt sein hohes Bildungsniveau beweisen. Denn zu seinem Wortschatz gehört die »Interaktion«, die verbale – die gelegentlich und schlimmstenfalls in eine physische ausartet. Es gibt fast nichts, was man nicht ein bisschen verquast ausdrücken kann, sei es das Negativwachstum für Schrumpfung oder die Sicherheitszone für ein Gebiet, das man schleunigst verlassen sollte.
Die Klagen über Blähwörter im Behördendeutsch und sprachliche Schluderei bei Medien sind freilich schon alt. Über Allerhand Sprachdummheiten erschien 1891 ein unterhaltsames Buch mit diesem Titel, aus der Feder des Sprachpflegers Gustav Wustmann stammend. Das gut lesbare Werk erlebte vier Auflagen; ein Exemplar diente in meiner Familie schon mehreren Generationen als Hilfsbuch für Zweifelsfälle. Der Leipziger Altphilologe Wustmann nannte sein Werk »eine kleine Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen«. Auch heute würde er wieder fündig.
Ein Fall zum Stichwort »zweifelhaft«: das beliebte Wort nachvollziehbar anstelle von verständlich und einleuchtend. Nachvollziehen kann man richtigerweise den Lösungsweg einer Matheaufgabe. Vielleicht auch eine Urlaubsreise mit dem Finger auf der Landkarte. Aber was heißt deine Entschuldigung ist nicht nachvollziehbar? – Falsch, also sprachwidrig ist es, wenn Journalisten massenhaft schreiben: NN stellte eine Strafanzeige. Da purzeln stellen und erstatten munter durcheinander. Denn die Anzeige wird nicht »gestellt« oder erstellt oder aufgestellt, sie wird erstattet. Gestellt wird allenfalls ein Strafantrag, was bei Juristen etwas anderes ist.
Falsch ist auch ist der neuzeitliche Gebrauch von gern. »Sie können uns gern wieder besuchen.« Gemeint ist damit: »Bitte, wir hätten es gern, dass Sie uns wieder besuchen«; ob ich das gern mache, wissen sie nicht. Doch inzwischen ist der Bedeutungswandel von gern vorangeschritten, es nimmt die Stelle von bitte ein. »Stelle frei! Gern im Geschäft melden.« Oder ein Satz aus der Warteschleife: »Bleiben Sie gern in der Leitung!« … gar nicht gerne, im Gegenteil!
Was bedeutet denn nicht wirklich, eine Phrase, die so nachdenklich klingt? In Romanen (aus dem Englischen wörtlich übersetzt) und in mündlicher Rede begegnet sie uns, und sie bedeutet »eigentlich nicht«. Eine Lehnübersetzung, die keinen Sinn macht. Wie bei der Nachfrage »Gut geschlafen? – Nicht wirklich!«
Eine einfache Grundregel des Deutschlehrers besagte: Die Apposition (dt. Beifügung, Erklärungszusatz) steht im selben Kasus wie das Bezugswort. Darum heißt es: Herrn Müller, meinem geschätzten Lehrer … Dativ verlangt Dativ. Das scheint manchmal schwer zu fallen, weshalb einige den Dativ ständig benutzen. Der Duden nennt dies den inkongruenten, nicht erwünschten Dativ. »In die Zeit des Völkermords von Dersim, einem Massaker der türkischen Armee …« statt: eines Massakers.
Was wurde nicht schon alles instrumentalisiert. Im Streit um die öffentliche Sicherheit »bestehe die Gefahr, dass Frauen und deren Angst instrumentalisiert werden«, schreibt ein Journalist. Nach kurzem oder längerem Nachdenken kommt der Leser darauf, was er meint: … als Vorwand benutzt werden. Warum nicht gleich so? Hier fällt mir der Satz ein: Misstraue Fremdwörtern, vor allem auch solchen mit über vier Silben (Mobilisierungspotenzial und komplementieren!).
Ein solches ist auch identifizieren. Nämlich im Sinne von feststellen, ausmachen, erkennen. »Ich habe Thomas als wahren Freund identifiziert.« Das Wort passt höchstens bei echten Recherchen: »Seymour Hersh hat die US-Regierung als Pipeline-Sprenger identifiziert.« Oder das Fremdwort sozialisieren – es hat sich in vielen Biografien eingenistet. Da, wo du aufwuchsest, wurdest du nicht geprägt, beeinflusst, erzogen oder geformt (von Familie und Milieu), nein du wurdest sozialisiert. Klingt anspruchsvoller. Ganz so wie das sich ausbreitende Modewort generieren. Dies wurde aus irgendeiner Teilwissenschaft entlehnt, wahrscheinlich aus der Linguistik: »Die Regeln der generativen Grammatik sollen korrekte Sätze generieren.« Und es fand begeisterte Aufnahme bei der Zunft der Zeitungsschreiber. Plötzlich waren die Wörter erzeugen, bilden, fertigen, hervorbringen entbehrlich. So kann man jetzt formulieren: Mein Ventilator generiert einen kühlen Luftstrom.
Genug der Fremdwörter. Die Herausforderung ist schon seit längerem in Mode. »Im Zusammenhang mit finanziellen Herausforderungen …«, das verhüllt, was wirklich Sache ist. »Diese mentale Herausforderung kann ich bewältigen«, sagt jemand. Wahrscheinlich geht’s um die Lösung eines Kreuzworträtsels. Ein Lehrling (Auszubildender) soll aus dem Lager etwas holen und bekommt zu hören: »Ich habe für Sie eine Herausforderung. Holen Sie mal bitte …« Echt hochtrabend. Eine Herausforderung wäre es, wenn er den Auftrag in 90 Sekunden erledigen sollte; oder wenn ein 100-m-Läufer die bisherige Bestzeit unterbieten sollte. Aber fast immer bedeutet Herausforderung, wahlweise auch große, nichts als eine schlichte Aufgabe; bestenfalls ist eine harte Nuss zu knacken. Mit der deutschen Eisenbahn zu reisen und keine Satire zu schreiben, ist eine Herausforderung.
Manchmal drohen Verwechslungen. Lohnend und lohnenswert: gar nicht dasselbe, aber oft durcheinandergebracht. »Monikas vierwöchige Diät war lohnenswert«, so wird behauptet, obwohl hier eine Vergütung für sie nicht im Spiel war. Richtig heißt es: Wegen der herrlichen Aussicht war der Aufstieg zum Berggipfel lohnend. (Er lohnte sich.) Aber Andreas’ Eifer bei der Gartenarbeit war lohnenswert. (Verdiente Belohnung.) Denn falls ich eine Bezahlung erwarten kann, ist mein Tun des Lohnes wert. Trägt eine Tat jedoch ihren Lohn in sich selbst, ist sie lohnend.
Wiederholt erleben wir die Verwechslung von Menschheit und Menschlichkeit. Das Reden von Verbrechen gegen die Menschlichkeit (so leider auch bei den Autoren Georg Rammer und Seb. Scheerer in Ossietzky 22/2024 zu lesen) beruht auf einer Fehlübersetzung, gegen die Hannah Arendt, Hermann Gremliza und andere jahrzehntelang vergeblich wetterten. Wohl schwerlich kann man ein Kapitalverbrechen gegen eine moralische Haltung (Mitmenschlichkeit) begehen. Genauso wenig wie gegen Mitleid, Vernunft und Freundlichkeit. Das, was die Väter des Nürnberger Tribunals im Sinne hatten, waren Verbrechen an der Menschheit, Freveltaten an Zivilisten. Erklären lässt sich die ständige Verwechslung freilich damit, dass das englische Wort humanity (analog auch das französische l’humanité) doppeldeutig ist – je nach Kontext bedeutet es das eine oder andere. Eine Protestnote der Triple Entente an die osmanische Regierung wegen des Massenmords an den Armeniern formulierte schon am 24. Mai 1915: nach Kriegsende würden »diese Verbrechen gegen die Menschheit und gegen die Zivilisation« geahndet werden.
Was Hannah Arendt in »Eichmann in Jerusalem« dazu 1963 schrieb, sei am Schluss zitiert: »Das den Nürnberger Prozessen zugrundeliegende Londoner Statut hat die ›Verbrechen gegen die Menschheit‹ als ›unmenschliche Handlungen‹ definiert, woraus dann in der deutschen Übersetzung die bekannten ›Verbrechen gegen die Menschlichkeit‹ geworden sind; als hätten es die Nazis lediglich an ›Menschlichkeit‹ fehlen lassen, als sie Millionen in die Gaskammern schickten, wahrhaftig das Understatement des Jahrhunderts.«